Günter Sobeck eröffnete das erste Multiplex-Kino im Allgäu
Günter Sobeck hat vor 20 Jahren das erste Multiplex-Kino im Allgäu eröffnet. Der Film bestimmt aber schon sein ganzes Leben. Warum das Kino nicht ausstirbt.
Er könnte es noch, zweifellos. Günter Sobeck erzählt von kiloschweren, riesigen Rollen, die er einst als Filmvorführer wuchtete. Von Zelluloidschnipseln, die jeden anderen in den Wahnsinn trieben, seine Leidenschaft als Filmrestaurateur aber nur anstachelten. Es gab die verhunzten Kopien voller Kratzer und schadhafter Klebestellen, mühsam zu reinigen und erneuern. Deren Schrammen, wenn sie im warmen Wasserbad nicht von Geisterhand verschwanden, er lackierte oder herausquetschte. Bild für Bild. „Das Aceton stank fürchterlich“, sagt der Kinobetreiber aus Kaufbeuren, der seine Lehre einst im Münchner Filmkopierwerk absolvierte. Und dann das.
Sitzt der Sobeck kürzlich beim Friseur. Da bedauert eine junge Frau, dass heute niemand mehr echte Filme im Kino zeige. Also solche, auf denen auch mal ein Staubkorn zu sehen sei. Da ist der 68-Jährige baff. „Manchen sind die digitalen Bilder heute zu steril.“ Hat er schon geahnt. So sei das ja auch mit der Renaissance der Schallplatte.
Dem Kino wurde schon oft der nahe Untergang prophezeit
Das Kino ist tot, lang lebe das Kino. Wie oft der Untergang der Lichtspielhäuser in den vergangenen Jahrzehnten schon prophezeit wurde, hat Sobeck nicht gezählt. Als die Fernseher Mitte des vergangenen Jahrhunderts in die Haushalte einzogen: Kinosterben. Wie die Privatsender in den Achtzigern aufkamen: leere Säle. Dann die Videorekorder, die DVDs: der Tod aller Filmtheater. Ein Verteilungskampf, ja. Aber die große Leinwand hat ihren Reiz behalten. Heute werden die Kinos immer größer, die Betreiber rüsten auf und investieren. In Vorführtechnik, bequemere Sitze, glitzernde Foyers mit Bistros, riesigen Popcornmaschinen und Nacho-Bars. „Alles muss first class sein“, sagt Sobeck, der seit vier Jahrzehnten selbstständig ist und die Kinolandschaft in der Region entscheidend mitgeprägt hat. Vor 20 Jahren eröffnete Sobeck das erste große Multiplex-Kino im Allgäu. „Wirtschaftlich geht es mir gut“, sagt er heute, „auch wenn die goldenen Zeiten vorbei sind.“
Behält Sobeck recht, stehen harte Jahre erst noch bevor. Schon jetzt spüren viele Kinobesitzer die TV-Streamingdienste. Serien, Spielfilme, Dokumentationen auf dem Flatscreen daheim, wann immer man will. Das Monatsabonnement von Netflix ist mitunter günstiger als ein Kinobesuch. Fast jeder vierte Deutsche nutzt laut einer Studie von ARD und ZDF diese Online-Angebote. „Dabei kann es kein Internetanbieter mit einer Leinwand aufnehmen“, sagt Sobeck. Wer das verstehen möchte, muss seine Geschichte kennen.
Die Familie machte Sonntags immer einen Ausflug ins Kino
Heinz Rühmann, der große Schauspieler und Regisseur, schenkte Mutter Sobeck Maiglöckchen, als Günter in München zur Welt kam. Der Vater arbeitete zu der Zeit in Rühmanns Produktionsfirma als Filmgeschäftsführer. „Damals war es üblich, Sonntagnachmittag ins Kino zu gehen“, erzählt Sobeck. Die Zeitung auf dem Tisch ausgebreitet, wurde der beste Film aus den dutzenden Kinos ausgewählt. „Dann haben wir uns schick gemacht“, sagt er kichernd. „Man ist ausgegangen.“ Rühmann war sein erster Star. Die Feuerzangenbowle verstand der Pimpf noch nicht. Bei „Ein Mann geht durch die Wand“ lachte er Tränen.
Kein anderer Streifen hat Sobeck später so geprägt wie „Ben Hur“, freigegeben ab 16 Jahren. Er sah ihn als Zehnjähriger. Mit seinem Vater saß er im Royal-Palast, ein Platz auf dem großen Balkon, erste Reihe, Mitte. Niemand vor ihm, nur er und die Leinwand. Vier Stunden Drama, gewaltige Bilder, 70-Millimeter-Format, Sechs-Kanal-Stereoton, in Technicolor. „Und das Beste“, sagt er, „war die 0,25-Liter-Flasche Coca-Cola in der Pause.“ Bestimmt 40-mal hat Sobeck den Monumentalstreifen bis heute gesehen.
Als Statist spielte Sobeck eine Hitlerjungen und bekam dafür 20 Mark
Der Schüler Günter verbrachte die Sommerferien in den Bavaria-Filmstudios, wo sein Papa die Schauspieler aus der Tageskasse bezahlte. Die Amerikaner drehten dort gerade die „Wikinger“ mit Kirk Douglas, im Wasserbassin und vor Holzkulissen. „So ernüchternd das aussah, so faszinierend war es später im Kino“, sagt er. Sobeck übernahm damals auch Statistenrollen, wofür der Vater sorgte, spielte einen Hitlerjungen, verdiente 20 Mark. Mit dem französischen Schauspieler Fernandel („Don Camillo“) aß er im Wohnwagen zu Mittag. Später, als Sobeck im Filmverleih arbeitete, brachte sein Chef eine Filmrolle aus Tel Aviv mit. „Lag lange in der Ecke“, erinnert er sich, „aber tolle Musik.“ Abends schaute sich die Runde den Streifen im Büro an, der Auftrag zum Synchronisieren wurde erteilt, ein deutscher Titel musste her. 1978 war das der Grundstein für die kultige Teenager-Klamotte „Eis am Stil“.
Die Bezahlung im Angestelltendasein damals war miserabel. Sobeck und seine Frau eröffneten in Kaufbeuren ihr erstes Filmtheater. Der Kriegsfilm „Die Wildgänse kommen“ und das Musical „Grease“ versüßten den schwierigen Start. „Solche Filme haben richtig eingeschlagen.“ Die Idee für den nächsten Schub Gäste brachte ihm ein Urlaub auf der Ostseeinsel Fehmarn, wo die Sobecks ein Kino kennenlernten, in dem die Gäste rauchten, aßen und tranken. Zurück in Kaufbeuren, baute er um, nahm jede zweite Reihe heraus und brachte die Idee aus dem Norden ins Allgäu. „Die Leute waren begeistert, die Bude war voll“, sagt er.
Das "Erotische Nachtstudio" machte Kaufbeuren in der ganzen Region bekannt
Ende der 1970er Jahre legte ein Vertreter Streifen des Beate-Uhse-Filmverleihs aus Flensburg auf den Tisch. Pikantes Material dieser Art durfte im Kino aber nicht gezeigt werden, also bediente sich Sobeck eines Tricks: Nach dem Abspann am Ende des Tages eröffnete der Chef erneut, dann aber als Gaststätte mit Filmvorführung. „Das erotische Nachtstudio“, wie er es nannte, war geboren und machte Kaufbeuren in der ganzen Region einschlägig bekannt. Zwölf Mark Eintritt, zwei Getränke inklusive. „Ganz gemischtes, braves Publikum“, staunt Sobeck immer noch. Lang ist es her.
Schwarzenegger, Stallone und Willis prügelten und ballerten fortan auf der Leinwand. Doch wieder sind es nicht die großen Actionstars, die in Sobecks beruflicher Rückblende die Hauptrolle spielten. Es war das Jahr 1985, viele Lichtspielhäuser litten unter dem Angebot der Privatsender im TV, sogar die öffentlich-rechtlichen Sender zeigten schon abendfüllende Hollywood-Produktionen, als der Komiker Otto Waalkes seinen Streifen „Otto, der Film“ in Elstners ZDF-Show „Wetten, dass..?“ vorstellte. Kaufbeuren feierte gerade sein historisches Kinderfest. Sobeck rechnete mit leeren Kinosälen. Als er sein Lichtspielhaus in der Innenstadt aufsperrte, standen schon die Massen vor der Tür. Otto sei nicht weniger als der Retter der deutschen Kinos, sagt der Unternehmer.
Der Alltag in seinem Haus sieht heute anders aus. Acht Säle und 1500 Sitze hat sein Corona Kinoplex, 16 Streifen sind laufend im Programm. Als erster Film rührte dort vor 20 Jahren „Titanic“ die Besucher. Weil Sobeck von Berufs wegen weiß, was eine gescheite Dramaturgie ist, erzählt er noch diese Story: Niemand anderes als Michael „Bully“ Herbig sei dafür verantwortlich, dass sein Kino vor Jahren um drei Säle erweitert wurde. Bezahlt hat er das mit dem Erlös der Eintrittsgelder von dessen Streifen „Der Schuh des Manitu“. Das Gag-Feuerwerk sahen in seinem Kino mehr Besucher, als Kaufbeuren Einwohner hat. „Die Menschen wollen im Kino gemeinsam lachen oder weinen“, weiß er. Man mag das altmodisch finden.
In Deutschland gibt es wieder mehr Kinosäle
Doch in Deutschland gibt es so viele Kinosäle wie seit zehn Jahren nicht mehr, meldet die Deutsche Filmförderungsanstalt in Berlin. Der Erfolg der Branche hänge natürlich von guten Filmen ab, sagt ein Sprecher. Der Streifen „Fack ju Göthe 3“ ist ein Beispiel dafür. Er war der bundesweit erfolgreichste Film im vergangenen Jahr, vor allen amerikanischen Blockbustern.
Deutsche Filme und deutsche Vorführtechnik sind bei Sobeck hoch angesehen. Vielleicht war es sogar eine Fügung, dass er seine Heimat mit anfangs zwei kleineren Lichtspielhäusern und dann dem ersten Multiplex-Kino im Allgäu ausgerechnet hier fand. Der Unternehmer zeigt auf einen riesigen Projektor, der als Kulisse dient. „Vorführtechnik, made in Kaufbeuren“, sagt er. Das Gerät stammt aus dem vor Jahren geschlossenen Werk der Firma Kinoton, die Geräte dieser Generation nicht nur in Sobecks Kino, sondern in alle Welt und sogar nach Hollywood lieferte. Mehrfach hat das Unternehmen dafür den Technik-Oscar bekommen. Der Unterschied zur heutigen Technik zeigt sich in wenigen Zahlen: 90 Minuten Film sind 2500 Meter Zelluloid, die auf fünf Rollen passen. Gesamtgewicht: 25 Kilogramm. Das ist die alte Zeit, die analoge.
Heute ist das ein Datensatz, der auf eine Handteller große Festplatte passt. Das ist die neue, digitale Zeit, die 2009 mit „Avatar“ eingeleitet wurde. Statt riesiger Maschinen kleine Computer, mit denen die Filme heute gezeigt werden. Sobeck schätzt die neue Technik, aber die alten 35-Millimeter-Projektoren – das ist Liebe. „Warum sollen die im Keller verstauben?“, sagt er. Seine Hand streicht über die Maschine: „Scheckheftgepflegt.“
Im Kino nur Filme zu zeigen reicht heute nicht mehr
Reichen gute Filme und Leidenschaft für wirtschaftlichen Erfolg? Nein, sagt Sobeck. „Es ist harte Arbeit, sich immer wieder neu zu erfinden.“ 3D-Filme, Open Air, Arthaus, Sondervorstellungen, Übertragungen zur Fußball-WM – alles bietet die Branche in den Filmpalästen an oder probiert es zumindest aus. Sobeck hat regelmäßig auch Opern-Übertragungen im Programm. „Die spielen mehr ein als mancher Film“, sagt er. In der Pause werden Prosecco und Häppchen gereicht, so richtig mit Stil. Er hat einen Saal auch schon vermietet, damit sich ein Ehepaar sein Hochzeitsvideo noch mal anschauen kann. Warum die Filmtheater nicht zu Bühnen und Mehrzwecksälen machen, warum nicht Serien zeigen, einen Cineasten-Club einrichten?
„Ben Hur“ soll den Anfang machen. Nächstes Jahr wird das mit elf Oscars prämierte Werk 60 Jahre alt. Dann zeigt ihn Sobeck in seinem Kino, digital aufbereitet, bei freiem Eintritt. Mit Gong und Pause. Er will ihn händisch vorführen. Das heißt, mit Vormusik und so, dass mit dem ersten Bild der Vorhang aufgeht. „Die Besucher dürfen die weiße Leinwand nicht sehen, wie es früher üblich war“, sagt er.
Günter Sobeck steht nun im Bistro und schaut auf den Parkplatz hinunter. Das Science-Fiction-Epos „Jurassic World“ mit glänzend animierten Urviechern ist angelaufen. Teil fünf. Bestes Popcorn-Kino. Die Kids stehen vor seinem Corona Kinoplex, auf ihren Smartphones laufen schon die Trailer. Sobeck hat dort ein Straßenschild installiert. Für sein Idol aus alten Zeiten, den nur die älteren Besucher noch kennen. Ihm ist er gewidmet, der Heinz-Rühmann-Platz.
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