Meret Elisabeth Oppenheim: Vom Tassen-Pelz zum Google-Doodle
Méret Elisabeth Oppenheim hätte heute 104. Geburtstag feiern können. Am bekanntesten ist ihre von einem Pelz überzogene Tasse. Doch die Surrealisitin steht für so viel mehr.
Méret Elisabeth Oppenheim, die in Deutschland geborene Schweizer Künstlerin, hätte heute 104. Geburtstag feiern können. Mit ihrem berühmtesten Objekt, "Das Frühstück im Pelz" feierte die Künstlerin 1936 ihren Durchbruch. Doch natürlich war die Surrealistin, die heute auch mit einem Googgle-Doodle gefeiert wird, viel, viel mehr.
Nomen est omen. Meret ist kein Künstlername, sondern geht auf das Meretlein in Gottfried Kellers Künstlerroman "Der grüne Heinrich" zurück, auf ein rebellisch-eigenwilliges, mit Zauberkräften ausgestattetes Mädchen.
Auch die junge Oppenheim zeigt schnell geistige Unabhängigkeit. Eine mathematische Gleichung in der Schule löst sie unkonventionell mit x = Hase; mit 15 notiert sie ihre Träume (später ein Fundus für ihre Arbeit); mit 18 geht sie ohne Französischkenntnisse nach Paris und beschließt, nie Mutter zu werden - was sie bildlich in der Zeichnung "Votivbild (Würgeengel)" zu Papier bringt.
Meret Oppenheims 104. Geburtstag: Ihre Lebenskrise brachte spannende Arbeiten hervor
Überhaupt setzt sich Meret Oppenheim über Jahrzehnte hinweg stark mit sich selbst, ihrer Psyche und ihrer Zukunft auseinander, und die Schaffenskrise bringt Arbeiten hervor, die in Gleichnissen von "Lähmung" berichten (Gemälde "Steinfrau", Skulptur "Genoveva"). Bereits als 25-Jährige zeichnet sich Meret als Greisin in einem Zukunfts-Selbstporträt.
Schon vor ihrer Schaffenskrise hatte sich ihr Vater Erich hinlänglich Sorgen um die Tochter gemacht - worauf diese bei dem Psychologen C. G. Jung vorstellig wurde, der aber in einem Brief nach Hause (1935) Entwarnung gab: "Ich glaube nicht, dass der Fall allzu schlimm liegt. Sie scheint durch den Zusammenstoß mit der Welt einiges gelernt zu haben . . . Ich habe gar nicht den Eindruck, als ob irgendeine neurotische Komplikation dabei vorläge." C. G. Jung blieb für Meret weiterhin Inspirationsquelle.
Ihr berühmtestes Werk ist jenes Frühstück im Pelz, also das in "wärmendes" chinesisches Gazellenfell eingekleidete Kaffeegedeck von 1936 (Tasse/Untertasse/Löffel). Doch auch jene Fotografien von Man Ray, die gleich nach der Pelztassen-Ikone mit der gebürtigen Berlinerin Meret Oppenheim verbunden sind, wurden zum Zeichen: Meret Elisabeth Oppenheim 1933 als 20-Jährige, nackt, knabenhaft und schwarz verschmiert an einer Pariser Atelier-Druckpresse.
Die Fotos machten Skandal, die Pelztasse brachte den künstlerischen Durchbruch - aber zusammen waren die Werke für die Oppenheim Segen und Fluch gleichzeitig.
Méret Elisabeth Oppenheims 104. Geburtstag ist ein Google Doodle
Erst mit den Fotos war der Grundstein gelegt für ihre Einordnung als klassische erotische Künstlermuse im männlichen Pariser Dada-Surrealisten-Kreis von Hans Arp, Marcel Duchamp, André Breton, Max Ernst, Yves Tanguy und Francis Picabia.
Dann, nach der Pelztasse und ihrem Erfolg, wuchsen plötzlich Anspruch und Erwartung an sie in einem ihr zusetzendem Maße: Sie fühlte sich festgelegt, vereinnahmt. Ein Umstand, der ihrem von Jugend an freiheitsstrebenden Naturell nicht entsprach. Ein Umstand, dem das außergewöhnlich heterogene, kaum eine individuelle Handschrift vorweisende Werk vor und nach ihrer künstlerischen Krise (1938 - 1954) Hohn sprach.
Zentrales und überdies weitaus komplexer aufgeladen ist ein Oppenheim-Objekt von 1966/1978: "Bon appetit, Marcel! (Die weiße Königin)". Einfließt hier der Humor und der Sarkasmus der Meret Oppenheim, ihre Anspielungsfreude, ihre dunklen Seiten und Gedanken über Gewalt. Auf einem Schachspiel-Feld befinden sich ein Glas, ein Teller mit Besteck, Serviette sowie eine weibliche Figur aus Teig, die Dame eines Schachspiels. Ihr Rücken ist geöffnet und zeigt ein (Rebhuhn-)Rückgrat.
Mit "Marcel" im Titel des Objekts wird Duchamp angesprochen, dieser einst in Frankreich hervorstechende Schachspieler. Oppenheim, die 1966 längst emanzipierte, autonome, dem Surrealismus abgewandte Künstlerin, bereitet ihm eine Mahlzeit, bei der er seine mächtige Dame zu essen, zu opfern hat.
Rollenverständnisse, auch Geschlechterkampf werden in diesem Objekt von hoher Bedeutung verhandelt - und dazu ein Ausgleich angemahnt, wie er auch in Merets Dankesrede zum Basler Kunstpreis 1974 anklang: "Aus einem großen Werk der Dichtung, der Kunst, der Musik, der Philosophie spricht immer der ganze Mensch. Und dieser ist sowohl männlich als auch weiblich."
Méret Elisabeth Oppenheims Schöpfungskosmos umkreiste immer wieder Wort und Bild, Kunst und Schmuck, Tod und Leben, Natur, Kreislauf und Metamorphose. Sie starb am 15. November 1985 in Basel. Rüdiger Heinze/AZ
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