Neues Album der Rolling Stones ist exzellent
Noch einmal sind die Rolling Stones ins Studio gegangen. Nicht das, was sie spielen, ist eine Sensation. Sondern wie sie es spielen.
Nun ist sie also komplett in der Welt, die neue Scheibe derer, die sich schlicht und simpel die Größten ihres markerschütternd rockenden Gewerbes nennen: „Blue & Lonesome“ der Rolling Stones.
Ach, wie hatten sich die Medien im Vorfeld der Veröffentlichung warmgelaufen! Hatten Musiksoziologen bemüht, die dann über das Verhältnis von „schwarzer Musik“ zu „weißer Musik“ referierten. Hatten die Welterklärungsmaschine angeworfen dazu, warum die Rolling Stones eine Platte veröffentlichen, die reinweg Blues enthält, reineweg tiefschwarzen Blues – aufgenommen vor einem Jahr binnen dreier Tage im Londoner Studio des Kollegen Mark Knopfler. Hatten auch die vier Mitglieder der Kern-Stones selbst erläutern lassen, wie es zu dieser quasi ganz speziellen Aufnahme kam. Mit einem Wort: Man wollte ein großes Ding drehen und was Spektakuläres, was vollkommen Unerwartetes daraus basteln, dass „Blue & Lonesome“ auf die Welt kommt.
Aber je mehr die Medien erstaunten, desto mehr rieben sich die Weggefährten der Rolling-Stones-Historie verwundert die Augen: Ja hatten denn die, die jetzt das unerwartete Ei begackern, 54 Jahre lang Tomaten auf den Ohren? Kennen die nur „I can’t get no satisfaction“ und „Their Satanic Majesties Request“? Oder waren da die von der ahnungslosen Klassik-Fraktion am Werk, die nur Mozart hören?
Nein, „Blue & Lonesome“ ist alles andere als eine Besonderheit – weder für die Rolling Stones noch für die Rockmusik insgesamt, die immer und immer wieder dankbar, mitunter demütig kniend darauf verwies, wo die ins Herz treffenden Wurzeln ihrer Kunst liegen: im Blues der US-Südstaaten, mehr noch: im elektrifizierten Chicago-Blues. So hielten es John Mayall und Eric Clapton (letzterer auf der wunderbaren Scheibe mit der Musik Robert Johnsons), so hielten es auch Ten Years After, Led Zeppelin, Canned Heat. Weiße Musiker übrigens, ausnahmslos. Und auch die Einflüsse des Rock ’n’ Roll der 50er Jahre wurden nicht negiert.
Rolling Stones - der Name geht auf einen Blues-Gott zurück
Genau so hielten es auch die Stones. Allein ihr Name – der auf eine Textzeile des Blues-Gottes Muddy Waters zurückgeht – war schon Ansage und Programm. Ihm und seinen Mitstreitern zu huldigen, waren Mick Jagger und Keith Richards angetreten, die – schöne Geschichte – 1961 auf dem Bahnhof von Dartford ins Gespräch kamen, weil Mick Platten von Muddy Waters und Chuck Berry unter dem Arm trug und beide deren Musik liebten.
Heute, ein gutes halbes Jahrhundert später, ist wohl kaum ein Auftritt der Stones zu Ende gegangen, bei dem nicht reiner Blues oder Rock ’n’ Roll erklungen wäre: als Cover originaler Werke (wie „Little Red Rooster“ von Willie Dixon, „Little Queenie“ von Chuck Berry), als Traditional unbekannter Herkunft, als Neukreation nach allen Regeln der Blues-Kunst durch die Rolling Stones selbst („Ventilator Blues“), als Fortentwicklung des Blues. Ja, einer der schönsten, tiefsten Stones-Titel überhaupt ist ein reiner Blues: „Love in vain“ (bearbeitet nach Robert Johnson). Schließlich: Legion sind auch die Konzerte der Stones zusammen mit den Heroen des Blues: mit Muddy Waters, mit John Lee Hooker, mit B. B. King, mit Buddy Guy, mit Jimmy Reed. Die gemeinsamen Auftritte waren immer auch ein volkspädagogischer Fingerzeig der Stones mit leicht schlechtem Gewissen: Leute, hört her, das sind die, die ihr kennen solltet!
Entertainmentlose Alterskraft
Was also jetzt durch „Blue & Lonesome“ (Universal) passiert, ist letztlich: Ein Kreis, der den Blues umschließt, rundet sich. Die Sensation bleibt nur: Wie er sich schließt! Oder, in Kürze formuliert: „Blue & Lonesome“ gehört in seiner entertainmentlosen Alterskraft zu den schönsten Alben, die die Stones aufnahmen. Dass – bei solcher Wertschätzung – ausschließlich „fremde“ schwarze Musik vor allem von Willie Dixon und Little Walter zu hören ist, könnte wie ein vergiftetes Lob gelesen werden. Ist es aber nicht.
Doch was macht die Scheibe so exzellent? Erstens der Verzicht auf Sperenzchen. Es geht nicht um ausgestellte Virtuosität, sondern um ein angestrebtes Höchstmaß auch an akustischer Authentizität. Es geht um Welt- und Lebensschmerz; es lebt die Verzweiflung. Zweitens: Mick Jagger tut nahezu durchgehend das, was bei Stones-Konzerten immer zu kurz kommt: sein schmerzvoll-zähneziehendes Traktieren der Mundharmonika. Es ist die pure Lust, da zuzuhören. Drittens: die auch dramaturgisch starke Mischung aus Uptempo-Nummern, narkotischen Ein-Riff-Titeln, Rythm & Blues-Stücken und – absolute Spitze – traurig-schleppenden Songs. Eric Clapton stößt da auch zweimal hinzu. Und: „Love in vain“, oben erwähnt, hat eine ergreifende Schwester erhalten: „Little rain“. Ganz groß. Darüber darf man ebenso hin und weg sein wie über „I can’t quit you baby“, da Jagger/Richards dem Schwarzen, das ihnen unter den Nägeln brennt, peinvoll-tönende Seele verleihen.
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