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25 Jahre danach
26.04.2011

Tschernobyl: Sag mir, wo die Menschen sind

Vergnügungspark in Pripjat, ein Bild der Autoscooter in der Sperrzone
2 Bilder
Vergnügungspark in Pripjat, ein Bild der Autoscooter in der Sperrzone
Foto: Winfried Züfle

Die Todeszone um den zerstörten Atomreaktor von Tschernobyl ist größtenteils auf Dauer unbewohnbar. Pripjat war ein sozialistisches Vorzeigeprojekt mit 50000 Einwohnern. Ein Besuch

Die junge Hotelmanagerin Alissa zeigte kein Verständnis. „Warum fahren Sie nach Tschernobyl?“, fragte sie mich. „Kiew ist doch eine schöne Stadt – und bei uns ist es auch nicht gefährlich.“ Ich murmelte etwas von journalistischem Auftrag – aber Alissa telefonierte schon wieder mit dem Handy. Sie wollte mich ja nicht wirklich an der Reise hindern.

Der Unterschied könnte größer nicht sein. Kiew, die Hauptstadt der Ukraine, glänzt mit prächtiger Tradition und frisch erworbenem Glamour. Die Kirchen tragen goldene Kuppeln, am Prachtboulevard Kreschatik dominieren jetzt die Luxusläden. Vor allem die jungen Frauen sind topmodisch gekleidet. Und große Ereignisse kündigen sich an: Im Olympiastadion findet im kommenden Jahr das Endspiel der Fußball-Europameisterschaft statt. Am Neuaufbau der Arena wird emsig gearbeitet.

Nur zwei Autostunden entfernt, in der Geisterstadt Pripjat mitten in der Sperrzone von Tschernobyl, für die sich auch der Begriff Todeszone eingebürgert hat, ist dagegen alles trostlos. Kein Mensch ist zu sehen, überall zersprungene Fensterscheiben, Rost, aufgeplatzter Asphalt – Spuren des Verfalls. Vom obersten Stockwerk des Hotels „Polessje“ bietet sich eine frappierende Aussicht – auf den nur drei Kilometer entfernten Sarkophag von Block vier des Kernkraftwerks Tschernobyl. Heute vor 25 Jahren ereignete sich dort die bis vor kurzem größte Reaktorkatastrophe in der Geschichte der zivilen Atomkraftnutzung. Inzwischen hat das japanische Fukushima in der Rangfolge des Schreckens gleichgezogen.

Im Hotel wachsen Birken aus den Bodenfliesen

Das Hotel ist von Menschen ausgeschlachtet worden, den Rest besorgen Wind und Wetter. Glassplitter und Schutt knirschen bei jedem Schritt unter den Füßen. Auch die Treppen sind mit Trümmern übersät. Die Aufzugsschächte stehen offen, alle Möbelstücke sind weg. Mitten im Panoramaraum im sechsten Obergeschoss wachsen Birken. Ihre Wurzeln haben die Bodenfliesen aufgesprengt.

Der Blick fällt auf den großzügigen Hauptplatz der Stadt, auf den Vergnügungspark mit Riesenrad, der am 1. Mai des Katastrophenjahres hätte eröffnet werden sollen, auf die leer stehenden Wohnblocks und das unmittelbar dahinter liegende Atomkraftwerk. Als ich 1996, zehn Jahre nach dem Unglück, erstmals hier stand, war noch ein Nachbarblock des Unglücksreaktors in Betrieb gewesen. Mit der Abwärme wurden sogar Gewächshäuser beheizt, die mitten aus der Todeszone Schnittblumen für den Markt in Kiew lieferten. Erst im Jahr 2000 wurde das AKW endgültig abgeschaltet. Die Ukraine ließ sich dieses Entgegenkommen seinerzeit mit vielen Millionen Dollar aus dem Westen honorieren.

Beim Blick über die ausgestorbene Stadt schießt mir unwillkürlich der Gedanke an die eigene Sicherheit durch den Kopf. Der Boden ist verseucht, Plutonium hat eine Halbwertszeit von 24000 Jahren, die Stadt ist auf Dauer unbewohnbar. Die Strahlung ist da, auch wenn man sie nicht sieht. Unten auf dem Platz, dessen Asphalt längst dekontaminiert wurde, hatte der Geigerzähler 0,9 Mikrosievert pro Stunde angezeigt, ein nur mäßig erhöhter Wert. Aber niemand weiß, wo im Gelände Cäsium- oder Plutonium-Atome liegen, die aufgewirbelt und eingeatmet werden könnten.

Wo sind die Menschen, die hier gelebt und gearbeitet haben? Wie geht es ihnen? Insgesamt fünf Millionen Menschen, davon 2,4 Millionen in der Ukraine, haben aufgrund der atomaren Verseuchung ihre Heimat verlassen müssen – der 30-Kilometer-Radius um Tschernobyl ist nur eine von vielen Todeszonen. Auch in Weißrussland und Russland wurden Gebiete unbewohnbar.

800000 Katastrophenhelfer, sogenannte Liquidatoren, mussten ohne Aufklärung über die Risiken und ohne ausreichenden Schutz am havarierten Reaktor und in den Sperrzonen arbeiten. Die Internationale Atomenergiebehörde spricht von 51 Todesfällen als unmittelbare Folge der Reaktorexplosion sowie von 9000 Toten aufgrund von Spätfolgen. Das Wissenschaftszentrum für Strahlenmedizin des ukrainischen Gesundheitsministeriums berichtet dagegen, dass mehr als eine halbe Million Menschen, die im Zusammenhang mit dem Super-GAU medizinisch untersucht wurden, inzwischen gestorben sind. Sie waren nicht alle Strahlenopfer – aber viele wohl doch. Die Opfer in Weißrussland und Russland wurden in Kiew nicht gezählt.

Im 1970 gegründeten Pripjat lebten zum Zeitpunkt der Katastrophe 50000 Menschen. Die nach dem nahen Fluss benannte Stadt sollte eine Mustersiedlung werden, bewohnt vorwiegend von jungen Familien. Wohnblocks im Grünen, ein Hallenbad mit Sprungturm, eine gut ausgestattete Klinik, Schulen, Kindergärten – und der protzige Kulturpalast „Energetik“ zeugen davon. Vor 15 Jahren waren die großen Glasscheiben noch intakt. Jetzt fegt der Wind durch das Gebäude, im ehemaligen Festsaal wachsen Bäume. Das riesige Wandbild mit Motiven aus dem ukrainischen Landleben zerbröselt langsam, die Bücher aus der Bibliothek, marxistisch-leninistische Literatur, aber auch Lyrikbände, liegen verstreut am Boden, im Magazin stehen immer noch Plakate mit Politikerköpfen, die man am 1. Mai 1986 bei der Kundgebung durch die Stadt tragen wollte.

Vom Zentrum bis zu den Atomreaktoren sind es nur 3000 Meter. Für die Beschäftigten war es ein kurzer Weg zur Arbeit. Doch dieses blinde Vertrauen in die Atomkraft hat sich bitter gerächt. Nach der Katastrophe herrschte extrem hohe Strahlung, alle Bewohner hätten sofort weggebracht werden müssen. Aber der Sowjetstaat reagierte zu spät. Als die Busse aus Kiew ankamen, waren bereits 36 Stunden vergangen.

Zurück blieben Hausschuhe und eine „Prawda“ vom 7. April 1986

Seither steht alles leer. Auch das Hotel ist damals fluchtartig geräumt worden. Obwohl die Todeszone von der Miliz bewacht wird, ist inzwischen alles, was brauchbar schien, von Plünderern weggeschafft worden. Deswegen ist Pripjat auch kein modernes Pompeji. Während die antike Stadt zu Füßen des Vesuvs in Vulkanasche konserviert wurde, stellt Pripjat nur noch eine leere Hülle dar. In einem Hotelzimmer liegen nur noch wenige Utensilien, die keiner haben wollte: Hausschuhe, Teller, eine Zeitung. Es ist das Moskauer Parteiblatt Prawda vom 7. April 1986.

Im Zeitungskopf prangt doppelt das Bild Lenins. Auch das Atomkraftwerk Tschernobyl trug den Namen des Gründers der UdSSR. Jenes Lenin, der gesagt hatte: „Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes.“ Vor dem Verwaltungsgebäude hatte ich 1996 noch ein Bronzebild Lenins gesehen. Jetzt ist es weg. Abmontiert wurde es in dieser menschenleeren Stadt wohl kaum aus ideologischen Gründen...

Der Streifzug durch die verlassene Siedlung führt in die Schule Nummer drei, der Eingang ist fast zugewuchert. Am Schwarzen Brett hängen noch Plakate, auf denen erklärt wird, wie Atomstrom gemacht wird – eine scheinbar sichere Sache, heute pure Ironie des Schicksals. In einem der wenigen noch möblierten Klassenzimmer liegen Bücher und Hefte dekorativ auf den vorderen Bänken – offenbar bewusst platziert von Besuchern, die hier Fotos schossen. Ein deutsches Buch ist dabei, eine Familie wird darin vorgestellt. „Olga und Viktor sind Komsomolzen“, Mitglieder des kommunistischen Jugendverbands, steht dort zu lesen.

Über eine kleine Eisenbahnbrücke – auch Todesbrücke genannt, weil man von dort aus 1986 direkt ins Höllenfeuer des zerstörten Reaktors4 blicken konnte – führt die Straße zum Sarkophag. Er ist noch im Laufe des Katastrophenjahres über dem geschmolzenen Reaktorkern errichtet worden. Die bucklige Hülle aus Stahl und Beton schützt vor der tödlichen Strahlung. Aber sie ist nicht dicht. Der Geigerzähler rattert los und zeigt vier bis fünf Mikrosievert pro Stunde an – bliebe man hier drei Wochen lang stehen, erhielte man die in Deutschland übliche Strahlendosis für ein ganzes Jahr. Aber ein Aufenthalt von zehn, 15 Minuten, sage ich mir, ist wirklich kein Problem.

Auf dem Platz weist wenig auf die außergewöhnliche Situation hin. Dort soll es zum ersten atomaren Super-GAU gekommen sein? Jetzt gibt es eine gepflasterte Aussichtsplattform und ein Denkmal, das den tapferen Erbauern des Sarkophags zum 20. Jahrestag der Katastrophe im Jahr 2006 errichtet worden ist. Arbeiter mit Mundschutz sind gerade dabei, die Straße zu kehren – besonders eilig haben sie es nicht. Vor 25 Jahren hätte an dieser Stelle niemand lange überlebt. Gerüste am Sarkophag zeigen, dass Reparaturbedarf besteht. Seit Jahren wurde immer wieder der Bau einer neuen, großen Schutzhülle angekündigt, die über die alte geschoben wird. Sie soll dann 100 Jahre lang halten. Aber zu sehen ist von ihr nichts.

Der Ort des Schreckens liegt im angeblich grünen Bereich

18 Kilometer vom AKW entfernt liegt die Kleinstadt Tschernobyl. So kurios es klingen mag, der Ort, der dem Desaster seinen Namen gab, wurde von der Reaktorkatastrophe nur gestreift. Der Geigerzähler zeigt jetzt nur noch ungefährliche 0,12 Mikrosievert an. Im Vergleich zu Pripjat ist Tschernobyl hässlich. Es gibt zwar einige alte, landschaftstypische Bauernhäuser – daneben aber nur graue, heruntergekommene Wohnblocks, davor oberirdisch verlegte Rohre. Von Montag bis Donnerstag leben 3000 Menschen dort, die in der Todeszone arbeiten: Milizionäre, die das Areal bewachen, Ingenieure, die die stillgelegten Reaktorblöcke betreuen, Wissenschaftler, die das unfreiwillige Renaturierungsexperiment studieren.

Die Experten haben die radioaktive Belastung genau erfasst. Im Büro der staatlichen Agentur Tschernobylinterinform ist die Verteilung von Cäsium und Plutonium im Boden auf einer Karte zu sehen. Sie gleicht einem Flickenteppich. Die Wolken voller nuklearer Partikel sind vor allem in Richtung Westen und Norden gezogen. In der Gegend von Tschernobyl dominiert jedoch die Farbe Grün. Dieser Teil der Todeszone solle in absehbarer Zeit freigegeben werden, heißt es. Ob die künftigen Bewohner dort ganz ohne mulmiges Gefühl leben und Landwirtschaft betreiben werden?

Die Natur holt sich vieles zurück. Im Dickicht am Straßenrand sind einstige Dörfer nur noch zu erahnen. Bald werden nur noch Mauerreste im Wald übrig sein. In Pripjat sah ich am Rand einer Straße zwei wilde Hunde. Jetzt taucht auf von Gestrüpp überwucherten Feldern eine Gruppe Wildpferde auf. Romantische Bilder. Aber sind die Tiere nicht verstrahlt?

In Tschernobyl und einigen Dörfern leben ältere Menschen, die mit Duldung der Behörden in die Sperrzone zurückgekehrt sind. Ihre Zahl ist in den letzten Jahren zurückgegangen. In Tschernobyl sollen es noch um die 40 sein, in den anderen Dörfern weniger.

Zwei Stunden, nachdem das Kontrollgerät am Ausgang der Sperrzone grün aufgeleuchtet hatte, bin ich zurück in Kiew. Es ist früher Abend, immer noch Rushhour. Die Straßen sind verstopft, die U-Bahnen überfüllt. Aber ich bin in einer Stadt, die lebt. Wie gut das tut! Irgendwie hat Alissa doch recht gehabt.

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