Kunstwerke aus Schrott
Ein Allgäuer Künstler nutzt für seine Arbeit Schrott. Er baut aus einer Zange eine Schwalbe, eine Pinzette wird zum Insekt. Einige seiner Kollegen haben noch skurrilere Ideen.
Manche Menschen träumen davon, in einem Schloss zu leben oder doch wenigstens in einer Luxusvilla. Peter R. Müller hat da ganz andere Visionen. „Für mich wäre es das Beste, auf einem Schrottplatz zu wohnen“, sagt er. Es wäre vermutlich ein Ort voller Inspiration für ihn.
Müller ist Künstler. Und zwar einer, der vor allem mit Weggeworfenem arbeitet. Mit dem, was für andere nutzlos geworden ist. Das kann mal ein abgefahrener Autoreifen oder auch eine kaputte Kinderskibrille sein; vor allem aber verarbeitet der 70-Jährige Metallteile. Dabei setzt der in Irsee (Ostallgäu) lebende Müller die Fundstücke in einen ganz neuen Zusammenhang, kreiert aus ihnen etwas Neues. Eine alte Knoblauchpresse wird zum Drachen, eine Zange zur Schwalbe, eine Pinzette zum Insekt. Eine dreiblättrige Schiffsschraube schraubte der gelernte Schaufenstergestalter auseinander und schuf drei Gesichter daraus, die „Argonauten“. Und eine Klaviertastatur funktionierte er zum Gefieder eines Pfaus um. „Mein Ziel ist es, die Stücke in einem anderen Sinn erscheinen zu lassen“, sagt er. Wenn er dadurch den Betrachter zum Staunen bringt – dann sei das ein Erfolg. „Oft kommt es zum Aha-Effekt. Dann sagen die Leute plötzlich: Das war ja ursprünglich ein Schuhspanner!“
Wertstoffhof direkt gegenüber seiner Wohn- und Arbeitsstätte
Müller macht es Spaß, die Dinge zu verändern. Er macht das bereits seit 1970. In einer solch langen Zeit benötigt man schon viele Ideen, aber die liefern ihm die Fundteile ganz automatisch: durch ihre Formen. Auf den ersten Blick entdeckt Müller in einem Löffel die Zunge eines Chamäleons. Es fällt ihm einfach ein. Durch die Ummodelung in ein Kunstwerk bekommen die weggeworfenen Objekte dann einen neuen Wert. „Vielleicht sogar einen höheren“, sagt Müller.
Denn zumindest der finanzielle Wert der einzelnen Teile ist meist gering. Genau deswegen ist der in Brandenburg geborene Künstler vor Jahrzehnten auf sein Material gestoßen. „Ich hatte nach etwas Günstigem gesucht“, erinnert er sich. Die Stücke findet er fast überall, ab und zu auch auf dem Wertstoffhof, der direkt gegenüber seiner Wohn- und Arbeitsstätte liegt. Letztere nennt er liebevoll „Galerie Wertstoff“. Der skurrile Witz steht für Müller bei seinen Skulpturen im Vordergrund, er will aus Altem etwas unerwartetes Neues erschaffen. Der Wiederverwertungsgedanke spiele zwar eine Rolle in seiner Kunst, aber eine untergeordnete.
Skulpturen aus Fahrscheinen, Eintrittskarten und Garderobennummern
Das ist auch bei anderen Künstlern so. Schon 1919 gestaltete Kurt Schwitters aus Fahrscheinen, Eintrittskarten, Garderobennummern und ähnlichen Erinnerungsstücken eine Raum-Skulptur. Auch Picasso arbeitete mit Schrott und Müll, fertigte Collagen aus alten Zeitungsschnipseln und Tapetenfetzen. Er setzte ein angerostetes Lenkrad und einen Fahrradsattel so zusammen, dass daraus ein Stierkopf wurde. In den 1960er Jahren begegneten die Künstler dem Müll mit Konzepten, die dem Abfall bestimmte Ordnungen gaben. Armand „Arman“ Fernandez schichtete Straßenkehricht in Glasgefäße. John Chamberlain bildete geometrische Assemblagen aus gepresstem Autoschrott. Andere Künstler sammelten über Jahre hinweg jedes Stück Papier in ihrem Leben, sortierten, beschrifteten, etikettierten, wie etwa Ilja Kabakow. Sie alle benutzen und benutzten Müll als Material, um eben etwas anderes daraus zu erschaffen.
Müll in der Kunst kann aber nicht nur Objekt sein, sondern auch das Thema selbst. Während sich das Bewusstsein in der Gesellschaft immer mehr hin zu einem umweltbewussteren Lebensstil entwickelt, spiegelt sich dies auch in den Arbeiten mancher Künstler wider. Zum Beispiel in denen von HA Schult. Der Aktionskünstler fing bereits Ende der 1960er Jahre damit an, das ökologische Ungleichgewicht in seinen Werken zu thematisieren. Und das, obwohl in dieser Zeit die Pop Art als Ausdrucksform vorherrschte, die den Konsum, wenn auch auf ironische Art, verherrlicht – Campell’s Soup von Andy Warhol, ein riesiges Tortenstück von Claes Oldenburg. Schult wandte sich bewusst dagegen. „Ich wollte das infrage stellen“, sagt er heute. Er wollte Sozialkritik äußern.
Markusplatz in Venedig verschwindet unter Zeitungen
Seiner Zeit war er damit voraus. „In den 1960er Jahren war Umwelt noch gar kein gebräuchliches Wort“, sagt der 76-Jährige. Seiner Meinung nach habe es erst die Künstler gebraucht, die das zum Thema machten. Also machte er. Er überflutete 1969 die Münchner Schackstraße mit Müll und ließ 1976 den Markusplatz in Venedig unter tausenden Zeitungen verschwinden.
Schults bekanntestes Werk sind wohl die „Trash People“, die Müllmenschen. 1000 an der Zahl, lebensgroße Figuren, die aus Dosen, Plastikflaschen und ausrangierten Elektroteilen bestehen. Schult erschuf sie 1996, seitdem reisen sie um die Welt. In Moskau standen sie bereits auf dem Roten Platz, sie besuchten die Chinesische Mauer, machten Halt in Peking und Paris und bevölkerten sogar die Antarktis. Ab Ende November werden sie in München am Eingang des Tollwood-Festivals Spalier für die Gäste stehen. „Die Trash People sind ein Inbegriff für den Zustand unseres Planeten“, sagt Schult. Sie sind die Kehrseite von Konsum und Wohlstand, stumme Zeugen der Übermüllung.
Hotel aus zwölf Tonnen Müll
Die ansteigenden Berge an Abfall unserer Gesellschaft verdeutlichte Schult auch in einem Projekt 2010. Er baute ein Hotel aus zwölf Tonnen Müll, die an den Stränden von Spanien und Italien aufgesammelt worden waren. Darin konnten Interessierte sogar temporär übernachten. Über seine Installationen sagt er: „Ich lasse den Müll stattfinden.“ Ob ein Mann, der schon so früh Konsumkritik äußerte, besonders ökologisch lebt? Schult antwortet: „Ich bin ein Umweltfrevler wie wir alle.“
Manche träumen davon, in einem Schloss, andere, auf einem Schrottplatz zu wohnen. Was leider auch nur ein Traum ist: in einer umweltfreundlichen Welt zu leben.
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