"Faust": Gute Gesangsstimmen, aber nicht ganz überzeugend
Die Neuinszenierung von Charles Gounods Teufelspakt-Oper setzt auf visuelle Reize. Und greift dabei ein Bayreuther Modell auf. Aber gelingt das auch?
Mit tiefinnerst deutschem Wesen ist kein anderer literarischer Stoff so eng verknüpft wie der Mythos vom Doktor Faust. Der bohrende, nicht zum Durchbruch führende Erkenntnisdrang; der Pakt mit Mephisto, in dessen Folge Faust sich ins pralle Leben stürzt und sich an der jungen Margarethe schuldig macht; das Schnippchen, das dem Teufel letztlich doch geschlagen wird – das ist spätestens mit Goethes dramatischer Bearbeitung ein Urtext der Deutschen. Umso seltsamer – wenn auch mit dem Respekt vor Goethes Großmeistertat erklärlich – mutet es an, dass es aus deutscher Komponistenfeder keine bahnbrechende Opernvertonung des Stoffes gegeben hat (Liszts und Schumanns Faust-Werke sind ja sinfonischer bzw. kantatenhafter Natur).
In Frankreich war man da nicht so zimperlich. 1859 kam in Paris Charles Gounods Oper „Faust“ auf die Bühne. Was die Deutschen die Nase rümpfen ließ: Zu wenig tiefgründig sei die Vertonung geraten, zu sehr dem oberflächlichen Plot von Fausts (mit teuflischer Hilfe ins Werk gesetzter) Verführung der Margarete verpflichtet – weshalb das Werk hierzulande denn auch lange Zeit nicht unter seinem angestammten Titel, sondern als „Margarethe“ auf die Bühne kam.
Doppelte Premiere bei Salzburger Festspielen 2016
Solche Überheblichkeit gegenüber angeblich welscher Verflachung ist wahrscheinlich mit ein Grund dafür gewesen, dass Gounods Oper bisher noch nie in der bald 100-jährigen Geschichte der Salzburger Festspiele aufgeführt wurde, sodass jetzt mit Reinhard von der Thannens Neuinszenierung eine doppelte Premiere im Großen Festspielhaus anstand.
Reinhard von der Thannen, bekannt vor allem als Kostüm- und Bühnenbildner für andere Regisseure, war vor einigen Jahren ein Coup gelungen, als er für Hans Neuenfels’ Bayreuther Festspiel-„Lohengrin“ den Chor in Rattenkostüme steckte. Vergleichbares hat er jetzt, in Personalunion zuständig für Regie, Bühne und Kostüm, für seinen Salzburger „Faust“ unternommen, indem er Chorsänger und Tänzer in clownesk-hautfarbenen Ganzkörperanzügen auftreten lässt, die den Akteuren (vor allem bei hochgereckten Armen) das Aussehen von Flughörnchen verleihen. Der im Libretto differenziert aufgeführte Chor – Studenten, Soldaten, Bürger usw. – wird damit zur uniformen Masse.
Aber was wird damit über das Drama ausgesagt? Steckt in uns allen ein Faust (der Chor sieht jedenfalls gerne zu bei seinem Liebesabenteuer) und/oder ein bisschen Mephisto (auch der Joker-Teufel trägt ein Clownsgesicht)? Durchschlagender Erkenntnisgewinn will sich aus dieser Verhüllungsstrategie nicht einstellen.
Gesangsstimmen in "Faust" sind sehr gut
Wie denn die Inszenierung überhaupt zwar einiges Augenfutter bietet – darunter ein dauerpräsentes, wohl für Fausts Erkenntniswillen stehendes „Auge“ aus elliptischen (Planeten-)Bahnen –, aber nur wenig Aufschlussreiches zur Handlungs- und Personenentwicklung beiträgt. Ein paar Mal ist das in kleinerem Maße geglückt. Etwa dort, wo bei Mephistos Arie vom Goldenen Kalb das besungene Objekt von einer Tänzerin symbolisiert ist, die sich in einem Glitzerstein-Catsuit rekelt – und später, da Faust der Margarethe sein teuflisches Schmuckgeschenk macht, eben dieses aus demselben Glitzerstoff besteht. „Gold“ korrumpiert, das ist hier sinnfällig vor Augen geführt.
Details wie dieses helfen aber nur sporadisch einer Inszenierung auf, die wenig mit ihren Figuren anzufangen weiß und sich lieber darin ergeht, mit opulenten Zeichen aufzuwarten – wie im vierten Akt, wenn ein überdimensionales kopfloses Skelett vom Bühnenhimmel herabschwebt und zum Marschrhythmus des Soldatenchors tollpatschig einen Fuß vor den anderen setzt. Soldaten + Skelett = Tod, aha. Apropos Akt-Einteilung: Man spielt die fünfaktige Fassung mit Rezitativen, wobei von der Thannen die Walpurgisnachtszene gestrichen hat – ein ganz beträchtliches Stück „wunderschöner Musik“ (O-Ton Dirigent Alejo Pérez). Am Ende gab’s für von der Thannen dann auch viel Buh, aber auch laute Zustimmung.
Was die Stimmen betrifft, so lassen sich Salzburgs Festspiele bekanntlich nicht lumpen, und das gilt auch für den „Faust“. Wenngleich: Piotr Beczala singt die Tenorpartie des Protagonisten zwar makellos. Aber für einen Liebesentflammten, der er spätestens beim Anblick von Margarethes Heimstatt sein soll („Salut! demeure chaste et pure“), bleibt er doch reichlich kühl. Ildar Abdrazakov tut als Mephistofeles gut daran, seine Seelenschwärze rein vokal zu artikulieren und auf dämonisches Bramarbasieren zu verzichten – und doch bleibt er einen rechten Teufel schuldig.
Starkes Profil verleiht dagegen Alexey Markov dem Valentin: ein argwöhnischer Wächter über seine Schwester Margarethe, der mit dunkel-gewichtigem Bariton ein würdiger Gegenspieler Mephistos ist. Maria Agresta zeichnet mit ihrem schlanken Sopran die Figur der emotional missbrauchten Margarethe ganz als schöne Seele. Und der argentinische Dirigent Alejo Pérez präsentiert dazu Gounods Partitur als süffiges Panorama, sekundiert von den hochklassig-routinierten Wiener Philharmonikern.
Schön und gut, das alles. Und ein bisschen so, als hätten die frühen Miesepeter mit ihrer Kritik an der Oberflächlichkeit des veroperten Faust gar nicht so falschgelegen.
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