Die neue Angst vor dem Fliegen
Eine Maschine verschwindet, eine wird abgeschossen, eine andere stürzt aus ungeklärtem Grund ab. Hunderte Menschen sterben. Tausende Passagiere fürchten ein ähnliches Schicksal.
Zwei Flugzeuge hat die Malaysia Airline in den letzten Wochen verloren. Die Unglücke über der Ostukraine und über dem Indischen Ozean kosteten hunderte Menschen das Leben. Auch über Mali stürzte kürzlich eine Passagiermaschine ab. Der Kölner Diplompsychologe Ingo Bögner ist Experte für Flugangst. Er erklärt, welche Auswirkungen diese Katastrophen auf das Gefühlsleben von Passagieren haben.
Haben seit den beiden Abstürzen der vergangenen Wochen mehr Menschen Angst vorm Fliegen?
Ja, auf jeden Fall, viel mehr. Ich habe normalerweise in einer Woche vier oder fünf Anfragen wegen Flugangst. Und seit den Unglücken sind es mehr als dreißig. Das sind Menschen, die beruflich fliegen müssen und solche, die in den Urlaub wollen. Eine Variante ist Angst vor einem Absturz, neuerdings mit der Idee, dass man abgeschossen werden könnte. Manche haben Angst vor Gewittern, wenn sie im Flugzeug sitzen, weil sie denken, dass das gefährlich sein könnte. Und dann haben viele Angst, im Flugzeug die Kontrolle zu verlieren, eine Panikattacke zu haben, einen Herzstillstand oder Atemnot.
Wie äußert sich das?
Der Körper reagiert seit Jahrtausenden bei Angst immer gleich. Immer ein Fluchtreflex. Das ist auch die wichtigste Nachricht für Betroffene, dass das eine normale körperliche Reaktion ist, Herzrasen oder Schwindel, Atemnot und Schwitzen – das sind ganz normale Vorgänge, das liegt nicht daran, dass jemand Asthma hat oder ein Herzproblem. Und meistens hat das ja eine Vorgeschichte. Schon bevor sie überhaupt zum Flughafen kommen, atmen die Leute stundenlang total flach. Und dann kommt natürlich die Luftnot.
Männer trinken Alkohol, Frauen nehmen Tabletten
Wer ist betroffen?
Männer und Frauen gleich häufig. Aber die Art, damit umzugehen, ist unterschiedlich. Männer greifen im Flieger gern zu Alkohol, Frauen zu Tabletten. Und je gebildeter die Menschen sind, desto mehr machen sie sich Sorgen.
Die Wahrscheinlichkeit, zu sterben, ist auf jeder Autobahn höher als im Flugzeug. Warum fürchtet sich kaum einer vor dem Autofahren, aber so viele vor dem Fliegen?
Das ist reine Statistik, das hilft in diesem Fall gar nicht. Jeder weiß ja, dass es auf der Autobahn viel gefährlicher ist als im Flieger. Aber das Argument von Menschen mit Flugangst ist immer: „Ich hab ja keine Kontrolle und kann nicht weg“. Da sitzt der Pilot da vorne, und auf den hat man keinen Einfluss. Und die Angst vor der Höhe ist eine Urangst. Auch dieses Nicht-Rauskommen. Und dann kreisen die Gedanken: „Ich kann runterfallen, ich komm nicht raus“. Zwanzig Prozent der Bevölkerung haben starke Flugangst.
Auf den Flug wie auf eine Prüfung vorbereiten
Was kann man dagegen tun?
Das ist die gute Nachricht. Flugangst ist sehr gut behandelbar. Das ist vergleichbar mit Prüfungsangst. Man kann sich auf einen Flug wie auf eine Prüfung vorbereiten, und dann fühlt man sich sofort besser. Man muss sich klarmachen, die ganzen Geräusche im Flugzeug sind alle normal, ein Gewitter macht der Maschine überhaupt nichts, real kann so gut wie nichts passieren. Kein Auto ist so gut gewartet wie ein Flugzeug. Das würde viele Menschen schon beruhigen. Außerdem muss man sich klarmachen, Angst ist einfach nur Anspannung. Und das ist nicht gefährlich, und man kann diese Anspannung auch wieder relativ problemlos lösen.
Der Körper reagiert auf die irrationalen Gedanken, die man sich macht. Aber man kann seine Gedanken ja bewusst steuern. Man kann sich sagen: „Ich fliege jetzt in den Urlaub wie Millionen andere Leute“. Und man kann sich auf diesen Urlaub freuen. Man sollte sich ablenken, mit anderen Menschen sprechen, einen Film schauen. Und wer dann noch Entspannungsmethoden gelernt hat, kann diese anwenden. In leichten Fällen von Flugangst kommt man mit diesen Tipps gut klar. Und in schwereren Fällen hilft auf jeden Fall eine Verhaltenstherapie.
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