Germanwings-Absturz: Wenn die Sicherheitstür zum Verhängnis wird
Das Drama im Germanwings-Airbus ist nicht das erste, bei dem sich ein Amok-Pilot im Cockpit verschanzt. Dass die Schutztür unüberwindbar ist, kritisieren Experten schon lange.
Augsburg Flugkapitän Patrick S. dürfte gewusst haben, dass er keine Chance hatte. Auf der Aufnahme des Rekorders der Blackbox hörten die Ermittler, wie der ausgesperrte Pilot mit ganzer Kraft versuchte, die gepanzerte Tür zum Cockpit einzutreten. Er kämpft, seinen jungen Co-Piloten davon abzuhalten, alle 150 Menschen an Bord in den Tod zu reißen.
Ein solches Hämmern der Verzweiflung hörten auch Experten, die im November 2013 den Absturz eines Jets der Fluggesellschaft LAM in Namibia untersuchten, auf dem Stimmenrekorder: Damals war es der Co-Pilot, der seinen im Cockpit verbarrikadierten Kapitän vom selbstmörderischen Absturz abhalten wollte. Alle 33 Menschen an Bord der Embraer Typ 190 starben.
Sicherheitstüren erweisen sich als tödliches Verhängnis
Beide Katastrophen ähneln sich stark. Die nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 international eingeführten Sicherheitstüren zum Cockpit erwiesen sich als tödliches Verhängnis. Beide Male wollten die Piloten ihren Kollegen nur kurz allein am Steuer lassen.
Zwar haben die Piloten und andere Crewmitglieder wie beim Airbus 320 einen Zahlencode, mit der sie die Tür öffnen können. Doch bevor sie aufgeht, ertönt im Cockpit erst drei Sekunden ein Summer. Auf den Pilotenplätzen kann man über eine Videokamera erkennen, wer vor der Tür steht und den Öffner drücken oder aber verriegeln, wie der Luftfahrtsicherheitsfachmann Dieter Reisinger erklärt: „Grundsätzlich kann der Pilot jedem den Zutritt verwehren, selbst wenn der am Zugang den richtigen Zahlencode eingibt.“
Blockiermöglichkeit soll das Cockpit sicher vor Terroristen machen
Sollten Terroristen ein Crewmitglied als Geisel nehmen und es verrät unter Gewaltdrohung den Zugangscode, sollen die Piloten dennoch in Sicherheit bleiben können. Diese Blockiermöglichkeit gilt selbst für den siebenstelligen Notfallcode, mit dem Flugbegleiter im Ernstfall zu bewusstlosen Piloten gelangen können sollen. Fünf bis 20 Minuten ist die Tür je nach Fluggesellschaft versperrt, wenn ein Pilot den kleinen Hebel auf „Lock“ – Versperrt – drückt, bis ein nächster Code-Versuch erlaubt ist. Bei der Lufthansa sind es fünf Minuten.
„Schon von Anfang an war klar, dass es zwischen den Anforderungen nach mehr Terrorschutz und der klassischen Flugsicherheit zur Unfallvermeidung einen Zwiespalt gibt“, sagt Reisinger, der das Wiener Institut für Flugsicherheit leitet.
Doch in den Zeiten akuter Terrorangst nach den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center wurden die Bedenken vieler Piloten beiseite gewischt, die nicht in einem Panzerschrank als Cockpit arbeiten wollten und die Pläne für paranoid erklärten. Vor allem auf Charter-Urlaubsflügen war es bis dahin üblich, dass die Piloten abseits von Start und Landung ihre Kabinentür ganz aufmachten. Doch innerhalb weniger Monate, ab April 2002, mussten alle Flugzeuge mit mehr als 60 Plätzen die neuen Türen haben.
Zuvor war es ein Leichtes, die Kabinentür mit der Notfallaxt an Bord aufzuschlagen. Doch heute hat man damit gegen die Panzertür keine Chance: „Die Tür muss laut den Vorschriften allen Eindringversuchen standhalten“, sagt Reisinger. Sie hält selbst Pistolenkugeln ab.
In vielen anderen Staaten ist die Anwesenheit zweier Crew-Mitglieder im Cockpit Pflicht
Seit Mitte der achtziger Jahre verschwanden zudem die bis dahin meist üblichen Flugingenieure aus den Cockpits. Mit dem Aufkommen des Airbus A 310 und der Boeing 767 konnten die Fluggesellschaften sie durch die Computertechnik wegrationalisieren. Von nun an reichten zwei Piloten. Jeder von ihnen hat das Recht, kurz das Cockpit zu verlassen, etwa um auf die Toilette zu gehen, wenn der andere das Steuer übernommen hat.
Allerdings ist bei vielen nordamerikanischen Luftfahrtgesellschaften oder in vielen Staaten wie Indien Vorschrift, dass zu jedem Zeitpunkt zwei Mitglieder der Crew im Cockpit sein müssen. Wenn ein Pilot seinen Platz verlassen will, muss er zuerst eine Stewardess oder einen Flugbegleiter ins Cockpit rufen: „Damit soll sichergestellt werden, dass das Cockpit immer von innen geöffnet werden kann, falls der elektronische Öffnungsmechanismus versagt, ohne dass auch der andere Pilot seinen Platz verlassen muss“, erklärt Reisinger. Doch der zweite Hintergedanke ist kein Geheimnis: „Für einen Piloten mit Selbstmordabsichten wird es dadurch deutlich schwieriger, seine Pläne umzusetzen, und auch die psychologische Hemmschwelle wird noch größer.“
Der Luftfahrtsachverständige erwartet, dass die Zwei-Personen-Regel jetzt auch in Europa diskutiert wird. Norwegen hat bereits gestern eine entsprechende Vorschrift erlassen. Bislang wurde die Praxis den Luftfahrtgesellschaften selbst überlassen.
Außerhalb des Cockpits kann der Pilot in der Bordkabine nicht einmal einen Notruf absetzen. Die Bodenstation könnte eh kaum helfen: „Eine Fernsteuerung von unten gibt es nicht“, sagt Reisinger. Zwar wären Bodenkollisonsschutzsysteme, die eine Maschine rechtzeitig vor einem Aufprall automatisch nach oben ziehen, technisch möglich. Doch dadurch ergäben sich so viele neue Fehlermöglichkeiten, dass sie nur schwer das allgemeine Zulassungsverfahren bestehen würden.
Die Diskussion ist geschlossen.