„Le nozze di Figaro“: Entwaffnend schlicht
Für die Salzburger Festspiele hat Sven-Eric Bechtolf nun auch Mozarts dritte Oper nach Da Ponte inszeniert. Anzuschauen ist „Le nozze di Figaro“ durchaus hübsch.
Zum Opern-Auftakt der diesjährigen Salzburger Festspiele hat der Regisseur Peter Konwitschny das Stück „Die Eroberung von Mexiko“ von Wolfgang Rihm als Kampf der Geschlechter inszeniert. Damit war nicht unbedingt zu rechnen, da Rihms Musiktheater doch vordringlich ein Thema wie den culture clash verhandelt. Was nun aber Konwitschny aus der „Eroberung“ machte, das war neu, aufregend, nachhaltig.
Um das Mit- und Gegeneinander von Männern und Frauen geht es auch in Mozarts „Le nozze di Figaro“, jenes Verwirrspiel, das in Gang kommt, weil Graf Almaviva, der sich vom feudalen „Recht auf die erste Nacht“ offiziell verabschiedet hat, eben dieses bei seiner Bediensteten Susanna, Braut des Figaro, so heimlich wie bestimmt wieder in Kraft setzen will, und das, obwohl er verheiratet ist. Sven-Eric Bechtolf setzt das quirlig, bildschön, unterhaltsam in Szene. Aber auch nicht mehr.
Salzburger Festspiele: Figaro auf überschaubarer Bühne
Bechtolf, in diesem und im kommenden Jahr nicht nur Chef der Schauspielsparte, sondern gesamtverantwortlich für das künstlerische Programm der Festspiele, hat mit dem „Figaro“ nun die Trias von Mozarts Da-Ponte-Opern zu Ende gebracht. Wieder hat die Handlung in den 20er, 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ihren Platz. Die Kostüme (Bark Bouman) weisen Richtung Süden, Spanien womöglich, dort, in ländlicher Gegend, mag es zur besagten Zeit durchaus noch gesellschaftliche Mischformen zwischen Aufbruch und feudaler Beharrlichkeit gegeben haben.
Bechtolf hat sich auf der überschaubar dimensionierten Bühne des Salzburger Hauses für Mozart ein multiszenisches Interieur bauen lassen – nach Art eines Aufrisses sieht man stets in mehrere Räume hinein. Was Bühnenbildner Alex Eales da gezimmert hat, ist wunderbar nostalgisch und detailverliebt, und das Licht, das Friedrich Rom durch die Fenster fallen lässt, trägt nicht wenig bei zum stimmungsvollen Raumklima (hier im Spiel wie dort im Saal: Am Ende viel Beifall für das Produktionsteam).
Wichtiger für den Regisseur Bechtolf jedoch ist, dass in diesem Bühnengebäude während der Gesangsszenen zugleich Parallelabläufe ins Bild gesetzt werden können. Das hat nicht immer die Schlagkraft wie gleich zu Beginn, als man einleuchtend vor Augen geführt bekommt, weshalb der Graf gerade dieses Zimmer seines Anwesens dem Figaro und der Susanna zur Verfügung stellt – weil nämlich gleich hinter der Wand sein Privatgemach beginnt und sich die Tür von hier nach dort rasch öffnen lässt.
Dieses zeitgleiche Agieren, sei es von subalternem Personal im Haus des Grafen, sei es von den eigentlichen dramatis personae, die mal intrigante Billetts schreiben, mal pantomimisch miteinander kommunizieren, dieses Simultangeschehen bringt in jedem Fall den Effekt mit sich, dass es dem Auge des Zuschauers nie langweilig wird. Damit aber lässt es Bechtolf bewenden, und hier liegt die Krux: Das gegenseitige Vorführen mit Finten und Verkleidungen wächst nie über den Charakter eines Geplänkels hinaus. Dass aber in jeder wahren Komödie – wer wollte diese Qualität dem „Figaro“ absprechen? – auch der Keim zur Tragödie innewohnt – am Ende der Oper steht ja eine ganze Reihe Desillusionierter herum –, das hat den Regisseur Bechtolf offenbar nicht interessiert.
Auch Dan Ettinger, von Herbst an neuer Musikchef der Stuttgarter Philharmoniker, ist bei seinem Festspiele-Debüt nicht der Mann, dieses dramma giocoso (um einmal die „Don Giovanni“-Gattungsbezeichnung zu entleihen) in ein musikalisch-seelisches Licht- und Schattenspiel zu verwandeln. Dabei macht manches durchaus aufhorchen: Zu Figaros „Se vuol ballare“ lässt Ettinger eine aufstampfende Wutmusik spielen, und auch für die Gestaltung der Finali mit ihren empfindlichen Tempi- und Charakter-Balancen hat er ein Händchen.
Doch dann gibt es Spannungslöcher, hängt die Musik dem Geschehen hinterher. Cherubino und sein „Non so più“ etwa bremst Ettinger mit den nicht mehr als routiniert spielenden Wiener Philharmonikern regelrecht aus – unüberhörbar, dass Margarita Gritskova da mehr inneren Sturm hätte hineinlegen wollen. Und aus den Rezitativen, die Ettinger selbst vom Hammerflügel aus begleitet, ließe sich auch mehr herausholen als karge Stützakkorde für die Sänger.
Deren Leistung wird dadurch nicht geschmälert, ihr lustvolles Geplapper gerade in den Rezitativen zeigt, wie sehr sie sich ihren Rollen verschrieben haben. Wahrlich nicht aus Standesgründen sei der Graf hier als Erster angeführt: In Luca Pisaronis Bariton schwingt das zur Figurenzeichnung unabdingbare entzündliche Gemüt, das freilich auch Süßholz zu raspeln vermag. Adam Plachetka steht als Figaro dessen Dienstherrn in nichts nach, auch er elastisch auf jede Situation reagierend mit der Stimme.
Bechtolf lässt Fiagro-Akteure bei Salzburger Festspielen vor die Rampe treten
Martina Janková trifft den Charakter der Susanna ideal im Schnittfeld zwischen Jugendlichkeit und Lebenserfahrung – herausragend ihr „Giunse alfin“ voller Herzenslauterkeit. Die noch relativ junge Anett Fritsch verfügt schon jetzt über jenes Leuchten der Stimme, das die klingende Chiffre der Gräfin ist; an letzter Öffnung, Rundung der Töne wird sie gewiss noch zulegen. Auch sämtliche weiteren Partien sind gut besetzt, herauszuheben noch die Marcellina von Ann Murray, einst selbst hochmögende Interpretin der gewichtigeren „Figaro“-Sopranrollen.
In der finalen, musikalisch unsterblichen Szene der Oper, als alle Beteiligten sich gegenseitiger Versöhnung versichern, in diesem letzten Moment der Inszenierung lässt Sven-Eric Bechtolf die Akteure von der Spielbühne herab und vor an die Rampe treten: Sinnbild dafür, dass da nun innerlich Gewandelte stehen. Hier, ein einziges Mal, setzt die Regie ein starkes Zeichen. Zu wenig für einen Festspiel-„Figaro“.
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