Ist der Mensch auf dem Weg zum Übermenschen?
Wir sind vom technischen Fortschritt geprägt, zugleich von den Folgen überfordert – und darum gefährdet. Aber Fortschrittsfeindlichkeit kann keine Lösung sein.
Dass Computer schneller und effektiver rechnen, den Menschen längst auch in den komplexesten Spielen wie Schach und Go schlagen – geschenkt. Denn die neuste Kapitulation betrifft einen Bereich, der stets als wahre menschliche Domäne galt: die Fantasie. Erklärt wurde sie ausgerechnet vom neuen Star der Science-Fiction, jener Kunst also, die Fortschritte der Technik in immer noch weiter reichende Zukunftsvisionen verwandelt. Der chinesische Autor Cixin Liu aber sagt nun: Damit sei es praktisch vorbei. Bereits das Smartphone habe weite Teile des zuvor Ausgedachten übertroffen. Der Fortschritt eile einfach zu schnell voran, als dass der Mensch noch mithalten, geschweige denn vordenken könne: „Die Technologie hat unsere Fantasie überholt.“
Man braucht nun nicht besonders viel Fantasie, um zu erkennen, dass das schwerwiegende Folgen für weit mehr als die Kunst hat. Denn wenn der Mensch den Fortschritt sinnvoll gestalten und nicht von ihm unkontrolliert mit umgestaltet werden will, muss er die technische Entwicklung steuern können. Der britische Jurist Jamie Susskind aber schlägt genau da in seinem Buch „Future Politics“ Alarm: „Wir sind noch nicht bereit für die Welt, die wir erschaffen haben.“ Darum veränderten sich unsere Wahrnehmung und unsere Gesellschaften mit tief greifenden und beängstigenden Folgen auch für die Politik. Wer aber könnte das noch regulieren, wer wollte es und hätte die Macht dazu, da doch ungeheure Umsätze durch die Technologie erzielt werden und die künftige Wirtschaft und der Arbeitsmarkt darauf bauen?
Der Unterschied zwischen Mensch und Maschine
Die womöglich einzige Antwort darauf versuchen gleich zwei bekannte deutsche Philosophen in ihren neuen Büchern. Sie fußt auf einem zentralen Satz: „Maschinen können nicht denken.“ Es geht also um einen kategorischen Unterschied zwischen uns und der künstlichen Intelligenz, eine menschliche Qualität, die erst einmal erkannt und dann behauptet werden muss. Warum und wie das gehen soll, dazu gleich. Denn zunächst muss es statt um das Pochen auf den Unterschied um die Verschmelzung von Mensch und Technologie gehen. Das war mal, siehe Cixin Liu, Science-Fiction. Das ist aber heute auch schon ein konkretes Projekt: die Schaffung des Übermenschen.
Und um diese zu erkunden, gibt es vielleicht keinen Besseren als den französischen Schriftsteller Frédéric Beigbeder, Gefährte von Michel Houellebecq, einst berühmt geworden durch den enthüllerischen Roman „39,90“, zuletzt erfolgreich mit dem Buch „Oona & Salinger“. Er ist der passend egomane Geck, um den Traum von der Unsterblichkeit ohne Rücksicht auf die Welt zu verfolgen und den konkreten Versuch zu wagen, den ihm unvorstellbar und unerträglich scheinenden eigenen Tod mithilfe des technischen Fortschritts zu überwinden. „Endlos leben“ heißt das Werk, in dem Beigbeder zu den führenden Forschern reist, um sich beraten zu lassen. Die Gespräche, versichert er, hätten allesamt wirklich stattgefunden. Es geht also etwa in die Klinik des Zellbiologen Yossi Buganmin in Jerusalem, ins Sanatorium VivaMayr in Maria Wörth, in ein New Yorker Gründerzentrum für Genforschung… Aber: Wären 140 Lebensjahre genug? Ist eine Übertragung meines Geistes auf einen Computer schon Unsterblichkeit?
Was dabei herauskommt, ist gut mit den Worten eines der beiden deutschen Philosophen zu beschreiben. Er heißt Markus Gabriel, wurde 2013, gerade mal Anfang 30, mit dem Buch „Warum es die Welt nicht gibt“ zum Shootingstar und vollendet nach „Ich ist nicht Gehirn“ nun mit „Der Sinn des Denkens“ seine Trilogie zu einem „Neuen Realismus“. Darin also schreibt er: „Wer der Mensch ist, hängt davon ab, wie wir uns selber bestimmen. Es liegt in unserer Hand, ob die Zukunft eine Tragödie oder eine Komödie wird. Entscheiden wir uns für die Tragödie, werden wir an unserer Verblendung zugrunde gehen, zu glauben, dass eine weitere Beschleunigung des technologischen Fortschritts die heutigen Probleme irgendwie beseitigen wird… Entscheiden wir uns hingegen für die Komödie, müssen wir die Bedingungen dafür herstellen, dass alle Menschen in die Position gelangen, ihre Selbstbestimmung mit vollen Menschenrechten ausüben zu können.“ Beigbeder also durchlebt Szenen der Tragödie des Übermenschen. Und Gabriel weiter: „Wir müssen uns gegen den Posthumanismus, den Versuch, den Menschen abzuschaffen, wehren. Denn er ist eine Verblendung, die der Selbstvernichtung des Menschen durch seine digitalen Militärapparate zugutekommt. Wer den Menschen zugunsten des Übermenschen überwinden will, verachtet in Wahrheit das Leben.“
Wie Humanismus im digitalen Zeitalter aussieht
Schön. Aber was tun? Dazu muss man zurück zu dem, was Gabriel Selbstbestimmung nennt, und landet bei dem Satz: „Maschinen können nicht denken.“ Den schreibt der andere Philosoph, der Münchner Professor Julian Nida-Rümelin, der vergangenes Jahr in die Leitung des „Zentrum Digitalisierung Bayern“ berufen wurde. Im Buch „Digitaler Humanismus“ zeigt er nun gemeinsam mit seiner Frau, der Kulturwissenschaftlerin Nathalie Weidenfeld, jenen Unterschied auf, den es zwischen Mensch und künstlicher Intelligenz nicht nur zu behaupten, sondern auch zu ermächtigen gelte.
Es geht um eine neue Aufklärung. Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen: Vernunft und Urteilskraft des Menschen sind mehr als Vorlieben in Geschmacksfragen, die ein datenauswertender Algorithmus manipulieren könnte; Denken und Wissen sind etwas Lebensweltliches, Soziales und damit etwas, das auch moralische Orientierung ermöglicht. Der Ausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit: Es geht nicht darum, Fortschritt und Technik zu bremsen, sondern darum, diese zu einem Instrument werden zu lassen, „um unser Leben reichhaltiger, effizienter und nachhaltiger zu machen“. Im Sinne der Menschlichkeit, nicht der Übermenschen.
Die Antwort auf Jamie Susskinds Frage, wer die mächtige Dynamik des Fortschritts aufhalten könne, lautet: jeder Einzelne für sich, die Politik für die Gesellschaft und die Bildung für die Zukunft. Sonst droht: die Tragödie.
Die Bücher:
– Frédéric Beigbeder: Endlos leben. Übs. Julia Schoch, Piper, 352 S., 22 €
– Markus Gabriel: Der Sinn des Denkens. Ullstein, 368 S., 20 €
– Julian Nida-Rümelin und Nathalie Weidenfelder: Digitaler Humanismus. Piper, 224 S., 24 €
– Jamie Susskind: Future Politics. Oxford University Press, 516 S., 19,36 €
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