Damit es wieder gerechter zugeht
Die Politik sollte offenkundige und nicht nur gefühlte Ungerechtigkeiten in Deutschland abmildern.
Die Soziale Marktwirtschaft ist das erfolgreichste Wirtschaftsmodell der Geschichte. Die dynamische, Wohlstand schaffende Kraft des Marktes zu nutzen und zugleich für sozialen Ausgleich zu sorgen, das war eine großartige, vor allem aus der katholischen Soziallehre herrührende Idee. Deutschland ist damit ausgezeichnet gefahren und steht auch heute, inmitten der Finanzkrise, vergleichsweise gut da. Kein System ist so perfekt, als dass es nicht ständig veränderten Realitäten angepasst werden müsste. Doch es gibt keinen Grund, das Erfolgsmodell Soziale Marktwirtschaft grundsätzlich in Frage zu stellen.
Umso erstaunlicher ist, dass das Vertrauen der Menschen in die Vorzüge der Wirtschaftsordnung stark gesunken ist. Da diese Entwicklung mit einer wachsenden Kritik am Parteienstaat und an der politischen Klasse einhergeht, droht das demokratische System als Ganzes in Verruf zu geraten. Vieles spielt da mit hinein: die Affären und Mauscheleien der Politik, die Gier von Topmanagern, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, das Gefühl vieler Bürger, nicht wirklich gehört und beteiligt zu werden. Der wichtigste Grund jedoch ist, dass immer mehr Menschen das Gefühl haben, es gehe in dieser Gesellschaft nicht gerecht zu. Die Exzesse des Casino- und Schuldenkapitalismus, die der Staat nicht zu verhindern wusste und deren Folgen er nun auf Kosten der Steuerzahler zu reparieren versucht, haben diesen Prozess der Entfremdung beschleunigt.
Ein System, das das Versprechen einer möglichst gerechten, auf faire Lastenverteilung angelegten Ordnung nicht einlöst, büßt nicht nur Vertrauen ein. Es setzt auch den Zusammenhalt einer Gesellschaft aufs Spiel, die ihren Kitt gerade auch aus dem Gefühl bezieht, dass es irgendwie gerecht zugehe und die kleinen Leute nicht die Suppe der wenigen Großen auslöffeln müssen. „Gerechtigkeit“, soziale zumal, ist ein schillernder, nicht hinreichend definierbarer Begriff, den nahezu jede Partei im Wahlkampfarsenal hat. Eine „gerechte“ Ordnung, die jedermanns Bedürfnissen entspricht, gibt es so wenig wie die „Gleichheit“ aller Menschen – mit Ausnahme jener vor dem Gesetz. Je freier die Bürger sind, desto ungleicher werden sie ja mit all ihren unterschiedlichen Talenten, Kräften und Ausgangsvoraussetzungen. Ein Staat, der materielle Gleichheit herzustellen versuchte, erlitte ökonomischen Schiffbruch und geriete zur totalitären Umverteilungsmaschine.
Gerechtigkeit lässt sich also nicht staatlich anordnen. Was die Politik tun kann, ist, offenkundige und nicht nur gefühlte Ungerechtigkeiten wenigstens abzumildern. Ungerecht ist beispielsweise, wenn die Verursacher der Bankenkrise ungeschoren davonkommen und die Haftung für Risiken an die Gemeinschaft weitergereicht wird.
Ungerecht ist, wenn Millionen für harte Arbeit Hungerlöhne bekommen und die Reichen immer reicher werden. Ungerecht ist, wenn jungen Menschen wegen mangelnder Bildungschancen der Aufstieg verwehrt bleibt. Ungerecht ist im Übrigen auch, dass die Mittelschicht zur Finanzierung des Sozialstaats über Gebühr geschröpft wird und den nachfolgenden Generationen ein gewaltiger Schuldenberg hinterlassen wird.
Auf all diesen Feldern muss die Politik ansetzen, wenn es wieder gerechter zugehen soll in diesem Land. Dazu bedarf es keiner gleichmacherischen „paternalistischen Fürsorgepolitik“, vor der der neue Präsident Gauck zu Recht warnt. Freiheit und Eigenverantwortung, kombiniert mit sozialem Ausgleich und größtmöglicher Chancengerechtigkeit: Das ist es, worauf es bei der Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft ankommt.
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