Bleiben wir bei Verstand
Vielleicht wäre es in der Situation mit EHEC das Beste, uns möglichst umfassend zu informieren, um hinreichend fundiert die Gefahren abwägen zu können.
Zehn Tage lang besaß die Gefahr die Form einer Salatgurke. Offenbar bedrohlich genug, um einen landwirtschaftlichen Produktionszweig an den Rand des Erliegens zu bringen und für zwischenstaatliche Verstimmung zu sorgen. Am Ende sind’s die Gurken dann gar nicht gewesen. Haben wir überreagiert?
Seit zwei Wochen gibt es Tote wegen eines neuartigen Darmkeims, sind im Norden Deutschlands Hospitäler voll mit teilweise schwer Erkrankten. Haben wir nicht allen Grund, uns Sorgen zu machen?
Aber ist es noch Sorge oder ist es schon überdreht, wenn man nicht nur ein bisschen, sondern eben ganz auf Nummer sicher gehen will und deshalb erst einmal auf alles Grünzeug, egal, woher es stammt, verzichtet? Welcher Produzent, welcher Händler stellt schließlich eine Unbedenklichkeitsbescheinigung aus, und wäre darauf denn absolut Verlass?
Man kommt nicht drum herum: Wir müssen uns entscheiden, müssen selbst Verantwortung übernehmen. Doch damit tun wir uns schwer, das zeigen die hochfahrenden Reaktionen auf den EHEC-Erreger und damit auf eine Situation, in der die Gesundheits-, ja Lebensgefahr eben nicht durch virologische Soforthilfe wieder in die Schranken gewiesen werden kann. Wo es (noch) keine wirksame Waffe, keinen völligen Schutz gegen die Bedrohung gibt, da keimt die Angst, ausgeliefert zu sein. Ein Gefühl, das wir in unserer gegen alles und jedes versicherten Wohlstandsgesellschaft gar nicht mehr auf der Rechnung haben, weshalb man hier gewiss einen der Gründe für manch vorschnelle Reaktion vermuten darf.
Solch unbehagliche Gefühlslage bringt es auch mit sich, dass uns das aktuell zur Verfügung stehende Wissen über Gefahren und Risiken – die viel beschworene „gesicherte Erkenntnis“ – oft nicht mehr ausreicht. Wir wollen mehr – und geben uns damit der Spekulation in die Hände. Der Blickwinkel verengt sich, man nimmt nur mehr die Meldungen über den Anstieg der Todesfälle, die Durchbruchs-Dementis der Wissenschaft wahr. Relativierende Stimmen werden kaum noch registriert, wenn nicht gar der Schönfärberei bezichtigt.
Dabei wäre es vielleicht das Beste in einer Lage, die wie jetzt erst mal zum Warten nötigt: uns möglichst umfassend zu informieren, um hinreichend fundiert die Gefahren abwägen zu können – und nicht gleich dem erstbesten „Killerkeim“-Gelärm auf den Leim zu gehen. Wer sich nicht den Verstand verstopfen lässt und das zugegeben mühsame Geschäft der Risikoabwägung selbst in die Hand nimmt, der unternimmt zugleich auch etwas gegen das Gefühl, preisgegeben zu sein. Nicht das Schlechteste in einer Situation wie der jetzigen.
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