Erziehung durch Schlamm
Das Münchner Residenztheater mit Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“
München Die Machtfrage stellt sich überall. Und alle Zivilisation kann als Einübung darauf gelesen werden, den simplen Umstand, wer nun seinen Sturkopf durchsetzt, von der Ebene physischer Gewalt auf weniger gefährliches Terrain zu übertragen. So wurde die Rede der Schauplatz fürs Gefecht. Auch hier gilt, dass der feinere Umgang mit dem Wort der bessere, zivilisiertere ist.
Wie eine Naturgewalt wütet Shakespeares Katharina, die Widerspenstige, dagegen in der Gesellschaft. Anstatt brav zu tun und balzende Männer mit sanftem Augenaufschlag in Wallung zu bringen, beschimpft sie Gott und die Welt auf das Übelste; sie kratzt, schlägt und beißt gerade so, wie es ihr passt, und spottet aller, die glauben, es gäbe einen, der ihr ebenbürtig sei. Diese Frau ist ein unersättliches Raubtier, das man besser in Ruhe lässt. Und natürlich begegnet Katharina dann diesem einen, der sich traut, ihr die Machtfrage zu stellen, diesem einen, der mit ihr genauso rücksichtslos umgeht, wie sie sonst mit den anderen. Petruchio heißt der Wagemutige, der auch ein Gieriger ist, weil ihm im Drama „Der Widerspenstigen Zähmung“ die Mitgift mindestens genauso sehr interessiert wie die Grobheiten seiner künftigen Braut.
Aus dem Vorspiel wird ein regenfeuchter Traum
Mit William Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“ startete das Münchner Residenztheater in die neue Spielzeit. Und die Regisseurin Tina Lanik legte in diesem Dompteurs-Stück die Beute gleich auf die nachtschwarze und regenschwangere Bühne (Stefan Hageneier): ein Hirschkadaver, um den herum eine trinkende Jagdgesellschaft die noch trunkenere Sly anfeuert, die Hüfte stärker kreisen zu lassen. Aber Sly stürzt und fällt in einen tiefen Schlaf und träumt sich fort.
Anstelle des besoffenen Kesselflickers, mit dem sich Adlige einen üblen Scherz erlauben, indem sie ihm das Stück „Der Widerspenstigen Zähmung“ vorspielen lassen, deutet Lanik dieses Geschehen als regenfeuchten Traum dieser Sly, die immer mal wieder zwischen den Szenen erwacht und wie eine Schlafwandlerin durch die suggestiv ausgeleuchteten Bühnennebel- und Regenschwaden stapft.
Die vielen Fäden und Fallstricke, die Shakespeare in seiner Komödie eingezogen hat, werden von Lanik bereitwillig aufgenommen: das Ringen um die Geschlechterrolle sowohl bei Petruchio und Katharina als auch bei deren zahmer Schwester Bianca und deren Freier, und der Rollentausch von Adel und Dienerschaft. Diese Stränge werden im Verlauf des knapp dreistündigen Abends aber nicht verdichtet, stattdessen zerfranst das Gewebe wieder, als ob das Muster zu groß und komplex angelegt worden sei. Die Traumfährte, die Lanik anfangs ausgelegt hat, verliert sich am Ende völlig und wird nicht wieder aufgenommen.
Das Publikum im Residenztheater bekam keine große Um- und Neudeutung des Stoffes zu sehen, dafür aber wieder einmal eine Kostprobe, über was für ein ausgezeichnetes Ensemble das Haus verfügt: allen voran an diesem Abend Andrea Wenzl. Durchtrieben ist ihre Katharina, immer bereit, ihre Gegner in falscher Sicherheit zu wiegen, bis sie Hohn und Spott über ihnen ausgießt. Gleichzeitig spielt Wenzl auch eine Ängstliche, die panisch darauf bedacht ist, die eigene Souveränität zu erhalten.
Ihr Petruchio (Shenja Lacher) dagegen bleibt lange ein kühler und berechnender Eroberer, der seine Weibserziehung mit Schlamm vorantreibt, bis auch in ihm die Saat der Liebe keimt. Hervorragend auch Miguel Abrantes Ostrowski als zigarillosüchtiger Tranio, der im Adelsgewand seines Herren Lucentio mit Schmerbauch und Schmierhaar eine urkomisch-schlechte Figur macht. Ein Spielzeitstart, der die Wünsche nur zum Teil erfüllte.
Weitere Termine am 5., 7., 10., 18. und 25. Oktober
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