Merkel macht SPD-Politik
Angela Merkel soll Kanzlerin bleiben. Aber sie soll eine sozialdemokratische Politik machen. Das haben, so paradox es auch klingen mag, die Bundesbürger mehrheitlich bei der Bundestagswahl gewollt.
Das ist sechs Wochen nach der Wahl unverändert die vorherrschende Stimmung im Lande. Und das wird auch das Ergebnis der derzeit laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD sein.
Angela Merkel ist unbestrittener denn je, sie steht vor ihrer dritten Legislaturperiode, länger haben dann nur noch Konrad Adenauer und Helmut Kohl regiert. Sie ist die starke Frau der CDU, die den Kurs der Verhandlungen maßgeblich bestimmt. Ihr Ansehen reicht weit in die Reihen der SPD hinein, fast ein Drittel der Gewerkschaftsmitglieder wählten CDU/CSU, 7,4 Prozentpunkte mehr als 2009 – wegen Angela Merkel. Gleichzeitig befürworten 81 Prozent der Deutschen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro, sogar 71 Prozent der CDU/CSU-Wähler, 68 Prozent haben nichts dagegen, den Spitzensteuersatz zu erhöhen, sogar 55 Prozent der Merkel-Wähler. Klare Mehrheiten gibt es auch für den Ausbau der Kinderbetreuung und der Ganztagsschulen, für eine Finanztransaktionssteuer und für mehr Rücksicht auf die Kohle bei der Energiewende. Und fast schon nebenbei räumt die Merkel-CDU ohne großes Aufsehen die letzten Bastionen ihres konservativen Profils und signalisiert Entgegenkommen bei der doppelten Staatsbürgerschaft.
Die Koalitionsverhandlungen kommen gut voran, auch wenn es zur Dramaturgie derartiger Gespräche gehört, dass einem harmonischen Auftakt ein zähes Ringen um Details folgt und an der einen oder anderen Stelle gar ein ernsthafter Konflikt inszeniert wird, den die „Großen drei“, die Parteichefs persönlich, zu lösen haben. Doch die Unterschiede zu 2005 sind offensichtlich. War damals der erste Besuch der SPD-Delegation im Konrad-Adenauer-Haus noch so sensationell wie einst die Visite von US-Präsident Richard Nixon bei Mao Zedong in Peking, sind sich die beiden großen Parteien durch die Große Koalition zwischen 2005 und 2009 menschlich wie politisch näher gekommen. Die drei Parteichefs wie die drei Generalsekretäre und die Fraktionschefs verstehen sich bestens und pflegen einen offenen, vertraulichen Umgang und einen kurzen Draht. Das macht vieles einfacher.
Erst recht erleichtert die Verhandlungen ungemein, dass die Kassen gut gefüllt sind, die Steuern üppig sprudeln und die Sozialkassen auf Milliardenüberschüssen sitzen. Vom Vorhaben, Schulden zu tilgen und den Haushalt zu konsolidieren, sind die Koalitionäre in spe längst abgerückt. Stattdessen planen sie üppige Wohltaten von einem höheren Kindergeld bis zur Mütterrente. Angela Merkel, die „Lady in red“, hat keine Probleme damit, auch an dieser Stelle der SPD weit entgegenzukommen und eine sozialdemokratische Politik zu betreiben. Der Wirtschaftsflügel in ihrer Partei spielt kaum mehr eine Rolle, stattdessen ziehen die gestärkten Vertreter des CDU-Arbeitnehmerflügels mit den Sozialdemokraten an einem Strang. Und die Wähler honorieren es.
So läuft für Angela Merkel, die kühle Strategin im Kanzleramt, alles nach Plan. Die Quälgeister von der FDP ist sie losgeworden, die Koalition mit der SPD verspricht stabile Verhältnisse und ein ruhiges Regieren im Inland. Somit hat sie den Rücken frei für das große Ziel ihrer Kanzlerschaft – die Reform Europas. Auch dafür braucht sie die SPD, deswegen kommt sie ihr zu Hause weit entgegen. Und macht damit genau das, was die Wähler gewollt haben.
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