Zu viel geredet, zu wenig getan
Europa steht an einem Scheideweg: Entweder es bleibt mutlos und hält an einem zaghaften „Weiter so“ fest. Oder aber die Union muss sich völlig neu ordnen.
Die vielleicht wichtigste Nachricht dieser Brüsseler Gipfel-Tage wird nicht im Schlussdokument stehen: Am Ende der Beratungen im EU-Kreis traten Angela Merkel und Nicolas Sarkozy gemeinsam an die Öffentlichkeit. Wie oft haben die Partner den beiden vorgeworfen, sie versuchten die Union mit ihren Vorabsprachen zu gängeln. Doch nun zeigt sich: Wenn zwischen den beiden Eiszeit herrscht, leidet die Europäische Union wirklich.
Die Bundeskanzlerin, mal als Motor, mal als „Madame Non“ der Gemeinschaft beschrieben, hatte beim wichtigsten Gipfeltreffen ihrer Amtszeit die Fäden nicht in der Hand. Daran war der störrische Präsident aus Paris mit seinem verzweifelten Versuch, die Europäische Zentralbank als Notenpresse zu missbrauchen, nur zum Teil schuld. Bei allem Verständnis für verfassungsrechtliche Notwendigkeiten: Aber die Regierungschefin zur Marionette des Bundestags-Haushaltsausschusses zu machen, war ein untauglicher Versuch, dem deutschen Verfassungsgerichts-Urteil gerecht zu werden. Man kann nicht Ergebnisse aushandeln, die schon vorher genehmigt werden müssen. Europa droht eine Stagnation, die nicht einmal die Mütter und Väter des Grundgesetzes gewollt haben können.
Vor diesem Hintergrund geriet der Versuch der Kanzlerin, Europa mehr Gemeinsamkeit abverlangen zu wollen, zu einer fast schon utopischen Vorstellung. Dabei kann nur dies der Weg sein. Das zeigt sich beispielhaft an den verzweifelten Versuchen Merkels und Sarkozys, ihren widerborstigen italienischen Amtskollegen Berlusconi zu engagiertem Sparen zu drängen. So kann keine Währungsunion dauerhaft und krisenfest funktionieren.
Europa steht an einem Scheideweg: Entweder es bleibt mutlos und hält an einem zaghaften „Weiter so“ fest. Dann aber stehen Euro und Binnenmarkt demnächst zur Disposition. Oder man entschließt sich zu einem engagierten Schritt, der nicht weniger als die Neuordnung dieser Gemeinschaft bedeutet: eine Union, in der nicht mehr einer auf Kosten des anderen herumwirtschaften und Solidarität als Einbahnstraße missdeuten darf.
Dabei braucht die EU ein starkes deutsch-französisches Gespann. Eine Kanzlerin, die nichts entscheiden darf, und ein Staatspräsident, der Gipfeltreffen als Teil seines Wahlkampfes betrachtet – das kann nicht funktionieren. Noch ist unklar, ob die Kraft am Mittwoch für einen wirklichen Befreiungsschlag reicht. Die Beschlüsse müssen die Finanzmärkte beruhigen und endlich etwas bewirken. Europa hat bislang zu viel geredet und zu wenig getan. Ab Donnerstag muss der Weg zu einem neuen Europa beschritten werden. Von allen. Aber mit Deutschland und Frankreich als Schrittmacher.
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