Wie die Zeit vergeht
Heute ruft niemand mehr nach Ballacks Comeback, vor 481 Tagen war das noch anders
Vorgestern war noch Sommer, gestern dann schon Herbst. Und heute?
Im Supermarkt unseres Vertrauens bewegen junge Hilfskräfte schwere Paletten, beladen mit Nürnberger Lebkuchen aus internationaler Produktion, zu den Regalen. Unweigerlich fällt uns da Franz Beckenbauer ein: „Ja ist denn heut’ scho’ Weihnachten?“ Nein. Uns bleiben noch 107 Tage. Nur noch 107 Tage. Es könnte wieder knapp werden mit der Suche nach Geschenken für die Lieben.
Insbesondere, wenn wir in den kommenden 107 Tagen von anderen Großereignissen abgelenkt werden. Wie zum Beispiel dem 66. Geburtstag von Franz Beckenbauer.
Am Sonntag ist es so weit. Zur Einstimmung auf den Festtag hat der ewige Franz im Lebensfragen-Fachblatt Bunte wieder mal Weisheiten aus seinem reichen Erfahrungsschatz preisgegeben. Von dem Schlagerslogan „Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“ hält er nichts. Was Udo Jürgens einst schwungvoll über die Freuden des Alterns verbreitete, sei „nichts als Augenwischerei“. Beckenbauer, der nüchterne Realist: „Tatsache ist, es zwickt hier, es zwickt da, alles tut weh.“
Das Beispiel Michael Ballack
Michael Ballack wird am 26. September 35 Jahre alt. Ihn zwickt derzeit nichts. Bei Bayer Leverkusen aber halten sie ihn dennoch auf der Ersatzbank fest. Wobei der Verdacht besteht, dass ihn Trainer Dutt weniger als „eiserne Reserve“ denn als „altes Eisen“ sieht.
Ballack ist ein gutes Beispiel dafür, wie unbarmherzig das Leben an uns vorbeischnellen kann. Vor 481 Tagen, am 15. Mai 2010, stöhnte Fußball-Deutschland auf, weil Ballack in einem Spiel so schwer verletzt wurde, dass er nicht mit zur WM fahren konnte. Das schien ein nationales Unglück zu sein (was wahre Katastrophen sind, wurde uns gestern wieder bewusst gemacht). Damals schoben ARD und ZDF eilends Sondersendungen ins Programm ein.
Im Nachhinein weiß man: Es war ein Schicksalsschlag für Michael Ballack, Lahm und Co. aber kamen ohne ihn zurecht. Heute ruft niemand mehr nach Ballacks Comeback. Auch nicht nach einem 2:2 gegen Polen. Im Gegenteil.
Der bald 66-jährige Franz Beckenbauer hat in dem Bunte-Interview gewohnt offen seine Einschätzung über den bald 35-jährigen Michael Ballack zum Besten gegeben. Ballack sei „am Lebensabend angekommen“, sagte Beckenbauer unbarmherzig. Er hat zwar den Zusatz „fußballerisch gesehen“ nachgeschoben. Wirklich tröstlich ist das aber nicht. Hoffen wir, dass Michael Ballack noch ein langer, langer Lebensabend beschieden ist – menschlich gesehen.
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