Erst rot, dann weiß
Die Stadt Mindelheim hat ein Sichtmauerwerk gebaut, von dem jetzt nicht mehr viel zu sehen ist. Was manchen Historiker freut, könnte den Steuerzahler ärgern.
„Irgendwie sieht die Mauer über der Mindelheimer Tiefgarage doch anders aus“, dachte sich eine Leserin, die länger nicht mehr daran vorbeigekommen war. Und sie hat recht. Bereits im Herbst vergangenen Jahres wurde die rekonstruierte Stadtmauer am ehemaligen Ochsen-Areal verschlämmt und weiß gestrichen. Das wäre sicher nicht weiter ungewöhnlich, wäre die Mauer vor rund sieben Jahren nicht extra mit Klinkern, also ziegelsichtig, gebaut worden. Rund 100 000 Euro hat das laut Steffen Lutzenberger von der ausführenden Baufirma gekostet. Denn die harten Klinker sind teurer als Ziegel und weil hinterher die Fugen zu sehen sind, muss zudem auch genauer gearbeitet werden, was ebenfalls kostet. Ziemlich viel Aufwand also für eine Mauer, die jetzt – zumindest für den Laien – eben aussieht wie eine weiße Mauer, deren Ziegelstruktur noch zu erkennen ist. Aber nicht einmal das wäre nötig gewesen, sagt Michael Habres vom Landesamt für Denkmalpflege. Theoretisch hätte die Stadt auch eine ganz herkömmliche Ziegelmauer bauen, sie verputzen lassen und so – nach Schätzung mehrerer Bauexperten – je nach Ausführung bis zu zwei Drittel der Kosten sparen können. Hat sie aber nicht, sondern stattdessen erst 100 000 Euro für das Sichtmauerwerk gezahlt und jetzt noch einmal 18 000 Euro dafür, dass es weniger sichtbar ist. Dabei wäre dem Landesamt für Denkmalpflege die günstigere Lösung von Anfang an lieber gewesen. Weil sie historisch korrekt gewesen wäre und zudem besser ins Stadtbild passt, sagt Habres. Eine Auffassung, die auch die Kreisheimatpfleger teilen. „Eine Ziegelsichtmauer hatte man damals nicht – außer man konnte sich nichts anderes leisten. Das war peinlich“, erklärt Christian Schedler. Und ihm war es das vermutlich auch, als vor ein paar Jahren die Heimatpfleger aus ganz Schwaben in Mindelheim zu Gast waren und kopfschüttelnd vor der Rekonstruktion standen. Die habe mit Geschichte und Denkmal nichts zu tun, lautete ihr vernichtendes Urteil. Stadtmauern, da sind sie und die Leute vom Landesamt für Denkmalpflege sich einig, waren im Barock nicht nur in Schwaben, sondern in ganz Bayern verputzt oder zumindest verschlämmt. Und zwar weniger aus optischen, als vielmehr aus praktischen Gründen: Die dünne Mischung aus Kalk und Sand, die mit einem dicken Pinsel aufgetragen wurde, schützte die gebrannten Ziegel und die Fugen vor der Witterung, erklärt Kreisheimatpfleger Peter Kern. Wo heute in Mindelheim das bloße Mauerwerk zu sehen sei, sei lediglich die dünne Putzschicht abgebröckelt. Der Urzustand sei das aber keineswegs. Lediglich in der Romantik, also sehr viel später, sei unverputztes Mauerwerk kurzzeitig modern gewesen – in Mindelheim zu sehen an Teilen der Burgmauer. Die wiederum führt Stadtbaumeister Gerhard Frey als Vorbild für die Rekonstruktion der Stadtmauer an. In Absprache mit dem Landesamt für Denkmalpflege sei die Mauer beim Hirschgraben an der Mindelburg damals gebaut worden und zwar ziegelsichtig. „Für uns war folgerichtig, das hier unten nicht falsch sein kann, was da oben stimmt.“ Er verweist zudem auf Memmingen. Dort sei die Stadtmauer im Bereich der Stadthalle ebenfalls als Sichtmauerwerk gestaltet worden. „Warum ist es dort richtig und bei uns falsch?“, fragt er und verwehrt sich entschieden dagegen, die Stadt könnte einen Fehler gemacht haben. Was richtig oder falsch sei, darüber könne man unterschiedlicher Meinung sein. „Wenn ich mit offenen Augen durch die Stadt gehe, sehe ich beides, verschlämmt und unverschlämmt“, sagt denn auch Bürgermeister Stephan Winter. Er spricht von einem „Richtungsstreit“. Und um den endlich zu beenden, habe die Stadt nun eben doch dem Wunsch der Kreisheimatpfleger und des Landesamtes für Denkmalpflege entsprochen und die Mauer geschlämmt und weiß gestrichen. „Die Mauer war vorher genauso richtig, wie sie jetzt richtig ist“, findet er.
Dieser Artikel ist hier noch nicht zu Ende, sondern unseren Abonnenten vorbehalten. Ihre Browser-Einstellungen verhindern leider, dass wir an dieser Stelle einen Hinweis auf unser Abo-Angebot ausspielen. Wenn Sie weiterlesen wollen, können Sie hier unser PLUS+ Angebot testen. Wenn Sie bereits PLUS+ Abonnent sind, .
Dieser Artikel ist hier noch nicht zu Ende, sondern unseren Abonnenten vorbehalten. Ihre Browser-Einstellungen verhindern leider, dass wir an dieser Stelle einen Hinweis auf unser Abo-Angebot ausspielen. Wenn Sie weiterlesen wollen, können Sie hier unser PLUS+ Angebot testen.
Die Diskussion ist geschlossen.