Hollande und das „deutsche Modell“
Es geht ein tiefer Riss durch die Regierungspartei. Beim Ringen darum, seine Mehrheit zusammenzuhalten, bleibt letztlich unscharf, was Hollande selbst denkt und will.
Es wäre unfair, François Hollande vorzuwerfen, er sei nicht lernfähig und bemüht. Da nahm man dem französischen Präsidenten im letzten Jahr seinen zweiwöchigen Badeurlaub übel – also verzichtet er in diesem Sommer fast ganz auf Ferien und stellt eine Omnipräsenz und einen Aktionismus zur Schau, wie man sie bis dahin nur von seinem Vorgänger Nicolas Sarkozy kannte. Man tat Hollande stets ab als Taktiker und „Tretbootkapitän“ ohne echte Strategie oder weiterführende Vision – und er antwortet mit einer Klausur über „Frankreich 2025“.
Das ferne Ziel reicht bewusst über das Jahr 2017 hinaus, sogar über 2022. Beides sind Schlüssel-Daten für ehrgeizige französische Politiker, weil in diesen Jahren Präsidentschaftswahlen stattfinden, und der Wahlkalender bestimmt üblicherweise die politische Aktion. Nicht so bei Hollande, lautet die Botschaft: Über seine persönlichen Ambitionen hinaus sorgt er sich wirklich um die Zukunft seines Landes. Wobei ihn auch die Kommunalwahlen 2014 durchaus bekümmern dürften, bei denen seiner Partei eine heftige Ohrfeige droht.
Angesichts einer verunsicherten und demoralisierten Bevölkerung, die den Niedergang des Landes im Wettbewerb mit anderen Nationen ebenso fürchtet wie eine Verschlechterung ihres persönlichen Lebensstandards und die ihrer Regierung und generell Institutionen nicht mehr vertraut, stellt Hollande mit seiner Klausur wohl schon die richtigen Fragen. Welche Wege führen in ein erfolgreiches, selbstbewusstes Frankreich der Zukunft? Was sind die Prioritäten für die Regierung, um sie einzuleiten? Wie lassen sich auch Einschnitte vermitteln, wenn sie eine Modernisierung des Arbeitsmarktes, der Renten- und Sozialsysteme erlauben, die eine Zukunft des Landes sichert?
Dass Reformen nottun, bekräftigen auch die Bewunderer von Gerhard Schröders „Agenda 2010“, die in Frankreich heute oft zitiert wird, aber nicht unumstritten ist. Das „deutsche Modell“ mit seinen Vorzügen und Nachteilen wird Teil der innenpolitischen Diskussion und Angela Merkels Stärke mit einer Mischung aus Furcht und Faszination beobachtet. Die einen setzen den aktuellen wirtschaftlichen Erfolg und die beneidete niedrige Arbeitslosigkeit beim Nachbarn in direkte Verbindung mit Schröders Reformen und fordern ähnliche Courage von Hollande. Die anderen warnen vor der Aufgabe des „französischen Modells“ mit seinen großzügigen Leistungen gerade auch für die Schwächsten.
Im Kern dreht sich die Debatte um die Frage, wie viel Sozialstaat sich das stark verschuldete Land eigentlich noch leisten kann, wie viel Spardisziplin notwendig und zumutbar ist. Dabei streitet die sozialistische Partei darum, wie „sozialdemokratisch“ ihre Politik werden darf.
Traditionell sind die Kontakte und Berührungspunkte mit der deutschen Schwesterpartei spärlich, da die SPD in den Augen vieler französischer Sozialisten zu liberal agiert. Hollande bleibt im Wahlkampf sehr diskret, nachdem Angela Merkel im französischen Wahlkampf seinen Gegner Sarkozy unterstützt hatte. Zwar würdigte er beim SPD-Jubiläum in Leipzig überraschend enthusiastisch die Agenda von Schröder, der ihn bereits mehrmals öffentlich kritisiert hat. Doch vor heimischem Publikum schwächt Hollande dies ab. Erwartungen in die anstehende Rentenreform senkt er von vorneherein. Keinesfalls will er den mächtigen linken Flügel verschrecken.
Es geht ein tiefer Riss durch die Regierungspartei. Beim Ringen darum, seine Mehrheit zusammenzuhalten, bleibt letztlich unscharf, was Hollande selbst denkt und will. Einmal mehr kommt der Taktiker in ihm heraus – nicht der Stratege.
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