Diese Frau ist ein echter Kerl
In Zeiten von MeToo zeigen die Brüder Zellner eine Wildwest-Heldin, die bewaffnet ausruft: „Ich brauche keinen, der mich beschützt“. Die fabelhafte Mia Wasikowska beherrscht „Damsel“
Sich einmischen in aktuelle Probleme, Stellung beziehen, aufklären: Das ist das erklärte Programm der diesjährigen Berlinale. In einem Statement hat Festivaldirektor Dieter Kosslick neben den vier deutschen Beiträgen im Wettbewerb eigens auch den Dokumentarfilm „Viaje a los Pueblos Fumigados“ des argentinischen Regie-Veteranen Fernando E. Solanas herausgehoben: eine bittere Abrechnung mit den Folgen der industriellen Landwirtschaft in Argentinien, für deren Soja-Plantagen indigene Bauern von ihren Höfen vertrieben werden. Der Herbizid-Einsatz auf den riesigen Flächen habe für Menschen fatale Folgen.
So also sieht sich die Berlinale: als das politischste der drei europäischen A-Festivals, als Pranger für Missstände und als Bastion für Freiheit, Gleichheit, Weltoffenheit. Darin schwingt die Utopie mit, dass die Filmszene eine Phalanx sein soll: gegen Mächtige, Gierige und Gewalttätige, gegen die Unrechtsstrukturen der Welt. Die Utopie hat im letzten halben Jahr allerdings gelitten. Die MeToo-Debatte, die 2017 Hollywood erschütterte, hat die Aufmerksamkeit auf die Macht- und Unrechtsstrukturen innerhalb der Filmbranche selbst gelenkt.
Unter solcher Vorgabe bedeutet es was, wenn eine bewaffnete Penelope im Wettbewerbsbeitrag „Damsel“ der Brüder Zellner ausruft: „Ich brauche keinen, der mich beschützt.“ Penelope, gespielt von Mia Wasikowska, hat endgültig genug von den Männern, die alles vermasseln. Es dauert fast einen halben Film, bis man die Frau, von der der schwer verliebte Samuel Alabaster (Robert Pattinson) seinem Reisebegleiter vorgeschwärmt hat, endlich zu Gesicht bekommt. Von dem Moment an, da sie eine Tür auftritt, wild um sich schießt und den Verehrer zur Schnecke macht, ist klar, dass diese Penelope nichts mit dem zarten, lieblichen Wesen aus Samuels Wunschvorstellung zu tun hat. Die Zellners bringen den Geschlechterkampf ins Western-Genre – dort, wo sich der Mythos vom harten Mann, der tut, was getan werden muss, am hartnäckigsten gehalten hat. In diesem Film taugen die Kerle nur noch zu dysfunktionalem Heldentum. Für sie wird die Frau zur Projektionsfläche von Reinheit, Liebe und Seelenglück – so, wie es in alten Genrefilmen die auf die Heldenrückkehr wartenden Frauen in ihren gestärkten Kittelschürzen verkörpert haben. Mit solchen Strukturen räumt die fabelhafte Mia Wasikowska in dieser gelungenen Western-Persiflage so gründlich auf, dass ihre Figur als erste Heldin des MeToo-Zeitalters in die Annalen der Berlinale eingehen könnte.
Und noch eine Western-Variante kämpft im Wettbewerb um den Goldenen Bären mit: Lance Dalys „Black 47“. Der Film spielt zur Zeit der großen Hungersnot, die Irland 1847 heimsuchte und ein zentrales historisches Trauma in der Geschichte der Insel darstellt. Über eine Millionen Menschen starben infolge der Kartoffelpest. Eine weitere Million wanderte nach Amerika aus. „Black 47“ erzählt die Geschichte des Soldaten Feeney (James Frecheville), der für die britische Armee in Afghanistan gekämpft hat und als Deserteur zu seiner Familie nach Irland zurückkehrt.
Die Mutter ist bereits am Fieber gestorben. Der Bruder wurde gehängt, weil er sich der Zwangsräumung widersetzte. Mit eindrücklichen Aufnahmen macht „Black 47“ das Elend sichtbar, über das die britischen Kolonialherren hinweg regierten. Als Mischung zwischen „Rambo“ und „Michael Kohlhaas“ wird der zurückgekehrte Soldat zum Rächer, der sich mordend bis ganz nach oben zum Landgrafen arbeitet.
Daly verwandelt die Landschaften Connemaras in eine morastige Prärie und bleibt in den Dialogen so wortkarg wie ein Clint Eastwood. Agonie, Schmerz und Wut werden nicht in Dialoge gepackt, sondern in die Blicktiefe der Figuren gelegt. Allerdings bleibt „Black 47“ zu vorhersehbar durch seine Rachedramaturgie.
Noch ein Eindruck: Das britische Kino präsentierte sich mit der Bestsellerverfilmung „The Bookshop“ in der „Special“-Reihe, die eingeführt wurde, um Werke aufnehmen zu können, die schon auf anderen Festivals gelaufen, somit vom Wettbewerb ausgeschlossen sind. Regisseurin Isabel Coixet inszeniert die Geschichte einer tapferen Buchhändlerin, die sich in einem englischen Küstenort der 50er-Jahre gegen dörfliche Intrigen zur Wehr setzen muss, auf bieder-betuliche Weise und stellt nicht nur die Leidensfähigkeit ihrer Protagonistin auf den Prüfstand. Immerhin brachte der Film mit Emily Mortimer, Patricia Clarkson und Bill Nighy ein wenig Prominenz auf den roten Teppich vor dem Friedrichstadtpalast, was wohl einziger Grund für die Programmierung eines solch müden Werkes gewesen ist. (mit kna)
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