Trotz Feinstaub durch Öfen: Ein Lob der Feuerstelle
In der dunklen Jahreszeit gehören Kerzen und Kamin dazu. Hygge oder meschugge? Beides – vor allem aber: schön.
Sie ist wohl Teil der Vorweihnachtszeit wie klebriger Glühwein, die alljährliche, in fast allen deutschen Betrieben und Behörden ausgegebene Mahnung zum Brandschutz in den oft unwirtlichen, wenig heimeligen Büros. Denn merke: Wer da zumindest etwas adventliche Zaubrigkeit schaffen will und zu diesem Behufe womöglich zündelt, übersieht, „dass jede brennende Kerze eine kleine Feuerstelle und damit auch erhöhtes Brandrisiko darstellt“.
Diese Mahnung, nicht nur aus versicherungstechnischen Gründen vermutlich durchaus sinnvoll und angebracht (klebriger Glühwein! Abteilungsweihnachtsfeier!), sagt aber vor allem einiges aus über das seit Jahrtausenden ambivalente Verhältnis der Menschen zum Feuer, ein Verhältnis, das in seiner Vielgestaltigkeit selbst heute noch und gerade jetzt, um diese Jahreszeit, wieder deutlich aufscheint. Auf der einen Seite eben die lebenswichtige, auch tröstliche Wärme der Flamme, auf der anderen die zerstörerische, auch todbringende Gefahr. Was, ungeachtet aller schockierend dummen Schlagzeilen wie die von Focus Online („Schockierender Test zeigt, wie schnell ein Christbaum in Vollbrand geraten kann“), vielleicht auch irgendwie zusammengehört.
Ohne Feuer kein Fortschritt
Man kann nun dieses Prometheus-Dings überspringen, jene griechische Sagengestalt, die den Menschen das Feuer gebracht und damit Macht; man kann einfach mal so stehen lassen, dass ohne das Feuer und die damit einhergehende Fähigkeit, Nahrung etwas bekömmlicher zu gestalten, Metall zu bearbeiten, ja sogar klebrigen Glühwein zuzubereiten, so etwas wie der so genannte Fortschritt nicht denkbar gewesen wäre – was man jedoch nicht kann ist: dem Feuer Macht über uns abzusprechen.
Denn wer hat noch nie in eine Flamme geschaut und sich in ihr verloren?
Der Autor verschweigt an dieser Stelle jedenfalls nicht, als zwölfjähriger Zündler bei ebendiesem Schauen ins Feuer auf den Gedanken gekommen zu sein, dass genau die Kraft, die der Baum gebraucht hat, zu wachsen, nun in den Flammen entweicht, was ihn sich sofort aufgeregt für ein Genie, quasi für den Entdecker des Energieerhaltungssatzes halten ließ – nur um dann irgendwann festzustellen, dass es den schon längst gab und das Ganze überdies doch ein bisschen komplizierter ist.
Feuer war früher auch Frauensache
Aber es sind ohnehin weniger die physikalischen Aspekte, die uns heute, wo wir unser Mammut-Schnitzel oder Steak vom Säbelzahn in der Regel nicht mehr über einer Grube voll glühender Holzkohle zubereiten, am Feuer faszinieren. Wobei, ein bisschen Höhlenmensch steckt schon noch drin in uns, was auch der US-Anthropologe Daniel Fessler bestätigt. These: Weil das Feuer für die Menschen früher so überlebensnotwendig war, streben wir auch heute noch danach, es zu beherrschen. Es ist also dieser evolutionspsychologische Kern, der schon Kinder zündeln und manche Männer damit nicht aufhören lässt. Hinzu kommen aber natürlich auch noch allerhand kulturelle Einflüsse, so dass es nicht wundert, dass ausgerechnet heute, in Zeiten von Entfremdung und Entzauberung, beispielsweise Magazine mit großen Lappen Fleisch vorne drauf erscheinen und Bücher wie „Die Kunst, Feuer zu machen – Das Buch für echte Männer“. Als ob es dem verunsicherten Geschlecht in seiner Orientierungslosigkeit irgendwie helfen würde, den Kamin für den erträumten kuscheligen Abend zu zweit mittels eines Fiedelbohrers („mit dem simpleren Quirlbohrer eng verwandt“!) anzuzünden.
Zumal das Feuer – wie so viele wichtige Dinge – früher ja durchaus auch Frauensache war, doch die halten sich heute oft lieber an Kerzen und einem Becher Kakao, während sie durch die neueste Ausgabe von Hygge, der Landlust für Akademiker und Frauen mit Niveau, blättern. Wobei sich Häme eigentlich verbietet, weil auch die ganze klebrige Hyggeligkeit mit ihren Kerzen, Decken, Düften, dieser Trend hin zum analogen, warmen, schönen sich nur zu gut aus der heutigen Zeit erklären lässt. Und jetzt, wo zum kalten Wind der digitalen Globalisierung noch der zugige Dezember kommt, ist ja sozusagen Hygge-Hochzeit.
Feinstaub-Belastung durch Holzöfen ist groß
Um nicht missverstanden zu werden: Der dunklen Jahreszeit Licht entgegenzusetzen, ist seit je ein psychologisch durchaus cleverer Kniff des Menschen, der gerade auch Weihnachten („Ich bin das Licht der Welt“) erstrahlen, sich jedenfalls nicht so einfach mit einer Energiesparlampe ersetzen lässt. Nur muss es denn immer gleich eine ganze Mode werden? Apropos: Erst neulich war in dieser Zeitung zu lesen, dass der Kachelofen wieder voll im Trend sei, nachdem zuvor jahrelang Schwedenöfen in die Passivhäuser der Republik gewuchtet wurden. Insofern also fast vernünftig, da Letztere im Gegensatz zu Kachel- oder gar Grundöfen vor allem kurzfristig und auch kurzwellig Wärme abgeben und je nachdem mehr Holz brauchen – wofür dann aber immerhin durch die rußige Scheibe selig auf die Flammen geschaut werden kann. Ziemlich hyggelig also. Auf der Bank eines Speicherofens zu sitzen aber, der langsam abstrahlt, während man es im Inneren noch ab und an knacken hört – megahygge!
Und ein bisschen meschugge allerdings auch. Denn während man vor nicht allzulanger Zeit noch froh um seine Zentralheizung war, wird jetzt wieder ordentlich eingeschürt, während auf der einen Seite Fahrverbote in Innenstädten verhängt werden und Menschen gegen Kohlekraftwerke auf die Straße gehen, wird nach der Demo schön Feuerchen gemacht. Und das in mittlerweile über elf Millionen Öfen in Deutschland. Laut Umweltbundesamt übersteigen die Feinstaub-Emissionen aus kleinen Holzfeuerungsanlagen mit etwa 24000 Tonnen mittlerweile die aus den Motoren von Lkw und Pkw. Und das Umweltministerium hat gar ausgerechnet, dass in einer Stunde Holzfeuer ungefähr so viel Staub entsteht, wie bei einer Fahrt über hundert Kilometer mit einem Euro-6-Diesel – je nach Ofentyp, Holzbeschaffenheit und Art des Feuers natürlich (und wie die Erfahrung lehrt: bei unserer Autoindustrie weiß man eh nie), aber dennoch ziemlich irre.
Feuer immer von oben anzünden
Aber eben auch irre schön, so ein Feuer. Aus all den besagten Gründen und noch viel mehr, vor allem aber auch: Weil nichts die Wahrnehmung samt dem ganzen im Hintergrund stets mitratternden Erkenntnisapparat so entlastet wie eine Flamme, die da ist und doch nicht, ephemer, stets in Bewegung und doch still, keine feste Form hat und doch alle, nicht festzuhalten ist und also – vielleicht – ja doch nicht ganz von dieser Welt.
PS: Ach ja, Feuer immer von oben anzünden, also dicke Scheite unten, oben das dünne Zeugs, dann entwickelt sich, auch und gerade im Freien, ein natürlicher Kamineffekt, das Feuer ist halbwegs schadstoffarm und gelingt vor allem fast immer. Zumal ein erstmal lang vor sich hin kokelnder Haufen Holz – „Wo ist der Spiritus, Schatz!?“ – auch nicht wirklich zaubrig ist. Jedenfalls, hilft ja nix: Feuer frei!
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