Euro-Doping für lauen Wahlkampf
Wenn dieser matte Wahlkampf doch noch interessanter wird, ist das einem 70-Jährigen zu verdanken. Wolfgang Schäuble hat es nicht mehr ertragen, von der Opposition in der Euro-Debatte der Lüge bezichtigt zu werden. Ihm gingen die Vorwürfe, er würde die Wahrheit über die Risiken für Deutschland vor der Wahl verschweigen, zu sehr gegen den Strich. Wie schon so oft platzten folgenreiche Sätze aus ihm heraus. In einem Moment der Unbeherrschtheit hat er zwar nur Altbekanntes gesagt, eben, dass es noch ein Hilfsprogramm für Griechenland geben könne. Aber Schäuble ist nicht irgendwer. Egal, was der Finanzminister über Athen kundtut, es wird zur Nachricht.
Dass der CDU-Mann ein drittes Rettungspaket als möglich erachtet und wie die Kanzlerin einen weiteren Schuldenschnitt ausschließt, wirkt wie Doping für einen bisher aufreizend langweiligen Wahlkampf. Was Merkel und ihr CSU-Mitstreiter Horst Seehofer partout verhindern wollten, ist eingetreten: Deutschland bekommt vor der Wahl eine Euro-Debatte, was der zentralen ökonomischen Bedeutung des Themas gerecht wird. Für ihre Verhältnisse wird Merkel deutlich und kritisiert, Griechenland hätte erst gar nicht in den Euro aufgenommen werden dürfen.
Damit hat Schäuble die Schildkröten-Strategie seiner Chefin, das heikle Thema aus der Hitze des Wahlkampfes herauszuhalten, beendet. Der Schildkröten-Vergleich ist zutreffend, weil Merkel sich lange in ihren Panzer des Schweigens zurückgezogen hat, sobald die bösen Worte „Euro“ und „Griechenland“ auftauchten. Jetzt ist die CDU-Chefin gefordert, verunsicherten Bürgern Antworten auf ihre Fragen zu geben, schließlich ist Deutschland als Retter hohe finanzielle Risiken eingegangen. Mit Wohlfühl-Wahlkampf allein kommt die Kanzlerin nicht mehr durch. Wenn Menschen spüren, dass ihre Sorgen keine Beachtung finden, verweigern sie den Urnengang. Nicht zu Unrecht glauben viele seit langem, dass die Wahrheit über zusätzliche Kosten der Euro-Rettung auf wundersame Weise nach der Wahl ans Tageslicht kommt. „Schlaftabletten zu verteilen“, wie der dank Schäubles Euro-Doping aufgewachte Herausforderer Peer Steinbrück Merkel vorwirft, hilft nicht weiter. Der SPD-Mann ist auf den Euro-Zug aufgesprungen und will die Kanzlerin beim Fernsehduell zu einer klaren Aussage über ein drittes Hilfspaket für Griechenland provozieren. Abgesehen von diesen Wahlkampfmanövern ist es an der Zeit, den Bürgern ausnahmsweise die Wahrheit zu sagen. Die Menschen ahnen ohnehin, dass die Krise im Euro-Land noch lange währt: Am Anfang einer TV-Offenbarungsstunde müssten die Rivalen eingestehen, Athen werde dauerhaft am Tropf reicher Länder wie Deutschland hängen.
Und der Anstand würde es gebieten, einzuräumen, dass es unmöglich ist, Griechenland aus der Euro-Zone zu drängen. Bei einer derartigen – zugegeben utopischen – Veranstaltung böte sich die Chance, den populistischen Euro-Kritikern von der Alternative für Deutschland entgegenzuhalten, dass unser Land der Hauptprofiteur der Währung ist. Der deutsche Staat nimmt mehr ein, als er ausgibt und ist ein Nutznießer der Leistungskraft exportstarker Unternehmen. Ein solches überfälliges klares Plädoyer für den Euro stünde Merkel wie Steinbrück gut zu Gesicht. Die Menschen müssen verstehen, welchen immensen Nutzen Deutschland trotz aller finanziellen Gefahren aus dem Projekt zieht. Dann hätten Schäubles Bekenntnisse und das Ende der Merkel’schen Schildkröten-Taktik einen pädagogischen Nutzen für viele.
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