Heute vor 20 Jahren: „Allmächtiger, das ist ja ein Mensch!“
Erika Simon hat heute vor 20 Jahren mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann Helmut bei einer Bergwanderung in 3210 Metern Höhe die Eismumie „Ötzi“ entdeckt
20 Jahre ist es bereits her, dass ein Nürnberger Ehepaar in den Ötztaler Alpen „Ötzi“ gefunden hat. Und doch erinnert sich Erika Simon noch genau an jenen Moment:
Wie sah Ötzi aus?
Simon: Er lag mit dem Gesicht nach unten. Hinterkopf, Schultern und Rücken lagen frei, und er war nackt. Wir dachten, es ist ein Skifahrer oder Tourengeher, der vor 30, 40 Jahren verunglückt ist. Die Arme waren auch so angewinkelt.
Sind Sie bei dem Anblick erschrocken?
Simon: Ich weiß noch, dass ich ausgerufen habe: „Allmächtiger, das ist ja ein Mensch!“ Ich hatte vorher auch noch nie einen toten Menschen gesehen, so im Eis. Es waren nicht einfach nur Knochen, sondern ein Mensch. Seine Haut hat ledern ausgesehen, wie gepresst.
Hatte er eine Verletzung?
Simon: Am Kopf hatte er eine Platzwunde, so groß wie ein Fünfmarkstück. Wahrscheinlich, weil er immer wieder Wärme und Kälte ausgesetzt war. Hinterher hat es geheißen, dass er an diesem warmen Tag nicht zum ersten Mal freilag.
Was haben Sie nach dem Fund gemacht?
Simon: Wir haben das einem Hüttenwirt gemeldet, und der ist am Abend raufgegangen und hat ihn zugedeckt mit einem Müllsack. Er hat auch noch ein Beil gefunden.
Wann haben Sie erfahren, dass dieser Tote kein verunglückter Skifahrer war, sondern eine jahrtausendealte Mumie?
Simon: Am Dienstagabend, den 24. September, kam es in den ZDF-Nachrichten. Wir haben ihn an einem Donnerstag gefunden. Am Montag, den 23., ist er geborgen worden. Und dann hieß es in den Nachrichten, er sei mindestens 2000 Jahre alt.
Da haben Sie wahrscheinlich auch gestaunt...
Simon: Man kann’s ja immer noch nicht glauben. Dass wir den gefunden haben. Er lag ja nur ungefähr 30 Meter vom Wanderweg entfernt. Professor Spindler in Innsbruck hat dann herausgefunden, dass der Mann aus dem Eis über 5000 Jahre alt ist.
Werden Sie zum Jahrestag wieder zur Fundstelle hinaufwandern?
Simon: Nein, ich nicht. Ich bin ja inzwischen 71 Jahre alt. Meine zwei Söhne und einer meiner vier Enkel, ein richtiger Bergfex, wollten es. Aber wegen des Wetterumschwungs ist alles abgeblasen worden.
Es wird berichtet, dass Sie jahrelang um einen Finderlohn gekämpft hätten.
Simon: Wir haben da gar nichts gemacht. Bis 1998 ist überhaupt nichts passiert. Aber als der Ötzi nach Bozen überführt wurde in das Museum, sind Rechtsanwälte auf uns zugekommen. Der Sohn eines Nürnberger Rechtsanwalts hat die Sache dann übernommen. 2003 sind wir als Finder anerkannt worden.
Erst nach zwölf Jahren?
Simon: Ja. Meinem Mann war das sehr wichtig. Er hat immer gesagt, ich pfeif’ auf das Geld. Aber wir wollen als Finder anerkannt werden. Wir wollten nicht, dass es zu einem Prozess kommt. Den Finderlohn hat mein Mann auch gar nicht mehr erlebt. Er ist 2004 verunglückt. Ich war in Bad Hofgastein zur Kur. Er hat mich besucht und ist dann ein bisschen wandern gegangen. Er ist nicht mehr heimgekommen.
Wie lange hat es dann noch gedauert, bis Sie einen Finderlohn bekamen?
Simon: Im September 2010 ist ein Vergleich zustande gekommen. Wir bekamen 175000 Euro. 55000 Euro für die Rechtsanwälte und 120000 für meine Söhne und mich.
Besuchen Sie Ötzi ab und zu?
Simon: Wenn ich zufällig drunten bin in Südtirol, zum Beispiel in Kaltern, schaue ich im Archäologiemuseum in Bozen vorbei. Ich fahre nicht extra hin. Zehn Mal bin ich mindestens dort gewesen.
Interessieren Sie sich für die wissenschaftlichen Untersuchungen?
Simon: Ja. Aber nicht in allen Details. Ich habe an die 20 Bücher über den Ötzi. Das Letzte, was man gefunden hat, war, glaube ich, die Speerspitze in der Schulter. Professor Spindler, der auch schon gestorben ist, hat damals gemeint, Ötzi sei erfroren.
Wann sind Sie wieder in Südtirol?
Simon: Ich bin am Jahrestag Ehrengast im Ötztal. Alle, die in den letzten 20 Jahren mit Ötzi zu tun hatten, sind eingeladen.
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