Geld macht keine Kinder
Deutschland ist Vizeeuropameister in der Kinderförderung. Dennoch sinken die Geburtenzahlen, dennoch wächst die Zahl der Kinderlosen. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Da stimmt was nicht. Deutschland ist Vizeeuropameister in der staatlich finanzierten Kinderförderung. Dennoch sinken die Geburtenzahlen stärker als anderswo, dennoch wächst die Zahl der Kinderlosen, dennoch gelten Kinder als beinahe größtes Armutsrisiko. Es muss also andere Gründe geben, warum die Gesellschaft wenig familienfreundlich erscheint, warum die Entscheidung für ein Kind oder noch besser für Kinder so schwerfällt. Am Geld allein kann es nicht liegen.
Die familienpolitischen Leistungen werden mit jährlich 195 Milliarden Euro beziffert. Dahinter verstecken sich Wohltaten wie das Ehegattensplitting, das den Staat 75 Milliarden Euro kostet, wie das Kinder- und das Elterngeld, wie die als selbstverständlich empfundene beitragsfreie Mitversicherung von Familienangehörigen in der gesetzlichen Krankenkasse oder die Ausbildungsförderung Bafög. Diese Hilfen, die das System Familie stützen, sind gesetzlich verankert, teilweise durch höchstrichterliche Entscheidungen garantiert. Sie sind unverzichtbar, weil sie einen Teil der sozialen Gerechtigkeit sichern. Aber ihr Einfluss auf die Geburtenstatistik wird überschätzt, was auch die Befürworter des Betreuungsgeldes vielleicht eines Tages noch werden lernen müssen.
Das familienpolitische Problem liegt woanders. Den Skandinaviern gelang es in den 80er Jahren, den negativen Geburtentrend umzukehren. Nicht nur mit Geld, sondern mit gezielten Veränderungen, die Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren lassen. Dazu gehören eine auf Gleichheit der Geschlechter ausgerichtete Politik, ausreichende Strukturen für eine individuelle Förderung und Versorgung der Kinder sowie flexible Arbeitszeitmodelle. Das kann nicht allein der Staat leisten.
Das bis weit in die 60er Jahre gültige Familienmodell mit dem Vater als Ernährer und der Mutter als Vollzeit-Hausfrau, verantwortlich für Kinder und Küche, war da längst überholt. Die Frauen wurden als Arbeitskräfte gebraucht und wollten endlich auch ihre Chancen nutzen.
Deutschland hat es damals versäumt, auf die zur Selbstverständlichkeit gewordene Berufstätigkeit der Frauen rechtzeitig zu reagieren. Erst 2008 wurde beschlossen, dass wenigstens 35 Prozent der Kleinkinder ein Krippenplatz garantiert werden muss. Diese Entscheidung, die nach fünfjähriger Übergangsfrist ohnehin erst im August 2013 ihre volle Wirkung entfalten wird, ist von den realen Anforderungen schon überholt. Es werden mehr Plätze gebraucht, als garantiert werden sollen.
Familien- und vor allem kinderfreundliche Politik muss sich an den modernen Bedürfnissen junger Mütter und Väter orientieren. Sie sind auf dem Arbeitsmarkt begehrt, vor allem wenn sie gut ausgebildet sind. Für sie selbst bedeutet Berufstätigkeit neben Selbstverwirklichung und finanzieller Basis vor allem auch Altersvorsorge, was gerne vergessen wird. Dazwischen müssen Eltern einen Platz für Kinder finden, was ihnen nicht leicht gemacht wird.
Je ärmer ein Land ist, desto mehr Kinder werden geboren – welch ein Zynismus, aber offenbar ein Naturgesetz, das insbesondere in Afrika noch belegbar ist. Es galt auch für Deutschland, als mit deutlich geringerer staatlicher Hilfe Großfamilien die Regel waren und wo bis 1964 der Babyboom gestemmt wurde. Heute müssten die Segnungen des relativen Wohlstands nur in die richtige Richtung gelenkt werden, um Kinder von ihrer fatalen Degradierung zum Kostenfaktor zu befreien. So bekämen Familien wieder jene Perspektive, auf die sich dann auch neue Generationen gründen.
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