Wo es schiefgeht, kommen die Bastler
Ist es nicht zum Haareraufen, wenn man den hilflosen Umgang mit der Reaktorkatastrophe in Japan beobachtet?
Ist es nicht zum Haareraufen, wenn man den hilflosen Umgang mit der Reaktorkatastrophe in Japan beobachtet? Da geistern die hochmögenden Sicherheitsprofis übers Gelände von Fukushima und basteln an den Unglücksreaktoren herum, als wäre ihnen im Kindergarten ein Lego-Turm umgekippt. Oh, Kernschmelze! Mist. Radioaktive Strahlung! Ja, was machen wir da bloß? Ach, versuchen wir es doch mal mit einem Wasserbad aus der Luft. Oder lassen wir einfach die radioaktive Suppe ins Meer fließen. Müssen wir eventuell eine dicke Mauer um die Dinger bauen?
Seltsam. Da baut man die eindrucksvollsten Hightech-Anlagen, aber wirklich ernsthafte Gedanken darüber, was zu tun ist, wenn etwas ganz schiefgeht, macht man sich offenbar erst, wenn etwas ganz schiefgegangen ist.
Mich erinnert das an die riesige Ölkatastrophe im Golf von Mexiko vor einem Jahr. Da waren auch die Bastler, Fummler und Ausprobierer am Werk, als hätte sich vorher keiner Gedanken über so ein Unglück gemacht. Ach, versuchen wir es erst mal mit kontrolliertem Abbrennen. Oder vielleicht besser mit Chemie? Ich hab’s: Wir nehmen einen Tauchroboter! Oder wie wär’s mit einem Stahldom?
Wir leben mit vielen Geistern aus der Flasche
So sehr sich Ingenieure und Gesetzgeber mit kleineren Gefahren befassen, bei den großen gibt es seltsame Berührungsängste. Winterreifenpflicht, Rauchverbot, Kinderwagen-TÜV: alles gut und schön. Tritt aber eine Katastrophe in einer technischen Großanlage ein, ist man nur halb vorbereitet und fängt an, hektisch herumzubasteln, um zu retten, was zu retten ist.
Warum ist das so? Vieles kommt zusammen. Das liebe böse Geld spielt eine Rolle. Sicherheit ist teuer. Aber es ist auch eine gute Portion Naivität und Risikoblindheit dabei. Wer die Technik liebt, spielt ihre Gefahren gern herunter. Bei den frühen Atomversuchen der fünfziger Jahre sind die Tester ahnungslos durchs verstrahlte Gelände spaziert, als wären sie in einer Sommerfrische. Später haben sie es bereut.
Komplexe Technik ist wie ein Geist, den man aus der Flasche lässt. Er macht unser Leben angenehmer, aber auch gefährlicher. Es wäre klug, zu wissen, wie wir den Geist zähmen, ehe wir den Korken ziehen. Aber wir sind Menschen und sagen: Öffnen wir die Flasche, dann schauen wir mal. Bei uns versucht man jetzt, den Geist der Atomenergie wieder in die Flasche zurückzuzaubern. Aber wir haben so viele Geister aus so vielen Flaschen gelassen, dass wir ohne sie nicht mehr leben können. Sie werden uns noch mit manchem bösen Streich überraschen.
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