Ein Präsident für alle
Joachim Gauck ist eine gute Wahl. Anders als seine Vorgänger ist er kein Geschöpf der Kanzlerin. Dafür verfügt er über Autorität, Integrität und ist imstande Vorbild zu sein.
Die zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler und Christian Wulff waren Geschöpfe der Bundeskanzlerin. Es war Angela Merkel, die den Finanzfachmann Köhler aus dem Hut gezaubert hat. Es war Angela Merkel, die Wulff gegen den von Rot-Grün und vom Volk favorisierten, nun doch noch zum Zug kommenden Kandidaten Joachim Gauck durchgedrückt hat. In beiden Fällen hat Merkel aus parteipolitischem Kalkül gehandelt und die Wahl des Präsidenten zu einer Demonstration des schwarz-gelben Machtanspruchs genutzt. In beiden Fällen hat Merkel kein glückliches Händchen bewiesen.
Köhler ist, nach immerhin sechs Jahren im Amt, davongelaufen. Wulff hat vor den Anforderungen des Amtes versagt. Merkel, die führende Politikerin Europas, steht zur Stunde so hoch im Kurs, dass ihr Ansehen unter dem Scheitern des von ihr allzu lange beschützten Parteifreundes Wulff nicht gelitten hat. Doch ein weiterer Fehlgriff wäre ihr ebenso schlecht bekommen wie der Versuch, die Besetzung des höchsten Staatsamtes wieder nur im kleinsten schwarz-gelben Führungszirkel auszukarten und dann mit der Brechstange in der Bundesversammlung durchzusetzen.
Also hat Merkel diesmal den Weg der parteiübergreifenden Verständigung eingeschlagen, der nach zwei Rücktritten binnen zwei Jahren ohnehin geboten war. Sie suchte nach einem Kandidaten, der nicht von vorneherein polarisiert und von CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen gemeinsam auf den Schild gehoben werden kann. Eine Persönlichkeit, mit der Regierung und Opposition gut leben können.
Das frühe Angebot der Opposition zu gemeinsamen Gesprächen, Merkels rasches Eingehen darauf: Das war ein gutes Zeichen für die Bereitschaft der Parteien, das höchste, auf Überparteilichkeit angelegte Amt zur Abwechslung mal aus den Niederungen des Machtkampfes herauszuhalten. Es war eine schwierige Operation, weil jede der beteiligten Parteien ihre Interessen und die Wahlen 2013 im Blick hat und jede auf Geländegewinn aus ist. Auch Bundespräsident ist ein politisches Amt, dessen Besetzung seit jeher die Kräfteverhältnisse im Land widerspiegelt und Spekulationen über künftige Mehrheiten beflügelt. Nachdem das Feld der konsensfähigen Kandidaten gesichtet war und die Verhandlungen schon ins Stocken zu geraten schienen, ist der gordische Knoten doch noch überraschend zügig durchschlagen worden.
Es war ausgerechnet die FDP, die mit ihrem Vorpreschen für Gauck den Durchbruch geschafft und Merkel zum Einlenken gezwungen hat. Es mag sein, dass Merkel Gauck schon vorher auf der Rechnung hatte. Aber erst der Vorstoß der FDP für den Favoriten von SPD und Grünen mitsamt der Gefahr eines Koalitionsbruchs hat Merkel bewogen, über ihren Schatten zu springen und Gauck zu akzeptieren. Sie gibt damit offiziell zu Protokoll, 2010 falsch entschieden zu haben. Das mag peinlich sein und wirkt wie eine Niederlage. Aber es ist doch auch ein Zeichen von Größe, das Merkel nicht zum Nachteil gereichen wird.
Es ist ja eine gute Wahl. Der parteilose frühere DDR-Bürgerrechtler, der Wulff 2010 unterlegen ist und so eindrucksvoll über die Vorzüge der freiheitlichen Ordnung zu reden versteht, hat das Format zum Präsidenten. Er genießt, wie jüngste Umfragen belegen, weiter das Vertrauen der Bevölkerung und ist – von der Linkspartei abgesehen – ein Präsident für alle. Wulff hat nicht das Amt an sich beschädigt, wohl aber das Ansehen dieser Institution geschmälert. Umso mehr braucht es jetzt ein Staatsoberhaupt, das über Autorität und moralische Integrität verfügt und imstande ist, Impulsgeber und Vorbild zu sein. So lautet die Stellenbeschreibung, und Gauck ist der Mann, der den Anforderungen entspricht.
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