Lücken im System
Dioxin im Bio-Ei, Pferdefleisch in der Lasagne. Was auch immer uns gerade den Appetit verdirbt, die Politik reagiert auf jeden Lebensmittelskandal mit den gleichen Reflexen.
Dioxin im Bio-Ei, Mäusekot im Brot – und jetzt Pferdefleisch in der Lasagne. Was auch immer uns gerade den Appetit verdirbt, die Politik reagiert auf jeden Lebensmittelskandal mit den gleichen Reflexen: eilends anberaumte Krisentreffen, seitenlange Aktionspläne, parteiübergreifende Bekenntnisse zu mehr Transparenz und schärferen Strafen. Viel genutzt jedoch haben all die Maßnahmen und Scheinmaßnahmen nichts. Die Betrüger in einer immer komplizierter vernetzten Branche fliegen nach wie vor viel zu selten und eher zufällig auf, sodass billig zusammengepanschte Fertiggerichte, angegrüntes Dönerfleisch oder Hühnchen voller Antibiotika längst dort gelandet sind, wo sie nie landen dürften: in unseren Mägen.
Im Pferdefleisch-Skandal läuft die politische Aufarbeitung nach genau dem gleichen Muster ab. Die Verbraucherminister von Bund und Ländern haben gestern zwar jede Menge Schwachstellen im System identifiziert. Ihr „Nationaler Aktionsplan“ aber ist derart unverbindlich ausgefallen, dass deshalb kein rumänischer Pferdemetzger um sein Geschäft fürchten wird. Die Herkunft von Zutaten wie dem Hackfleisch in einer Fertiglasagne, zum Beispiel, muss bisher nicht auf der Packung angegeben werden. Über eine strengere Kennzeichnung aber, die Ilse Aigner und die Länderminister jetzt in Aussicht stellen, entscheidet nicht die deutsche Politik, sondern die EU-Kommission. Auch härtere Strafen für die schwarzen Schafe in der Lebensmittelindustrie und im -handel sind leicht gefordert – im Gesetz stehen sie deshalb noch nicht. Ein Bußgeld von 50000 Euro schreckt keinen Fleischmafioso ab, wenn der mit seinen krummen Touren ein Zehn- oder Zwanzigfaches davon verdienen kann.
Hier, vor allem, muss die Politik jetzt ansetzen. Im Kartellrecht hat sich der Staat bereits die Möglichkeit geschaffen, Gewinne aus illegalen Absprachen zumindest teilweise zu beschlagnahmen. Eine vergleichbare Regelung im Lebensmittelrecht würde das unternehmerische Risiko für Fleisch- und Futtermittelpanscher, für Antibiotikaspritzer und Schmutzbäcker drastisch erhöhen – im Aktionsplan von Bund und Ländern allerdings taucht diese Option nur als vage Möglichkeit in zwei Zeilen auf.
Auch an die Handelsketten, die mit ihren Eigenmarken längst auf den Billig-Zug aufgesprungen sind, wagen sich die Verbraucherminister nicht heran. Edeka, Rewe oder Tengelmann sind streng genommen ja nicht nur Händler, sondern auch Hersteller. Bei Verstößen aber droht ihnen bisher nur ein leicht zu verkraftendes Bußgeld. In dem Moment, in dem sich das ändert, wird sich auch der Handel genauer überlegen, was er da eigentlich alles mit seinem eigenen Label in Regale und Kühltheken legt.
Auf der anderen Seite sind die strengsten Sanktionen und die detailliertesten Herkunftsnachweise den Aufwand nicht wert, wenn der Staat nur sporadisch kontrolliert. In Deutschland ist die Lebensmittelüberwachung bisher Ländersache und fast überall viel zu knapp besetzt – obwohl die Gegenseite sich, wenn man so will, längst globalisiert hat und immer ungenierter trickst und täuscht. Ein Land, das seinen Parkraum strenger überwacht als seine Lebensmittel, darf sich nicht wundern, wenn die Skandale sich ähnlich regelmäßig wiederholen wie Ebbe und Flut.
Dass den Gen-Mais bei Aldi vor einigen Jahren kein amtlicher Prüfer entdeckt hat, sondern ein Team von Greenpeace, spricht Bände: Im gegenwärtigen Kontrollsystem liegt so vieles im Argen, dass auch der überzeugteste Föderalist sich allmählich Gedanken über eine Alternative machen sollte: eine neue, straff und effizient organisierte nationale Kontrollbehörde.
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