Kultstücke auf Heimatbesuch
Was in alle Welt an jüdischen Sakralobjekten verstreut wurde, ist für eine Weile nach Augsburg zurückgekehrt
Es war keine übliche jüdische Landgemeinde, die in Kriegshaber vor den Toren Augsburgs 400 Jahre lang bestand. Sie zog einflussreiche Familien an, die anderswo nicht mehr gelitten waren. Weit verzweigten sich ihre Mitglieder in verwandtschaftlichen Beziehungen und stiegen in den erlauchten Kreis der Hoffaktoren auf. Kein Wunder, dass sich in Kriegshaber Schätze für den rituellen Gebrauch ansammelten. Bis der große Bruch im Nationalsozialismus kam: Die Erinnerungsträger haben sich in alle Winde zerstreut.
Für eine Ausstellung sind einige Judaica nun wieder in die sanierte Synagoge Kriegshaber, jetzt Dependance des Jüdischen Kulturmuseums Augsburg, zurückgekehrt. Aufwendige und mühsame Recherchen haben Museumsleiterin Benigna Schönhagen und ihr Team hineingesteckt, um die Objekte aufzuspüren. „Es gibt keine Inventare, es war viel Zufall im Spiel“, erzählt sie – und ein Gewährsmann oder Zeitzeuge verwies auf den nächsten. Trotzdem blieb es oft bei einem Fragezeichen, bei einer ungeklärten Phase der Wege und des Verbleibs.
Das Prachtstück der Ausstellung, der opulent mit Gold- und Silberfäden bestickte barocke Tora-Vorhang, gelangte irgendwann nach der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 aus Augsburg nach Amerika. Unbekannt, wer das gewichtige Textil gerettet und der Familie Moldovan in New York vermittelt hat, die den Tora-Vorhang ihrerseits dann dem Israel-Museum in Jerusalem stiftete. Leichter ist die Herkunft festzustellen: In Fürth hatte ihn ein Sticker namens Elkana Schatz Naumberg 1723/24 auf Seiden-Samt hergestellt, bestellt von Rabbi Jehuda Löw, Sohn des Landesvorstehers Rabbi Simon Ulmo. Dieser Stifter war Hoflieferant des Augsburger Fürstbischofs und besaß im Nachbardorf Pfersee ein dreistöckiges Wohnhaus. Mit der kostbaren Gabe wollte er offenbar der Gemeinde imponieren.
Familie Ulmo, die über Ulm und Günzburg nach Pfersee/Kriegshaber kam, gab auch 1589 ein Gebetbuch beim Schreiber Elieser in Auftrag, das dieser ganz außergewöhnlich illustrierte. Die biblischen Szenen versetzte er ins bürgerliche Ambiente seiner Zeit, sodass Abraham den drei Engeln an einer Tafel mit gemustertem Porzellan aufwartet. Schon vor der Machtübernahme der Nazis (1933) gelangte es in den Besitz des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg.
In Basel im Jüdischen Museum der Schweiz landete der reich bestickte Bezug fürs Beschneidungskissen der Ulmos. Auf dem Leinentuch verteilen sich dekorative florale Elemente neben konkreten Darstellungen und symbolischen Motiven. Im Jahr 1614 ist es entstanden. 1908 taucht es – unerkannt in seiner Bedeutung – im Industrie- und Gewerbemuseum St. Gallen auf und 1989 auf einer Auktion.
Selbst eine lückenlose Überlieferungsgeschichte birgt Überraschungen: Der Kiddusch-Segensbecher des Israelitischen Wohltätigkeitsvereins für Beginn und Abschluss des Schabbats wurde 1939 von Beate Einstein auf der Flucht aus Kriegshaber nach Großbritannien mitgenommen. 1995 stiftete sie den silber-vergoldeten, getrieben und gravierten Becher zurück ans Jüdische Kulturmuseum. Den Weg über Palästina nahm eine Pessach-Haggada, die die Erzählung für den Festtag enthält und einst im Besitz des jüdischen Frontsoldaten Ludwig Einstein aus Kriegshaber war, um dann in den 90er Jahren fest ins Kulturmuseum zu kommen. Wer aus der Familie Einstein dies getan hat, weiß Museumsleiterin Schönhagen nicht.
So transportieren die jetzt ausgestellten Objekte mehrschichtige Erinnerungen, die erzählt und erklärt werden wollen, damit sie für die Zukunft sprechende Zeugnisse sind.
Judaica aus dem Umfeld der Synagoge Kriegshaber, bis 17. Juni, Augsburg, Ulmer Str. 228, geöffnet Do. bis Sa. 14–18 Uhr, So. 13–17 Uhr, der Katalog (173 Seiten) kostet 25 Euro.
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