Hamlet am Theater Augsburg: Innenschau eines Grüblers
Der amerikanische Choreograf Stephen Mills zeigt am Theater Augsburg „Hamlet“ – und wie man Worte überzeugend in expressive Körpersprache übersetzt.
Shakespeare all überall! Ein viel beachtetes Ereignis war es kürzlich, als Filmstar Benedict Cumberbatch in London den „Hamlet“ gab. Aktuell in den Kinos macht eine „Macbeth“-Verfilmung von sich reden und auch im Theater Augsburg huldigt man dem großen Dichter und seinen universellen Stoffen in dieser Spielzeit mit einigen Inszenierungen.
Wie aber findet die Gedankenwelt, die Wortgewalt Shakespeares ihren Ausdruck, wenn Sprache nicht zur Verfügung steht – und das gerade in einem Drama wie „Hamlet“, in dem inneres Geschehen und psychologische Motivation wesentlich sind? Dem amerikanischen Choreografen Stephen Mills gelingt dies überaus überzeugend und begeisternd in seinem „Hamlet“-Ballett, das am Samstag im Theater Augsburg vom Premierenpublikum mit Ovationen bedacht wurde.
Mills konzentriert sich in dem im Jahr 2000 uraufgeführten Ballett, das er nun erstmals für eine europäischen Bühne einstudierte, darauf, wie die Titelfigur sich immer mehr in ihren Schuldgefühlen verstrickt. Wie Hamlets Beziehungen dadurch zu den anderen Figuren geprägt werden, stellt er in den Vordergrund. Dafür strafft er die Handlung, die der sterbende Hamlet in der Rückschau an sich vorüberziehen lässt, und spaltet die Figuren Hamlet und Ophelia in manchen Szenen in vier Tänzer. In der Körpersprache, in Gesten und Schritten offenbaren die Figuren ihre Haltungen und Seelenzustände, werden ihre Konflikte offensichtlich – und berühren nachhaltig.
Wenn Hamlet der Geist des Vaters erscheint, den Erich Payer im blutbefleckten weißen Mantel als respektablen Herrscher verkörpert, dann ist offensichtlich: Hier wird mehr geboten als gebeten, den Mord an ihm zu rächen und man kann erahnen, dass das Verhältnis zum Vater schon immer weniger von Liebe als der Einforderung von Gehorsam geprägt wurde. Umso größer nagt in Hamlet das Bewusstsein, versagt zu haben, als er statt des Mörders Claudius durch Zufall den lauschenden Polonius ersticht und dadurch auch dessen Tochter Ophelia in den Wahnsinn treibt. Einfühlsam interpretiert Ana Dordevic diese mädchenhafte Ophelia, die nicht weiß, wie ihr geschieht, als Hamlet sie auf einmal zurückweist, und die zum Opfer eines Spiels unter Männern wird.
Hamlet am Theater Augsburg bietet viele einprägsame Bilder
Zart tanzt Dordevic diese Szene, ebenso poetisch ist ihr Ertrinken, als sie im Bühnenhintergrund hängend von wellenartigen Lichtprojektionen umspielt wird. Einprägsame Bilder wie diese enthält die Aufführung viele, weil Bühnenbild (Mills), Licht (Kai Luczak) und vor allem auch die Kostüme (Darko Petrovic) den Tanz atmosphärisch mit in Szene setzen. Wenn Königin Gertrud sich nach dem Tod des Polonius einem furiosen Gefühlsausbruch ergibt, dann schwingen nicht nur die Beine, sondern auch die vielen Schichten aus Tüll und Seide dramatisch. Eveline Drummen verkörpert diese Königin faszinierend und ambivalent zwischen erotisch aufgeladener Majestät und mütterlicher Sorge.
Stephen Mills kombiniert in seiner Choreografie neoklassische Elemente mit zeitgenössischem Tanzstil und fügt beides in einem lyrisch-fließenden und zugleich sehr expressiven Ausdruck zusammen – immer exakt im Zusammenspiel mit der Musik. Wie für dieses Stück gemacht erklingen die Kompositionen von Philip Glass, die zusammengestellt wurden aus verschiedenen Film- und Ballettmusiken sowie dem ersten Violinkonzert des Minimal-Musikers. Es bestimmt den zweiten Akt, in dem am Schluss nicht nur eine Familie, sondern auch ein ganzes Herrschergeschlecht ausgelöscht sind, und gibt ihm eine dramatische Zuspitzung, der man sich nicht entziehen kann. Souverän führt Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek die Augsburger Philharmoniker durch Philip Glass’ Klangfluss. Jerôme Benchaim, in der letzten Spielzeit erster Konzertmeister der Augsburger Philharmoniker, setzt dahinein mit seinen Soli virtuose Akzente.
Zum Höhepunkt wird der Blick in Hamlets Gefühlswelt, dargestellt durch die Begegnung mit den anderen Figuren. Grandios ist diese Innenschau des großen Grüblers, die sich in der Choreografie in expressiven Duetten manifestiert. Theophilus Vesel´y brilliert als Hamlet nicht nur in dieser Szene mit großer Virtuosität und Ausdruckskraft ebenso wie mit seiner schauspielerischen Vielseitigkeit. Wer ihn jetzt als tragisch verstrickten, von Unsicherheit, Ängsten und Verzweiflung immer tiefer in ein dramatisches Schicksal Getriebenen erlebt, vergisst, welch lässiger Mercutio er in „Romeo und Julia“ war. Das Ensemble des Augsburger Balletts trat angesichts dieser wie auch der anderen herausragenden Leistungen der Solotänzer zwar in den Hintergrund – großartig und außergewöhnlich ist dieser Abend trotzdem.
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