Rameaus Platée: kein leichter Fall
Rameaus Ballett-Oper "Platée" erzählt manches: von einer hässlichen Sumpf-Nymphe, die sich in Jupiter verliebt, von höfischer Tonkunst, von Parodie. Von Rüdiger Heinze
Von Rüdiger Heinze
Augsburg. In aller Stille öffnet sich der Vorhang betont langsam. Das ist ein Zeichen. Auf dem Spiel steht ein Abend für Gourmets mit Horsd'oeuvre, Abteilung französische Barockoper.
Jean-Philippe Rameaus Ballett-Oper "Platée" auszugraben, sollte eigentlich nicht begründet werden müssen. Doch sein Werk erhält (noch?) nicht jene posthumen Aufführungsschübe, wie sie etwa Händel Verbreitung brachten. Dabei ist "Platée" ein besonders originelles Stück: Sein Prolog fädelt, vergleichbar Straussens "Ariadne", die Entstehung einer schwarzen Komödie ein, in der die so unansehnliche wie paarungswillige Sumpfnymphe Platée mit Jupiter höchstselbst vor den Traualtar zieht - halb als Anmaßung, halb als instrumentalisierter Spielball der Götter. Zum bösen Schluss platzt die Hochzeit; man schüttet sich aus vor Lachen über die hässliche Platée.
Dass der knappe Dreistünder 1745 in Versailles ausgerechnet zur Hochzeit des Kronprinzen Louis mit Maria-Theresia von Spanien als Travestie mit Spottfaktor uraufgeführt wurde, macht die Sache gewiss nicht minder interessant. Unerheblich bleibt in diesem Zusammenhang, ob Maria-Theresia - wie überliefert - tatsächlich verunstaltet war. Denn so oder so konnte seinerzeit der Stoff keine Charme-Offensive gegenüber der Braut darstellen.
Vor allem aber muss heute Ra-meaus ungeheuerlich verfeinerte Musik in ihrer ganzen Distinktion reizen - zumal, wenn sie so subtil, ziseliert und sprechend dargeboten wird, wie es jetzt am Theater Augsburg den Philharmonikern unter dem Präzision einfordernden Friedemann Seitzer gelang. Es ertönte als Fingerspitzenmusik (Oboe!) reinster, gediegenster Stil.
Donner-Maschine und Fahrrad-Heimtrainer
Der französischen Aristokratie im Graben stellt sich die Szene bewusst närrisch entgegen. Peer Boysen als Regisseur und Ausstatter in Personalunion siedelt das Geschehen zwar naturalistisch zwischen Weidenbäumen und rund um einen überbrückten Tümpel an, bricht aber auch gleichzeitig alles Griechisch-Bukolische, indem er die eine oder andere barocke bzw. moderne Apparatur daruntermischt: hier eine Donnermaschine, dort einen Fahrrad-Heimtrainer. Sein Inszenierungsprinzip, bei dem die Vorspiel-Situation beibehalten wird, also die Entstehung und Erprobung einer neuen Komödie, ist klar: Auf die spöttische Travestie von 1740 setzt er noch eine Portion freundlichen, mitunter possenhaften, insgesamt eher harmlosen Unernst obendrauf.
Am deutlichsten wird dies, wenn Jupiter auf einer Wolke einschwebt: Hier nähert sich die Festoper schon stark - und weit, weit vor dem musikhistorischen Zeitenverlauf - der Offenbachiade. Denn Jupiter tritt mit Cowboy-Hut und wunderlichem Ornat kaum weniger ungelenk und täppisch auf als die, die sich nach ihm mit hochgestemmter Büste im Brautkleid verzehrt - bevor ein Weihrauchkessel schwenkender Priester die Verbindung zu segnen sich anschickt.
Man erfährt: Museal, dokumentarisch, werktreu ist diese ambitionierte Ausgrabung zum Amüsement vieler Zuschauer ganz und gar nicht. Gleichzeitig aber berichtet sie auch von den Schwierigkeiten, ein Stück aus einer uns fernen Ästhetik mit ihren historischen Hintergründen zurückzuerobern. Vor allem ließ sich dies bei der Augsburger Premiere am Ballett beobachten: Der Choreograph Philipp Egli entwarf moderne, mitunter gar existenzialistische Ausdruckstänze zu Rameaus Musik - nicht selten dabei den Bogen überspannend.
Selbstverständlich: Mit historisch-höfischen Schreittänzen ist "Platée" heute kaum mehr wiederzubeleben, doch stilisierter, ausgezirkelter, auch in stärkere Beziehung zu der zugrunde liegenden musikalischen Form gesetzt, müsste adäquates "Platée"-Ballett schon wirken. Rameaus Musik singt "contenance!", tönt "étiquette!", doch Egli antwortet darauf vielfach aktionistisch mit stark erhöhter Puls- und Beinschlagzahl. Wenn aber die Verbindung zur Tradition nahezu gekappt wird, so wird das hervorragende Augsburger Ballettensemble gleichzeitig auch in ein ästhetisches Abseits gedrängt - und wenn es noch so virtuos tanzt und demonstrative Ovationen erfährt.
Vokal bietet der Abend ansprechende bis hohe Leistungen. Die Haupt-Parade fällt dabei der brillanten Sophia Brommer als "La Folie" zu - bei ihr wird die Musik unmittelbar. Fredrik Akselberg in der Titelrolle und Florian Mock als Thespis können in ihren extremen Höhenlagen noch an Durchschlagskraft gewinnen, überzeugen aber in Ausdruck und Klangschönheit. Jupiter liegt bei Per Bach Nissen in guten Händen und auf guten Stimmbändern; Seung-Hyun Kim verleiht dem Mercure ein weiches Timbre und Homophilie; Kerstin Descher macht Juno zur Furie. Langer Applaus.
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