Hauptsache weiß: Schnee aus Kanonen - und vom Bauern
Von Alaska bis Australien: Zu unserem Bild von Weihnachten gehört der Schnee. Wenn er fehlt, wird er verzweifelt gesucht.
Schnee – wie tröstlich ist doch das Bild einer frisch verschneiten Landschaft. Die strahlend weiße Decke verbirgt Schmutz und Hässlichkeit, die glitzernden Kristalle zaubern einen Glanz in die Welt, der uns beinahe versöhnt mit der immer wieder allzu langen, dunklen Jahreszeit.
Wen wundert’s, dass Weihnachten, das christliche Versöhnungs- und Liebesfest, ohne Schnee undenkbar scheint, und zwar weltweit. Was dazu führt, dass in wärmeren, trockenen Regionen dieser Erde schon immer Schnee in Form von Wattebällchen, Sprays (zur Not tut’s auch Rasierschaum), Vliesmatten, Kunststoffflocken oder auch kompostierbarem Rieselgut um Christbäume, Schaufensterauslagen und Geschenktische verteilt wird.
Das Schneemachen haben also mitnichten die Profiteure des Wintersport-Tourismus erfunden, sondern Romantiker – in Schulterschluss mit Geschäftsleuten, die in ihrer jährlichen Hoch-Zeit durch Weihnachtsstimmung die Einkaufslust befeuern möchten. Aus welchem Stoff ihr Schnee gemacht ist, kümmert sie wenig. Hauptsache romantisch.
Klima reagiert empfindlich auf künstliche Beschneiung
Alles andere als romantisch mutet die Produktion gefrorenen Niederschlags an. Die ist für immer mehr Tourismusorte, die vom Wintersport leben, existenziell wichtig. Denn das Klima ist von unserem hemmungslosen CO2-Ausstoß nicht nur vorübergehend irritiert, sondern nachhaltig beleidigt. Und während auf den höchsten Berggipfeln die Gletscher schmelzen, schmilzt im Tal die einstige Gewissheit, dass der Schnee ganz selbstverständlich und monatelang vom Himmel rieselt, wie es herzerwärmende Adventslieder auch heute noch versprechen.
Also bringen die Menschen Kanonen in Stellung, welche die Flocken in dichten Wolken ausspeien. Wenn es sein muss, Tag für Tag, Nacht für Nacht. In den Allgäuer Bergen können inzwischen 30 Prozent aller Pisten beschneit werden. Schon Wochen vor dem „Ski-Opening“ im Dezember schnurren die Maschinen an den Hängen und hören damit nicht auf bis zum Saisonschluss im April – sofern es dann fürs Schneemachen nicht längst zu warm ist. Die sprichwörtliche Ruhe auf den Bergeshöh’n ist freilich dahin.
Der Ehrlichkeit halber soll nicht verschwiegen werden, dass die Beschneiung nicht nur der Quantität dient, sondern auch der Qualität. Will heißen: Selbst wenn der weiße Segen reichlich vom Himmel fällt, stehen nicht alle Schneekanonen still. Gilt es doch, die Piste für verwöhnte Wintersportler zu walzen, zu modellieren und auszubessern, auf dass sie selbst an Engstellen butterweich bleibe, wo Stahlkanten den Naturschnee längst schon abgeschabt haben. Nein, Skifahrer von heute wollen keine unangenehmen Berührungen mit Gras, Steinen oder blankem Eis.
Skifahren wird immer teurer
Wer Skifahren nicht sowieso für ein unsinniges Treiben hält, hat sich an die Beschneiungsanlagen längst gewöhnt. Er akzeptiert, dass an Hängen Wasser-, Luft- und Stromleitungen verlegt und unterhalb von Gipfeln Speicherbecken ausgehoben werden, damit „Kanonen“ oder wahlweise „Lanzen“ gefrorenen Nebel versprühen können. „Schneesicherheit“ heißt das Zauberwort. Und das hat ja nicht nur für Betreiber von Liftanlagen und Hoteliers enorme Bedeutung, sondern vor allem für die, denen nichts so große Lust bereitet wie der Wintersport. Sie lieben den weißen Guss, der am besten meterdick die Hänge und Flanken überzieht. Um gedanklich mit Wolfgang Ambros, der die ultimative Schneehymne dichtete, auf gut Wienerisch zu jubeln: „Schifoan is’ des Leiwandste, wos ma si nur vurstöll’n ko.“ Den Kick suchen noch immer viele – trotz der horrenden Preise für das Vergnügen.
Übrigens: Nicht nur das Herstellen von Schnee verursacht Kosten, auch das Bekämpfen von zu viel Schnee an unerwünschter Stelle. Während die Liftgesellschaften nämlich mit Maschinen die sogenannte „weiße Pracht“ für die Skifahrer auf die Pisten pusten, beschützen sie mit Hilfe anderer Gerätschaften die Sportler vor dem „weißen Tod“, also vor Lawinen, indem sie gefährliche Schneeansammlungen von neuralgischen Punkten kontrolliert absprengen. Dies ist natürlich vor allem dann nötig, wenn der Winter hält, was wir von ihm erwarten. Wenn also der Schnee in großen Mengen von oben kommt.
Naturschützer sind von all dem Treiben natürlich wenig begeistert. Ihrer Kritik an den Folgeschäden durch künstliche Beschneiung begegnen Liftbetreiber mit Umweltgutachten. Die Skilifte Lech etwa verweisen auf ein in ihrem Auftrag erstelltes pflanzensoziologisches Gutachten. Dieses bestätige, „dass Vegetation und Tierwelt durch frühzeitige Beschneiung keinen Schaden nehmen und die gleichmäßige Schneebedeckung – ganz im Gegenteil – Schutz für die Wiesen bietet“.
Tatsächlich stößt der Wanderer an den Hängen des Bergdorfs am Arlberg im Sommer auf eine reiche Blütenvielfalt. Dass andernorts Pistenschneisen in der schneefreien Zeit wie braune Matsch-Matten an trostlosen Bergrücken kleben, mag ein Hinweis darauf sein, dass sich die Beschneiungs-Diskussion nicht nur um das Ob, sondern auch um das Wie drehen muss.
Nicht nur große Skigebiete nutzen Kunstschnee
Das Aufrüsten in Sachen Schnee beschränkt sich indes nicht auf die großen Skigebiete. Denn unter der Erwärmung der Erde leiden auch Gegenden, die man gemeinhin mit sanftem Tourismus verbindet. Der Luftkurort Scheidegg im Westallgäu testet im kommenden Jahr das „Snow-Farming“. Das Wort verrät schon, worum es geht: Wie der Bauer das Heu lagern die schlauen Scheidegger Schnee für den nächsten Winter einfach schon mal vorher im schattigen Wald ein. In diesen Tagen startet der Versuch, eine Schneekanone soll den Vorrat produzieren, der dann mit einer dicken Schicht aus Holz-Hackschnitzeln eingepackt und über den Sommer gelagert wird.
Ziel ist es, Gästen und heimischen Sportlern ab einem gewissen Datum weiße Loipen zu garantieren. Mal schauen, ob die Scheidegger Schneebauern erfolgreich sind – und was der ganze Aufwand kostet. Die berühmten Wintersport-Destinationen Davos und Livigno jedenfalls praktizieren die Schnee-Vorratshaltung schon.
Wenn die Natur nicht mehr mag, also quasi die Frau Holle das Schütteln ihrer Kissen aufgegeben zu haben scheint, dann machen wir unseren Winter halt selbst! Nicht nur auf den Pisten der Berge und den Loipen im Tal. Auch vor dem eigenen Häuschen können sich unverbesserliche Romantiker inzwischen als Hobby-Schneemacher austoben. Wer seinen Garten in ein Winter-Wonderland verwandeln will, muss nur einen kleinen vierstelligen Betrag fürs Schneekanönchen berappen. In diesem Sinne: Weiße Weihnachten, allerseits!
Die Diskussion ist geschlossen.