„Forbidden Zone“: Theater in Großaufnahme
Bühne frei fürs Film-Bild: „Forbidden Zone“ zeigt bei den Salzburger Festspielen eine beeindruckende Multimedia-Inszenierung.
Kameraeinsatz auf der Bühne, Film als dramaturgisches Werkzeug, Projektion als zweite Spielebene und Verfremdungseffekt, Nahaufnahmen als Sehfutter: Das kennt man nun seit langem aus dem Theater. Doch die Salzburger Festspiel-Uraufführung „Forbidden Zone“, die vom Leben dreier ungewöhnlicher Frauen und dem über Generationen weiterwuchernden Trauma des Ersten Weltkriegs erzählt, geht viel weiter.
Was wir sehen, ist die Aufführung von 75 Minuten Dreharbeiten als fertiger Film – ein Staunen machendes multimediales Zauberkunststück, zu dem auch Sound- und Lichtdesign beitragen.
Kino und Theater verschmelzen
Am Spielort auf der Pernerinsel in Hallein verschmelzen Kino und Theater auf höchst artifizielle Weise. Und der Zuschauer weiß am Ende nicht: War ich im Kino oder im Theater? Habe ich einen Film gesehen oder ein Stück? Die viel beachtete britische Regisseurin Katie Mitchell, 50, und ihr Team setzen in „Forbidden Zone“, einer Salzburger Co-Produktion mit der Berliner Schaubühne, auf die Suggestivkraft von Filmbildern. Der minutenlange Todeskampf eines Soldaten und Giftgasopfers ist dabei der beklemmendste. Diesem radikal visuellen Erzählstil ordnen sie alles unter – und opfern dabei einiges an Tiefe und Substanz ihrer Geschichte, die der britische Dramatiker Duncan Macmillan (Jahrgang 1980) mit perfektem „Suspense“-Timing als eine Art Krimi geschrieben hat. Im Zentrum: Das Schicksal der Clara Immerwahr (Ruth Marie Kröger), Ehefrau des später mit dem Nobelpreis geehrten Chemikers Fritz Haber, der im Ersten Weltkrieg für Deutschland das Giftgas entwickelte, das den Tötungswahnsinn in eine teuflisch-tückische Dimension trieb. Clara begehrt vergeblich gegen den Chlorgas-Einsatz auf – und tötet sich. Ihre Enkelin Claire (Jenny König) arbeitet nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA in einem Labor, das Gegenmittel zu Giftgas erforscht. Der Schatten der Vergangenheit und die Last der Familiengeschichte (von Fritz Habers Chlorgas führt ein direkter Weg zum Zyklon B der Nazis) holen sie ein. Als die Army 1949 das Programm stoppt, begeht auch Claire Suizid. Als Vermächtnis hinterlässt sie das Eiserne Kreuz von Fritz und die karge Zeitungsmeldung vom April 1915 über den Freitod einer angeblich nur „unglücklichen“ Ehefrau – Clara.
Neben den beiden Frauen, deren Freitod in einem Plot zeitgleich inszeniert ist, stellt Macmillan eine fiktive Person: Kate, eine Krankenschwester, die mit Claire im Labor arbeitet, aber zunächst keine Ahnung von der Familiengeschichte des Fräulein Haber hat. Vorbild für Kate ist die Amerikanerin Mary Borden, die im Ersten Weltkrieg als Krankenschwester in Frontlazaretten arbeitete und ihre Erfahrungen in dem Buch „Forbidden Zone“ (Verbotene Zone) literarisch verarbeitete. Ihre lyrische Kraft ist eine der Entdeckungen des Abends. Claires letzter Lebenstag und ihre U-Bahnfahrt zum Suizid ist die lineare Echtzeithandlung auf der Bühne. Davon ab gehen Erinnerungen, Rückblenden – gespielt in Kabinetten, zusammengefügt als Filmhandlung. Ergänzt wird die wortkarge Inszenierung von Zitaten aus Texten von Virginia Woolf, Simone de Beauvoir, Hannah Arendt – und natürlich Mary Borden.
Stürmischer Applaus für „Forbidden Zone“
Nicht nur aufgebrochen, sondern aufgehoben ist die Distanz zu Schauspielern und Bühne. Kameras im Liveeinsatz „übersetzen“ Szenen auf die Leinwand. Holen heran, splitten und addieren Perspektiven. Das ist mehr als High-Tech-Opernglas. Es ist Verwandlung des Sichtbaren in Illusion. Mimik, Gesten, Details – auf dem Rechteck über der Bühne entsteht eine eigene, zweidimensionale Wirklichkeit. Wir sehen Leuten beim perfekten Verfertigen von Verführungskunst zu. Das Making-of spielt bei diesem Filmtheaterabend eine Hauptrolle. Gebanntes Publikum, Stille im Saal. Am Ende stürmischer Applaus.
Weitere Aufführungen am 2., 3., 5., 7., 9. und 10. August
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