Die Trompete als Überlebensmittel
Der Allgäuer Komponist, Bandleader und Multi-Instrumentalist Matthias Schriefl musiziert aus Freiheitsliebe – und spricht über eine Beulenpest in der Heimat.
„BuJazzO – Trompeten“. Der Zettel an der Tür von Raum 205 zeigt an, dass man ihn hier finden muss – den Dozenten für die jungen Blechbläser, die zur Arbeitsphase des Bundesjazzorchesters in die bayerische Musikakademie nach Marktoberdorf gekommen sind, den Trompeter Matthias Schriefl.
Er ist aus Köln, wo er seit dem Studium lebt, wieder einmal heim ins Allgäu gekommen, für diesen Job. Braune Locken, rosa Brille, Ringelhemd, Hippiehose, ein schlanker, fast zarter Mann, so wartet er drinnen auf seine Schüler, fünf Buben und ein Mädchen. Sie kommen von den Musikhochschulen in Berlin, Hamburg und Dresden und wissen natürlich, wer sie hier erwartet: einer der angesagtesten Jazzmusiker dieser Jahre – als Komponist, Solist und Bandleader „ein Phänomen“ mit „mitreißendem Improvisationstalent“ und „sensationeller Bandbreite an Trompetensounds“, um nur einige der Pressestimmen von Schriefls Homepage zu zitieren.
Die Trompete als Spielzeug für alle Gelegenheiten
Der Vielgelobte begrüßt jetzt seine sechs Schüler, er spricht leise und vorsichtig, wirkt trotz seiner 37 Jahre kaum älter als sie. Und dann greift er gleich zur Trompete, jeder soll sich mal musikalisch vorstellen, und – schwupps – unterhalten sich sieben Trompeten anhand von Tönen zwischen Blues und Fanfare mit samtigen Tiefen und schrillen Diskantspitzen. So mag er’s, der Schriefl: Dass die Trompete ein selbstverständlicher Teil des Lebens ist, ein notwendiges Ausdrucksmittel, ein Spielzeug für alle Gelegenheiten, auch mal Überlebenshilfe.
So hat er’s auch erlebt, seit er mit drei Jahren so ein Ding haben wollte wie der große Bruder, und seit er sechsjährig die erste Trompetenstunde beim Vater bekam. Seither „blost er in alles nei, wo aus Blech isch“ (wie er nicht ohne Koketterie im Allgäuer Dialekt auf seiner Homepage schreibt) – in Trompeten, Flügel- und Tenorhörner, Sousaphon, Bariton und Tuba. Wer Schriefl in Konzerten gehört hat, wo er auch mal zwei Instrumente gleichzeitig an die Lippen hält, registriert fassungslos, was man aus diesen Instrumenten rausholen kann. Auch das hölzerne Alphorn spielt er gern, und er tut es virtuos und leicht, als sei es eine Flöte.
Ein Musiker ist rücksichtslosgegenüber sich selbst
All das ist das Ergebnis von über 30 Jahren Übefleiß. Freilich geht es dem Musiker um viel mehr als technik und Handwerk. Es geht ihm um Freiheit. Ums Improvisieren, das zum Jazz gehört wie die Butter zum Brot, ums Loslassen musikalischer Fantasie. Bei Schriefls Konzerten spürt man sie, die Sehnsucht nach Freiheit, wenn er sich verausgabt oder auftrumpft, wenn er reingrätscht und sich zum Clown macht. Einer, der Schriefl gut kennt, meint, so rücksichtlos gegen sich selbst wie dieser Allgäuer Jazzer müsse auch der junge Mozart gewesen sein.
Der Freiheitswunsch war es wohl auch, der Matthias Schriefl weg von den heimischen Blaskapellen und auch von der klassischen Ausbildung führte. In der Klassik gehe es bloß darum, wer das beste Rennpferd sei, meint er. Für ihn ist das Komponieren, das Erfinden, das Ausprobieren mit anderen Musikern, immer wieder und immer neu, „der Königsweg für einen Jazzmusiker“. Und er sagt: „Man ist ja Musiker geworden, weil man weiß, wie beschissen die andere Welt ist.“
Hoppla. Musik als Flucht, als Parallelwelt? Kann das gut gehen? Wenige Tage nach dem Besuch in Marktoberdorf ein Besuch bei Schriefl in Maria Rain, einem Dorf an der Grenze vom Ost- zum Oberallgäu, da wo er herkommt. Jetzt sitzt der Trompeter auf der Terrasse seines Elternhauses und hat „Schädelweh“, wie man im Allgäu sagt. Wie nun also: Katapultiert ihn die Musik raus aus der Welt? Nein, ganz im Gegenteil, brummt Schriefl: Musik ist wichtig, damit die Welt nicht noch schlechter wird. „Wir leben in einer Zeit der Vampire, Google und Amazon saugen alle Daten aus uns raus.“ Und dann diese hysterische Angst vor den Flüchtlingen. Kürzlich habe er ein Projekt mit Musikern der Roma, aus Syrien, Afrika und Mitteleuropa geleitet, um zu beweisen, dass verschiedene Kulturen nebeneinander existieren und auch miteinander ins Gespräch kommen können – seine Antwort auf die Flüchtlingsdebatte. Selbst fährt er immer mal wieder nach Südindien und bringt von dort Inspiration sowie Musikerkollegen mit, etwa den Flötenspieler Amith Nadig, mit dem er auch im Gasthaus Hirsch in Görisried musizierte.
„Dorfbürgermeister tun mit,die Welt kaputt zu machen“
Und dann ist da noch das Thema Heimat. Das ist für ihn, der trotz seines Kölner Lebensmittelpunkts ein Allgäuer geblieben ist, „sehr, sehr leidvoll.“ Da kann man doch wirklich Kopfweh kriegen, wenn man sieht, wie die Dorfbürgermeister und Bauämter mittun, die Welt kaputt zu machen. Alles werde zugebaut, Straßen verbreitert, Gewerbebauten, Einfamilienhäuser, Doppelgaragen. Die Flächenfresser wüchsen wie die Beulenpest in die Landschaft hinein. „Demokratie ist doch nicht, das jeder sein Haus irgendwo hinsch... darf.“ So drastisch kann sich dieser stille Mann ausdrücken, wenn es ums Allgäu geht.
„Ich will das Thema Heimat nicht den Rechtspopulisten überlassen, ich sage was mit meiner Musik dazu.“ Stimmt: Schriefl macht ja auch eine Art Volksmusik, tritt nicht nur gern in Lederhose auf, sondern baut in seine Kompositionen immer wieder volkstümliche Elemente ein, Polka, Marsch, Landler. Gleich darauf freilich bricht er diese behäbige Seite wieder, konterkariert das Eingängige mit unvorhersehbar schrägen und sperrigen Passagen. Weltoffen kann man diese Musik wohl nennen.
Die Welt ruft ihn auch immer wieder auf die Bühne – im Herbst stehen eine Mexiko-Tournee an sowie Auftritte in Köln, Stuttgart, Frankfurt. Dazwischen Abstecher ins Allgäu: 10. September in Maria Rain, 19. Oktober in Martinszell.
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