Salzburger Festspiele: Flüchtende Frauen, flüchtendes Glück
Bei den Salzburger Festspielen steigt Don Giovanni diesmal in einem Nobelhotel ab. Hübsche Zimmer- und Serviermädchen gibt es dort genug. Und doch gelangt er nicht an sein Ziel.
Zu den vornehmsten Aufgaben von Theatergängern – und Kritikern – zählt es, dem Regisseur auf die Schliche zu kommen.
Was aber, wenn Schliche nicht vorhanden?
Man hat den Don Giovanni, dieses gern vorgeführte Frauenraubtier aus dem Opern-Zoo, zuletzt im dunklen Monokultur-Forst beobachtet (Salzburg 2008) und neulich, jedem Weiberrock hinterherhastend, im Venedig der Da-Ponte-Zeit (Augsburg 2012). Der Bursche treibt’s einfach überall und zu jeder Zeit.
Opernauftakt der Salzburger Festspiele: Giovanni küsst und grapscht
Jetzt, zum Opernauftakt der Salzburger Festspiele, greift und grapscht, kämpft und küsst er in einem mitteleuropäischen Art-déco-Hotel, wohl im oder nach dem Ersten Weltkrieg. Wäre es eine Unterstellung, zu behaupten, dass dieser Ort, diese Epoche nur deswegen zum Schauplatz gewählt wurde, weil die Festspiele heuer den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren zum Generalthema haben? Vielleicht ist es eine Unterstellung – aber gleichzeitig bleibt beim besten Willen nicht zu erkennen, warum Regisseur Sven-Eric Bechtolf und das Ausstatter-Paar Glittenberg das Art déco als Spielplatz/Spielzeit auserwählt haben. Die noble Hotellobby bleibt Behauptung, nichts von ihr wird thematisch abgeleitet für einen Zugewinn an historischer Erkenntnis. Es ist Bechtolf und Glittenbergs einfach nicht auf die Schliche zu kommen.
Raubtiergier Don Giovannis nach Frauenfleisch
Lassen wir es also. Wenden wir uns der reinen, zeitlosen Raubtiergier Don Giovannis nach Frauenfleisch zu. Sie ist hier noch etwas rüder, gewalttätiger als sonst. Die wechselnden Hotelgäste, die feiernde Hochzeitsgesellschaft Zerlinas, vor allem die vielen jungen Servier- und Zimmermädchen machen permanent DG kirre. Trotz aller Versuche der Vermeidung: Man denkt an Dominique Strauss-Kahn.
Es ist aber auch nicht so, dass die Anziehungskräfte einseitig verteilt wären. So manche Frau riskiert durchaus vielsagend einen Blick auf DG, auch Donna Anna durch den Türspalt ihrer Suite hindurch. Kein Wunder, dass er ihr umgehend nachspringt. Verwunderlich aber, wie dann ihr Vater, der eingreifende Komtur, umkommt: durch die von Don Giovanni geführte Hand der Tochter, die ein Messer zur Wehr gegen den Zudringlichen gezückt hatte. In diesem Moment merkt man einmal mehr: Der Don Giovanni ist einfach nicht auszuinszenieren; die Oper aller Opern lässt in ihrer Deutungsoffenheit ungeahnte Möglichkeiten zu.
Genau dies ist Bechtolfs Glück – und sein im Verlauf des Abends zunehmendes Pech. Gute, plausible oder auch theatralisch wirkungsvolle Regiegedanken hält er parat, und doch geht ihm peu à peu die Luft aus. Zwischen Leporellos Demonstration von Don Giovannis Eroberungsregister als Fotoalbum (1. Akt) und den umständlich-ungelenken, ziemlich treudoofen Ereignissen rund um des Komturs Beisetzung und das Grabmal in der Hotelhalle (!) klafft ein Abgrund. Bechtolf wollte Volten schlagen – bis hin zu einem finalen Dinner for One, doch die überwiegende Mehrheit davon bleibt schlicht deplatziert, auch: an den Haaren herbeigezogen.
Der Puls in Mozarts Musik kommt zu kurz
Und Christoph Eschenbach am Pult vor den Wiener Philharmonikern kann auch den zweiten Abend des neuen Salzburger Da-Ponte-Zyklus (2013: Così fan tutte) nicht rausreißen: Da erklingt vieles zu robust und zu getrieben im Sinne einer allzu demonstrativen Dramatik. Das Gesponnene, das Schwebende, der Puls in Mozarts Musik – sie kommen zu kurz. Mit einer Ausnahme: Für den außergewöhnlich empfindsam singenden Andrew Staples (Ottavio) schlagen die Wiener zartfühlende Töne an. Großartig Ildebrando d’Arcangelo in der Titelrolle. Er kaschiert den Schurken in sich mit einem sonor-vertraueneinflößenden Bass. Verständlich das Hinschmelzen der Frauen.
Sängerdarstellerisch markant-männlich auch Luca Pisaroni als Leporello sowie Alessio Arduini als Masetto. Unter den Solistinnen ließ Valentina Nafornita (Zerlina) besonders aufhorschen. Im Grunde genommen empfahl sie sich wärmstens als Donna Anna, die von Lenneke Ruiten zwar musikalisch, aber auch ein wenig dünn und spitz gegeben wurde. Anett Fritsch als Donna Elvira verfügt über einen weichen, fülligen Sopran, der gleichwohl eine Spur gebündelter hätte erklingen dürfen. Der Publikumsenthusiasmus hielt sich in Grenzen. Seit 2013 verhält sich das salzburgische Mozart-Glück flüchtend.
Die Diskussion ist geschlossen.