Ein Zeichen des Neuanfangs
Auch Bergoglio kann die Gesetze einer Weltkirche nicht im Alleingang verändern – ganz abgesehen davon, dass der italienischstämmige Lateinamerikaner kein ausgewiesener Reformer ist.
Die Wahl Joseph Ratzingers, der die Ära von Johannes Paul II. als Präfekt der Glaubenskongregation maßgeblich mitgeprägt hatte, war ein bewusst gesetztes Zeichen der Kontinuität. Mit dem bayerischen Papst Benedikt XVI., so viel war im Jahre 2005 klar, würde es keine Experimente oder gar einen Bruch mit der Amtsführung des charismatischen Polen Karol Wojtyla geben – und so ist es dann ja auch trotz der neuen Akzente, die der bedeutende Theologe Ratzinger gesetzt hat, gekommen. Die überraschende Wahl des Argentiniers Jorge Bergoglio zum neuen Bischof von Rom und Oberhaupt der weltweit größten Religionsgemeinschaft hingegen ist ein kräftiges Zeichen des Neuanfangs.
Der erste Nichteuropäer auf dem Stuhl Petri seit 1300 Jahren, der erste Jesuit, überdies ein volksnaher Mann mit einem ausgeprägt seelsorgerischen und sozialen Profil – all dies zeugt von dem Mut der Kardinäle (jedenfalls deren überwiegender Mehrheit) und der Bereitschaft zu einem Erneuerungsprozess. Auf den epochalen Schritt Benedikts, aus Altersgründen zurückzutreten und das Amt damit auch zu entmystifizieren, folgt eine Nachfolge-Entscheidung, deren Tragweite gar nicht zu überschätzen ist. Franziskus, wie sich Bergoglio in Anlehnung an den Bettelmönch Franz von Assisi nennt, verkörpert eine Botschaft des Wandels. Die überwiegend positiven Reaktionen zeigen, dass diese Botschaft in der Welt angekommen ist.
Dem 266. Nachfolger Petri fliegen die Herzen zu, weil er so bescheiden, so menschlich und unprätentiös auftritt und zugleich den Eindruck erweckt, als ob er über hinreichend Kraft, Mut und Machtinstinkt verfügte, der in der Krise steckenden katholischen Kirche neuen Schwung und neue Attraktivität zu verleihen. Allerdings: Es gibt keine Stunde null in einer jahrtausendealten Institution, die aus der Tradition lebt und gerade daraus ihre anhaltend große Kraft schöpft. Der Papst hat laut Kirchenrecht die „höchste, volle, unmittelbare Gewalt“, er ist ein absoluter Monarch. Aber kein Papst, und sei er noch so tatkräftig und reformfreudig, hat in Wahrheit freie Hand. Auch ein Bergoglio kann, selbst wenn er es wollte, die Gesetze und Spielregeln einer Weltkirche nicht im Alleingang verändern – ganz abgesehen davon, dass der italienischstämmige Lateinamerikaner kein ausgewiesener Reformer ist und etwa in Fragen der weltfremd anmutenden katholischen Sexualmoral auf der Linie seiner Vorgänger liegt.
So besehen sind die an sein Pontifikat geknüpften Erwartungen zu hoch gesteckt. Gut möglich übrigens, dass der aus einer Wachstumsregion des Christentums stammende Papst den Reformbedarf anders buchstabiert als die Kirchenkritiker des alten und glaubensmüde gewordenen Europa. Käme es so, wiche die Euphorie über den sympathischen neuen Mann hierzulande rasch der Enttäuschung.
Zu den Erwartungen, die der offenbar mit dem Talent des Brückenbauers gesegnete Bergoglio gewiss erfüllen kann, zählen die gründliche Reform des in Flügelkämpfe verstrickten Kurienapparats und die Eindämmung des römischen Zentralismus zugunsten einer Stärkung der Ortskirchen. Das ist die eine, die verwaltungstechnische, auch der Einheit der Kirche geschuldete Herausforderung. Die andere, ungleich wichtigere besteht darin, die Herzen der Menschen zu erreichen, für die Botschaft des Glaubens zu begeistern und sich mehr einzulassen auf die moderne Welt und die Lebenswirklichkeit der Menschen, ohne dabei ins Beliebige abzugleiten oder den Markenkern der Kirche zu gefährden. Es sieht so aus, als ob Franziskus dazu zumindest das Zeug hätte.
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