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Heile Welt? Zumindest sieht es auf diesem Bild aus Ustersbach im Landkreis Augsburg so aus. Aber was verbindet die Menschen hier...

Warum wir Heimat-Schutz brauchen

Foto: Marcus Merk (Archiv)

Wir reden gerade viel über Identität und Identitätssuche. Dabei verstehen sich – das zeigte auch der bayerische Wahlkampf – schon Stadt und Land nicht mehr.

Vor einiger Zeit war ich Gast in einer Diskussionsrunde. Es ging, natürlich, um Deutschland und die Flüchtlingsfrage, die Zerrissenheit unserer Nation, auch das Gefälle zwischen Stadt und Land sowie das zwischen Arm und Reich. Eine meiner Mitdiskutantinnen, leitende Redakteurin einer eher links orientierten Regionalzeitung mit stolzer Vergangenheit, forderte dabei immer wieder, aufgebracht, an den kleinen Mann und die kleine Frau zu denken, also jene, die fernab der Berliner Blase lebten, auch in der Provinz, so oft belächelt.

Als die Runde vorbei war, debattierten wir weiter, natürlich auch die geschätzte Kollegin. Nur kamen weder der kleine Mann noch die kleine Frau mehr in ihren Ausführungen vor. Oder doch: als Feindbild. Denn die Journalistin war erkennbar unzufrieden damit, dass sich so viele ihrer Leser nicht im Berliner Regierungsviertel tummelten oder zumindest einer vergleichbaren deutschen Großstadt, sondern in ländlichen Regionen. „Auf das Lokale und die Leser auf dem Land habe ich so gar keinen Bock“, sagte sie und fasste sich theatralisch an die Stirn, als wolle sie allen zeigen: Ich zeige Euch den Vogel, ihr Provinzler da draußen.

Mich hat dieser Eindruck nicht mehr losgelassen. Nicht weil ich der Enthüllung von Scheinheiligkeit beiwohnen durfte, obwohl auch die eindrucksvoll war. Sondern weil sich der Austausch einfügte in meine sehr persönliche Erfahrung der vergangenen rund zehn Monate.

Denn ich bin an einen Ort gezogen, der keineswegs klein ist, rund 300.000 Einwohner stark, die drittgrößte Stadt Bayerns, aber den gestandene Berliner Hipster natürlich „Provinz“ nennen: nach Augsburg. Vor meinem Dienstantritt als Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen und ihrer Heimatzeitungen habe ich lange im Ausland gearbeitet, als USA- und Europakorrespondent bei überregionalen Magazinen, in Washington, in Brüssel, in Berlin. Meine jeweilige Wohngegend dort als hipsterlastig zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung gewesen. Freunde amüsierte der Gedanke, dass ich jemals mehr als 200 Meter entfernt von zwei (Programm-)Kinos, drei angesagten Restaurants, vier abgedrehten Bars und fünf im Werden entstehenden Hotspots wohnen würde. Mir war also durchaus bewusst, dass meine Entscheidung manche überraschen würde.

Das wahre Leben spielt sich nicht nur in Berlin ab

Und doch wurde vor allem ich überrascht in diesem Jahr, von zwei Entdeckungen: wie unheimlich vielen der Menschen, die ich kenne und als weltoffen schätze, die Welt jenseits eines kleinen Zirkels von Metropolen ist. Und, zweitens, wie fremd, ja feindlich, umgekehrt diese Metropolen, vor allem aber unsere Hauptstadt, denen geworden ist, die sich in der Provinz zu Hause fühlen.

Die Beispiele dafür sind zu häufig, um sie aufzuzählen: Zwar erreichten mich zahllose Glückwunsche zur neuen Aufgabe. Sie waren aber in aller Regel mit einem „aber“ versehen. Gewiss, die Zeitung sei sehr groß, eine stolze Regionalzeitung mit überregionaler Ausstrahlung, die Position prestigeträchtig. Aber: Ob es denn auch einen ordentlichen Provinzzuschlag gebe?

„Ich sage dir, du wirst einfach eingehen, wenn du in Augsburg wohnst“, sagte ein guter, aber zu Drastik neigender Freund. „Eingehen wirst du“, wiederholte er eindringlich. „Einfach eingehen.“

Sicherlich, sagten andere, die Region sei reizvoll und wohlhabend. Aber ob ich schon einmal versucht habe, dort einen Film auf Englisch zu sehen? Oder mit Untertiteln? Das gäbe es dort ja schon deswegen nicht, weil die ganzen Untertitel künftig für mich gebraucht würden, damit ich die Leute überhaupt verstände. Vor allem, wenn ich durch das (riesige) Verbreitungsgebiet der Zeitung reisen würde, nach Krumbach, nach Landsberg, nach Illertissen, auch nach Füssen....

Und was sei überhaupt mit Wohnungen, „da auf dem Land“, nicht nur Klöster und Kirchen? Würde man mir einfach einen Flügel des Fugger-Schlosses frei räumen, oder gleich ein Büro in der Staatskanzlei? Medien, die nicht per Standleitung der CSU unterstünden, gäbe es in Bayern ja ohnehin nicht.

Eine Kollegin hörte sich ausführlich an, was für mich auch durchaus ein journalistisches Motiv gewesen war. Dass ich in meiner Zeit als Korrespondent nämlich hatte erfahren müssen, wie wir (Metropolen-)Korrespondenten viele Entwicklungen jenseits der Metropolen gar nicht mitbekamen oder ignorierten.

Die wahren Gründe für den Trump-Aufstieg in den USA etwa oder die schleichende islamische Radikalisierung vieler junger Belgier, die sich eben nicht im Brüsseler Europaviertel abspielte, sondern in den abgehängteren und ländlicheren Regionen des Landes.

Die Kirche im Dorf lassen, tut auch in Wahlkampfzeiten mal gut. Im Bild der Kirchturm von Horgauergreut im Landkreis Augsburg.
Foto: Marcus Merk (Archiv)

Nun reizte mich eben neben den vielen anderen Facetten der neuen Aufgabe auch die Möglichkeit, direkt herauszufinden, warum etwa gar im boomenden Bayern die AfD so stark ist und weshalb kulturelle und wirtschaftliche Umbrüche (Digitalisierung!) auch dieses so sichere und reiche Bundesland verunsichern können. Die Kollegin hörte zu, wie gesagt, dann brach es aus ihr heraus: „Könntest du nicht einfach mal ein paar Wochen hinfahren und den Rest von Berlin aus machen?“

Es ist normal geworden, Fakten als diskutierbar abzutun

Umgekehrt war meine Überraschung aber nicht minder groß. Denn die Befürchtung, man könne in meiner neuen Heimat meine vielen Auslandsjahre gegen mich verwenden, erwies sich rasch als unbegründet. Der Bayer (und Schwabe) sieht sich selbst durchaus als Weltbürger.

Was jedoch zuverlässig Panik in die Augen von Gesprächspartnern zauberte, war der Gedanke, dass ich mehrere Jahre in Berlin verbringen musste, dem „Moloch“, der entfesselten Metropole, Sinnbild für alles, was falsch läuft in Deutschland und Heimat der politischen Verbrecher. Jemand fragte mich beim Einzug, als ich Details zum Einwohnermeldeamt erfragte, ehrlich interessiert, ob es in der Hauptstadt so etwas wie Meldeämter überhaupt gebe. Und wie schlimm es sei, diesen ganzen „Politiker-Schmarotzern“ jeden Tag leibhaftig zu begegnen?

Als Journalist, noch dazu als Chefredakteur, ist es nicht meine Aufgabe, über meine Gefühle zu schreiben. Und ich bin auch eher skeptisch, eine eigene Erfahrung zum Mittelpunkt der Welt zu erklären. Aber ich bin auch Bürger. Und gerade als jemand, der nach vielen Jahren im Ausland nach Deutschland zurückgekehrt ist, komme ich mir gelegentlich wie ein Mensch mit Migrationshintergrund vor. Deshalb bin ich vielleicht einen Hauch sensibler geworden für das, was sich bei uns in Deutschland verändert.

Ich habe in den USA die zunehmende Radikalisierung in der öffentlichen und politischen Debatte miterlebt, die Enthemmung, die geifernden Debatten, ob Obama ein Muslim sei und seine Familie von Affen abstamme. Oder die Frage, ob das zusammenpassen könne, ein Republikaner zu sein und ein funktionierendes Herz zu haben. Und auch, wie normal es geworden war, Fakten als diskutierbar abzutun und Experten als abgehobene „Eliten“.

Ich hätte es damals nicht für möglich gehalten, aber vieles davon ist zu uns herübergeschwappt, weit schneller als ich es je erwartet hätte. Als wir gerade Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Live-Interview bei unserer Zeitung empfingen, mussten wir unsere Website sorgfältig kuratieren. Zu häufig prasselte der offen formulierte Wunsch herein, diese Dame doch nicht zum Gespräch, sondern auf die Guillotine zu bitten, gerne gepaart mit der Grundsatzdiskussion, ob es sich bei Frau Merkel anatomisch überhaupt um eine Dame handele.

Das Regierungsviertel ist nicht voller böser Regulierer

Jetzt mache ich mir Sorgen, dass wir Deutsche, bewusst oder unbewusst, eine Entwicklung kopieren, die den USA das politische Herz vielleicht noch mehr herausgerissen hat – und, wenn ich es recht überlege, auch der Europäischen Union. Nämlich die scharfe, die unversöhnliche Kluft zwischen der Hauptstadt und dem Rest des Landes, zwischen den Metropolen und der Provinz. Der Hass auf die vermeintlichen abgehobenen „Eliten“, ob sie nun in Washington oder Brüssel sitzen – und umgekehrt, und ebenso besorgniserregend, die Verachtung dieser Hauptstädter für die da draußen, die vermeintlichen Provinzler.

In den USA ist es Bewohnern in Arizona, in Nevada, in Texas mittlerweile völlig klar, dass Washington genau der Sumpf geworden ist, auf dem die Hauptstadt einst entstand. Diese Entwicklung ist nicht neu, schon Ronald Reagan gewann Wahlen mit dem Satz: „Die furchterregendsten Worte der englischen Sprache lauten: Ich bin von der Regierung und will Ihnen helfen.“ Aber früher saßen die Volksvertreter in Washington wenigstens ab und zu beisammen, es gab es eine Art Kompromisskultur. Nun versuchen sie jeden Aufenthalt dort maximal zu minimieren, manche schlafen auf dem Feldbett im Büro statt in der eigenen Wohnung, aus schierer Angst, sie könnten sonst im Wahlkreis daheim als „Washington-Geschöpf“ karikiert werden.

Kirchtürme gehen in der Skyline der Stadt fast unter: Der Himmel über Berlin.
Foto: arianarama, Adobe Stock (Archiv)

Auch in Europa ist ebenfalls weitgehend Konsens, dass Kommissionsbeamte in der EU-Hauptstadt Brüssel eine Brüder- und Schwesternschaft enthemmter Überregulierer sind, die am liebsten jeden Tag unsere Glühbirnen, Bananen oder Ölkännchen neu regeln würden. Seltsamerweise ist es mir in meinen Jahren als Korrespondent dort eher selten gelungen, diese Leute aufzutreiben, dafür aber durchaus viele, die mit ehrlichem Idealismus und hoher Kompetenz ihre Arbeit verrichten.

Diese Tendenz, dass sich Hauptstadt und Provinz nicht mehr verstehen, dass vermeintliche Elite und vermeintliche Bodenständigkeit nicht miteinander auskommen, habe ich auch in Deutschland mit meinem frisch geweckten Provinz-Instinkt ganz neu mitbekommen.

Ich habe aufgehorcht, wenn im bayerischen Bierzelt die Rede erst einmal damit begann, hier sei man ja unter „vernünftigen Leuten“, und damit eben nicht in der Bundeshauptstadt. Wenn danach in einer langen Aufzählung klar werden sollte, warum Bayern einfach schöner, besser, klüger, reicher, natürlich auch sexier seien als der traurige Rest der Republik. Ich bin aufgeschreckt, wenn ein bayerischer Bundesminister aus seinem Bürofenster auf das Regierungsviertel deutete, das sei eine Blase, nicht das wahre Deutschland, und die müsse man mal ordentlich platzen lassen.

Doch auch die andere Tendenz habe ich als frisch geschulter „Provinzler“ ganz anders wahrgenommen. „Basket of deplorables“, einen Korb voller Abgehängter, hat Hillary Clinton im letzten US-Präsidentschaftswahlkampf abschätzig jene genannt, die Trump nachlaufen. Sie meinte damit vielleicht ehrlich besorgt jene, die nicht mehr mitkommen. Aber es schwang auch jede Menge Elitismus mit gegenüber all jenen, die den Segen der Globalisierung nicht begreifen (wollen) und sich nicht voll und ganz mit dem linken (Salon-)Liberalismus an Amerikas Küsten identifizieren. Dieser Satz hat Donald Trump vielleicht ins Weiße Haus verholfen.

Irgendwann ist es nicht mehr witzig

Die Bayern werden nicht einfach in so einen Korb geworfen, dafür sind sie viel zu erfolgreich und zu wohlhabend. Aber auch ich muss seit Jahresbeginn interessierten Freunden erklären, dass nicht alle meine Augsburger Redakteure ab 11 Uhr morgens Weißbier trinken. Dass Frauen hier nicht einfach nur die Küche und am besten noch den Hof pflegen und im Gegenteil viele Branchen und Bereiche weit progressiver sind (wie übrigens auch die hiesigen Mannsbilder: der Anteil bayerischer Männer, die in Elternzeit gehen, ist außergewöhnlich hoch). Dass es meine Redaktion ziemlich irritiert, wenn Bild-Redakteure aus Berlin es für eine gute Idee halten, zum Söder-Interview in Bayern Dirndl und Tracht anzulegen. Und dass, Stichwort oben, sehr wohl Englisch gesprochen wird auch hier, übrigens meist weit besser als in Berlin, da erfolgreiche Investoren, Tüftler, Erfinder, auch Künstler und Vordenker aus aller Welt hier gerne leben wollen.

Eigentlich müsste ich darüber lachen. Ich mag Klischees und ihre Wirkung. Ich finde es durchaus lustig, sich gegenseitig auf den Arm zu nehmen. Vielleicht würde ich auch lachen, wenn mir diese Frage nicht mittlerweile so verdammt ernst vorkäme. Auch über Donald Trump habe ich lange gelacht, als Korrespondent habe ich eine Geschichte über ihn verfasst, Arbeitstitel: „Der größte Witz Amerikas.“ Dann lachten wir irgendwann nicht mehr.

Und deswegen finde ich es irgendwann nicht mehr so witzig, wenn etwa ein Herr Stoiber, ein Herr Seehofer oder auch ein Herr Söder in Medien quer durchs Land zuverlässig nur noch als politisch Verhaltensauffällige dargestellt werden (wenn sie auch, zugegeben, manche auffällige Volte gedreht haben). Aber dass diese, und auch die CSU, angesichts der bayerischen Bilanz zwischendurch auch mal ganz ordentlich regiert haben müssen, das wird bestenfalls widerstrebend zur Kenntnis genommen, oft versehen mit dem Zusatz: „Die Bayern hatten nach dem Krieg ja auch mehr Glück als Berlin.“ So staatstragend das klingen mag: Wir müssen unsere Demokratie Gedanken machen, wir haben ja nur die eine.

Es ist deswegen schon wichtig, wie „Hauptstadt“ und „Provinz“ miteinander umgehen, allein zahlenmäßig. Nicht einmal jeder dritte Deutsche lebt in einer Stadt mit mehr als 100.000 Einwohnern. In einer Umfrage vor einigen Jahren gaben 80 Prozent der Teilnehmer an, auf dem Land oder in einer kleineren Stadt leben zu wollen, Tendenz steigend. Rund 30.000 Menschen pendeln jeden Tag von Augsburg nach München, weil dort die Mieten schlicht nicht mehr bezahlbar sind. Andere müssen gar nicht mehr pendeln und können auf dem Land leben und arbeiten, die Digitalisierung macht es möglich.

Schon jetzt entdeckte ich in allen möglichen Ecken unseres Verbreitungsgebiets digitale IT-Perlen. Der Politologe Daniel Dettling nennt das die „Glokalisierung“: „Wir sind global unterwegs und lokal zu Hause. Aufs Land ziehen ist kein Umzug mehr zurück in die Provinz, sondern nach vorne in die Zukunft.“ Deswegen habe ich mich durchaus gefreut, dass der Begriff „Heimat“ auch politisch auf einmal in aller Munde war, versehen mit einem eigenen Ministerium, ich sah das als Chance, über das Verhältnis von Gross und Klein, von Metropole und Provinz, von vermeintlicher „Elite“ und gelebter Bodenständigkeit neu nachzudenken. Auch wir sprechen gerne von unserer „Heimatzeitung“, weil das für uns nicht provinziell klingt, sondern ein Qualitätssiegel darstellt. Sie ist mittendrin, gemacht von Menschen, denen viele Leser täglich begegnen.

Land und Landwirtschaft, das gehört zusammen. Im Bild die Getreideernte bei Ried im Landkreis Augsburg.
Foto: Marcus Merk (Archiv)

Nicht gut, wie Bayern und Berlin übereinander reden

Als Horst Seehofer mal nicht damit beschäftigt war, die Große Koalition fast zu sprengen, hat er zu dem Thema einen bemerkenswerten Aufsatz vorgelegt. In dem steht: „Für mich ist der Begriff der Heimat zentral, weil er in seiner Vielfältigkeit weniger streitbelastet ist als Leitkultur oder Nation.“ Seehofer spricht über die „Entgrenzung aller Lebensverhältnisse“ – das Projekt der Globalisierung habe einer wirtschaftlichen Elite Profite eingebracht, für die Mehrheit der kleinen Leute aber zu einem Zuviel an Freiheit, zu Ängsten und zu einem Verlust an Ordnung und Kontrolle geführt. Dagegen helfe: Heimat. Seehofer beschrieb Heimat in dem Text als Raum des Zusammenhalts, das fiel nicht nur mir auf. Die Süddeutsche Zeitung etwa lobte prompt, Heimat habe ja den Vorzug des Vorpolitischen. Über Zugehörigkeit zu ihr entschieden nicht Staatsbürgerschaft, Abstammung, politische Bekenntnisse, sondern gelingendes Zusammenleben. Kurzum: „Heimat ist auf dem Platz.“

Warum ich dennoch skeptisch bleibe? Weil mich die Debatte daran erinnert, was in den USA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 geschah. Damals wurde ein neues Ministerium gegründet, ein „Heimatschutzministerium“. Aber so gut wie zeitgleich begann eine Phase, in der Heimat eher zum politischen Kampfbegriff avancierte, zum Instrument der Abgrenzung. Weil jeder darunter etwas ganz anderes verstand, und vor allem anders definierte, wer sich darauf berufen könne und wer nicht. Droht dies auch bei uns? Dabei meine ich gar nicht mal nur die Herausforderungen der Flüchtlingspolitik, die für die Heimatdebatte zu allen möglichen Folgefragen führen. Wer darf mitreden, wie sind die Beziehungen der Menschen, die diesen Raum füllen?

Gerade mache ich mir aber mehr Sorgen, dass wir selber das in unserer Heimat nicht hinbekommen. Einen Tag vor dieser bayerischen Landtagswahl, auf die das ganze Land, vielleicht gar die Welt schaut (für den Wahlabend im Münchner Landtag haben sich japanische Kollegen akkreditiert), darf man das mal schreiben. Es war schlicht nicht gut, wie „Berlin“ und „Bayern“ übereinander geredet haben, und damit meine ich nicht das Hin und Her zwischen Söder und Seehofer – sondern die verächtlichen Töne über „Bundespolitiker“ einerseits und „bayerische Provinzpolitiker“ andererseits. Vielleicht nicht alle, aber manche der hässlichen Debatten dieses Jahres verliefen auch deswegen so, wie sie verlaufen sind. Eines der schönsten Gedichte von Bertolt Brecht, dem gebürtigen Augsburger, der später in Berlin lebte, heißt „Kinderhymne“. Darin steht der Satz: „Und nicht über und nicht unter andern Völkern wollen wir sein … und das liebste mag’s uns scheinen, so wie anderen Völkern ihrs.“ Damit warnte Brecht vor dem Nationalismus seiner Zeit, dem Kampf von Nationen gegeneinander.

Aber sollte dieser Satz nicht auch gelten, wenn es in einer Nation um das Miteinander von Stadt und Land, von Hauptstadt und Rest des Landes, von Bayern und Nicht-Bayern gehen soll, von gefühlten Eliten und Bodenständigen? Und dafür würde es schon helfen, in dieser gemeinsamen Heimat häufiger mal miteinander zu reden als übereinander. Oder jeweils mal hinzufahren, nicht nur im Urlaub. Und es vielleicht sogar gar nicht so schlimm zu finden. Sondern schön und normal, in ihrer jeweils eigenen (und stolzen) Weise.