Penthesilea in Salzburg: Der Kampf zweier Liebender bis aufs Blut
Jens Harzer und Sandra Hüller verausgaben sich in Heinrich von Kleists Trauerspiel „Penthesilea“.
Liebe und Lust, Kampf und Krieg, Angriff und Abwehr, Anziehung und Abstoßung, Sieg und Niederlage: Dazu gehören immer zwei. Mehr sind es auch nicht hier auf der schwarzen Salzburger Bühne (Johannes Schütz), die leer ist – eine Höhle ohne Geschichte.
Es gibt keine Requisiten, keine Bilder, nur einen hellen Lichtbalken an der Rampe. Das Theater als puristischer Sprachraum. Zwei Menschen, zwei Körper, zwei Stunden, keine Pause, keine Mitspieler, keine Zerstreuung. Eine Frau und ein Mann, die Amazonenkönigin Penthesilea und der Kriegsheld Achilles, die auf dem Schlachtfeld vor Troja miteinander ringen bis in den Tod. Sandra Hüller, durch Kinofilme wie „Toni Erdmann“ einem größeren Publikum bekannt, ist die kriegerische Frauen-Heerführerin Penthesilea, Ausnahmeschauspieler Jens Harzer ist Achilles.
Eine mutige Zumutung an das Publikum
Auf radikale Weise hat Regisseur Johan Simons, Ex-Intendant der Münchner Kammerspiele und künftiger des Schauspielhauses Bochum, Heinrich von Kleists mit Dutzenden Spielern ausstaffiertes Drama von 1808 reduziert und exponiert auf einen tragischen Zweikampf der Liebe im schwarzen Nichts. Im Landestheater wird das Wagnis, das zugleich als ein bedingungsloses Zutrauen in Wesen und Essenz des Theaters verstanden werden kann, zu einer mutigen Zumutung an das Publikum. Zumutung in dem Sinne, dass Simons volle Konzentration erwartet – Kleist total. Das strapaziert naturgemäß – und im letzten Drittel knarzen und ächzen die Theatersessel in einem fort. Ein wenig gleicht diese körperbetonte Inszenierung in ihrer intensiven Kargheit einem edlen Designerstück, das zur Bewunderung nötigt – das aber weder bequem noch vertraut ist. Denn bei aller physischen und schauspielerischen Bravourleistung von Sandra Hüller und Jens Harzer, die sich verausgaben: Es geht einiger Text in diesen stillen Kleist-Sprachexerzitien verloren; es ist, als versickerten Worte im Dunkel der schwarzen Bühne.
Sandra Hüller und Jens Harzer umtänzeln, taxieren und belauern sich
Das Spiel der kriegerischen Liebenden ist ein ritualisierter Kampf. Sie obsiegt über ihn, er obsiegt über sie. Ohmachten, Missverständnisse, neue Duelle. Hüller und Harzer umtänzeln, belauern und taxieren sich. Immer in Bewegung, wie zwei Boxer im Ring, wie Raubtiere im Käfig, zänkisch, unnachgiebig. Erotische Anziehung blitzt auf, bricht jäh ab – zwischen Nähe und Distanz vermessen Penthesilea und Achilles ihr Verhältnis, das bei Kleist immer auch ein Machtverhältnis ist. Wer liegt vor wem im Staub, wer bestimmt über die Zukunft, wer fordert, wer gibt nach?
In Simons Inszenierung verwischen die Rollenbilder – nicht nur, weil Mann und Frau ähnliche Frisuren und schwarze Röcke tragen. In Salzburg sprechen Hüller und Harzer nicht nur als Penthesilea und Achilles, sondern betrachten sich gleichsam von außen, reden über sich mit Rollentexten anderer Figuren aus Kleists Drama. Das ist ein reizvolles Spiel der Selbstbefragung, es geht dabei auch um die unlösbare Verstrickung in die Normen, Codes und Gesetze des Krieges und der eigenen Stämme. Sandra Hüllers Penthesilea scheint immer wieder über sich selbst zu staunen, sie gibt den fordernderen Part in diesem Pas de deux. Mal burschikos, mal herrisch, mal zärtlich, emotional, vorsichtig, dann aufbrausend, rasend. Schließlich ist sie es, die sich Achilles erwählt hat – als jene Königin der Amazonen, die sich ihre Männer auf dem Schlachtfeld unterwerfen, um den Bestand ihres Frauenstaates zu sichern. Hingegen ist Jens Harzer lange ein abwartender Kommentator, der sich Ergriffenheit verkneift und auf das verständliche Deklamieren seiner Verse bedacht ist. Er lässt geschehen, der siegesgewisse Rationalist tritt gegen die Frau der Extreme an, in deren Sirenengesang Schmerz und Wut zugleich mitklingen. Auch in Harzers fast schnoddriger Haltung zeigt sich Simons Bemühen, Kleists Pathos und hohen Ton immer wieder zu brechen.
Sie reißt ihn in Stücke und folgt ihm in den Tod
Unausweichlich steigert sich der tragische Liebeskampf, in dem Achilles einmal ganz nackt vor Penthesilea steht – ein Krieger ohne Waffen, einer, der bereit ist, sich ganz zu entblößen. Sie küssen und sie schlagen sich, sie hauen die Zähne in ihr Fleisch und halten sich wie Kinder im Arm. Der Lichtstreifen auf der Bühne wird breiter und breiter – es tut sich eine Möglichkeit auf für diese Liebe. Doch dann wächst das Schwarz und wächst – und der Tod ist der einzige Ort für die beiden, die bis zuletzt sich aufreiben an der Frage: Wer bist du? Sie reißt ihn in Stücke und folgt dem Geliebten in den Tod. Einmal zart, einmal dramatisch lässt Simons diese Schlussszene wiederholen. Der Kampf ist zu Ende. Starker Applaus des Premierenpublikums.
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