"Kingsman", "Schloss aus Glas", "Amelie rennt": Welcher Film lohnt sich?
"Kingsman: The Golden Circle", "Schloss aus Glas", "Amelie rennt" - die Kinoneuheiten in dieser Woche sind abwechslungsreich. Doch lohnen sie sich auch?
"Kingsman: The Golden Circle"
Vor zwei Jahren spielte Matthew Vaughn mit der Agenten-Comic-Verfilmung „Kingsman“ weltweit 414 Millionen Dollar ein. Die Rezeptur wirkte frisch, weil sie scheinbar unvereinbare Genreversatzstücke miteinander verwurstete. Einerseits gab sich die Story um einen neuzeitlichen, geheimen Ritterorden als urbritische Angelegenheit. Das Hauptquartier der Organisation befand sich hinter den Türen eines noblen Herrenausstatters. Maßanzüge gehörten zur Berufskleidung. Dem gegenüber standen ausufernde Martial-Arts-Schlägereien und Gewaltexzesse. Das Ganze war eingebettet in eine Comic-Atmosphäre, in der man sich nicht unbedingt an die Gesetze der Physik halten musste.
Diese Grundzutaten bleiben auch in „Kingsman: The Golden Circle“ die gleichen, auch wenn die Fortsetzung mit dem Erbe ziemlich respektlos umgeht. Bald liegt die Londoner Zentrale in Schutt und Asche. Schuld daran ist die Drogenkartell-Chefin Poppy (Julianne Moore), die zwar einen Jahresumsatz von 250 Milliarden Dollar macht, aber unter fehlender gesellschaftlicher Anerkennung leidet. In ihre Drogen hat Poppy nun ein todbringendes Gift gemischt, dessen Gegenwirkstoff sie zur Verfügung stellen will, wenn die USA ihren „War on Drugs“ endlich aufgeben. Aber der amtierende US-Präsident (Bruce Greenwood) hofft, mit den vergifteten Drogen endlich die ganzen Junkies loszuwerden.
Für moderaten Spaß sorgt das aufgefrischte Ensemble. Eggsy (Taron Egerton) und Merlin (Mark Strong) suchen Hilfe bei dem US- Pendant „Statesman“. Jeff Bridges, Channing Tatum und Halle Berry als IT-Spezialistin greifen den Kingsman unter die Arme und sogar Colin Firth erlebt die Auferstehung seiner Figur. Allerdings weist Taron Egerton als Hauptheld immer noch Charisma-Defizite auf und dem Drehbuch fehlt es an Komplexität.
Kingsman: The Golden Circle (2 Std. 20 Min.), Thriller, GB/USA 2017
Wertung: 2 von 5 Sternen
"Schloss aus Glas"
„Ihr lernt, indem ihr lebt. Alles andere ist eine Lüge“, ruft der Vater in die Weite der Prärie hinein, als die Tochter darauf aufmerksam wird, dass sie nicht wie andere Kinder auf eine „echte“ Schule geht. Die Schule des Lebens, die Max (Woody Harrelsen) und seine Frau Rose Mary (Naomi Watts) ihren drei Kindern angedeihen lassen, ist zunächst ein großes Abenteuer. Wie Nomaden ziehen sie von Ort zu Ort, kreuz und quer durch den Süden der USA.
Wenn die Mutter einen Baum sieht, den sie unbedingt malen will, wird das Lager auch schon einmal unter freiem Himmel aufgeschlagen. Auf dem Rücken liegend schaut Jeannette (umwerfend: Ella Anderson) mit dem Vater in die Sterne, während andere sich in ihren sicheren Häusern einsperren. Die Zwölfjährige verehrt ihren Daddy, der nachts über den Plänen eines solarbetriebenen Glashauses sitzt, das er für die Familie bauen will, aber nie bauen wird. Denn der umherschweifende Lebensstil ist weniger einer freien Entscheidung als dem Unvermögen des Vaters geschuldet, der es nie länger als ein paar Monate in einem Job aushält. Der Kühlschrank ist oft leer und spätestens, wenn die Gerichtsvollzieher anrücken, heißt es: Sachen packen und in die nächste Stadt ziehen.
Max ist Alkoholiker und so sehr ihn seine Kinder bewundern, so sehr haben sie auch Angst vor seinen unberechenbaren Launen. Einmal gelingt es ihm, auf Jeannettes Drängen hin mit dem Trinken aufzuhören. Als er ein Jahr später wieder anfängt, ist für die Geschwister klar, dass sie sich um sich selbst kümmern müssen. Sie gehen in die Schule, schmieden Zukunftspläne, sparen heimlich Geld, um einer nach dem anderen ihrem familiären Schicksal zu entfliehen.
Mit „Schloss aus Glas“ verfilmt Destin Daniel Cretton den autobiografischen Roman von Jeannette Walls, der 261 Wochen auf der Bestsellerliste der New York Times stand und auch in Deutschland ein riesiger Erfolg war. Für den Regisseur und Drehbuchautor ist das der bisher größte Film, den er umgesetzt hat. Bisher baute Cretton sich mit Indie-Perlen wie „I am not a Hipster“ und „Short Term 12“ einen exzellenten Ruf auf, hier aber wuchs das Budget spürbar, mit Woody Harrelson, Naomi Watts und Brie Larson ist der Film zudem exzellent besetzt.
Wie die Vorlage ist auch der Film mit einer Rahmenhandlung versehen, in der die New Yorker Journalistin Jeannette Walls (Brie Larson) auf ihre Kindheit zurückblickt. Die beiden Zeitebenen bilden gegenläufige Bewusstwerdungsprozesse ab: Als Kind muss Jeannette in dem geliebten Vater den trunksüchtigen Egoisten erkennen, von dem sie sich ablösen muss. Als erwachsene Frau muss sie lernen, in ihm nicht nur das Monster ihrer Kindheit zu sehen, sondern Max als Teil ihrer eigenen Vergangenheit zu akzeptieren. Dieser allzu therapeutische Erzählansatz führt am Ende zu übersteuerten Versöhnungsszenarien, entwickelt aber auf der Kindheitsebene seine Stärken.
Hier lässt sich Cretton voll und ganz auf die Perspektive der kleinen Tochter ein, die immer wieder der Faszination für die schillernde Vaterfigur erliegt und lernen muss, aus den Enttäuschungen eigene Stärke zu entwickeln. Eindrucksvoll zeigt der Film, was es für ein Kind bedeutet, wenn der Egoismus der Eltern stärker ist als deren Fürsorgegefühle. Dass solche Konstellationen im echten Leben selten zu einem Happy End führen, davon können Sozialarbeiter und Therapeuten wahrscheinlich besser erzählen als Filmemacher, die in optimistischen Erzählkonventionen gefangen sind.
Schloss aus Glas (2 Std. 7 Min.), Drama, USA 2017
Wertung: 3 von 5 Sternen
"Amelie rennt"
Amelie (Mia Kasalo) ist 13 Jahre alt und blickt durch riesengroße Augen auf eine Welt, die sie als feindselig empfindet. Nicht genug, dass ihre Eltern getrennt leben und sie ständig hin- und herpendeln muss. Amelie leidet auch noch schwer an Asthma. Die Krankheit hat das Mädchen zynisch und stur gemacht, ihr Leiden versucht sie so gut wie möglich zu ignorieren. Aber dann holt ein besonders gravierender Anfall die ganze Familie einmal mehr auf den Boden der Tatsachen zurück. Widerwillig lässt sich Amelie in eine Spezialklinik in Südtirol einweisen. Und so sehr sie sich auch sträubt, dem Reiz der beeindruckenden Berglandschaft und ihrer Tiere kann sie sich nicht entziehen.
Den Behandlungsmethoden ihrer Ärztin (Jasmin Tabatabai) allerdings schon. Nach kurzer Zeit büxt Amelie aus. Es zieht sie magisch ins Bergland. Dort trifft sie auf den 15-jährigen Bart (Samuel Girardi), einen ortsansässigen Jungen. Während die Klinikleitung eine Großfahndung auslöst und die besorgten Eltern anreisen, machen sich das kranke Mädchen und ihr Begleiter auf, den Gipfel zu erklimmen. Dort wird nach alter Tradition ein Feuer entfacht. Wer darüberspringt, soll von all seinen Beschwerden geheilt werden. Die Bergtour ist für Amelie allerdings eine gefährliche Strapaze.
Tobias Wiemann („Großstadtklein“) beweist große Sensibilität, wenn er das Drehbuch von Natja Brunckhorst („Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“) auf die Leinwand bringt. Nur einmal gerät eine humorvolle Szene ein wenig aus den Fugen und will sich nicht so recht in das authentische Geschehen einfügen. Aber das ist Klagen auf hohem Niveau: „Amelie rennt“ ist der schönste Jugendfilm des bisherigen Kinojahres. Mia Kasalo trägt die Geschichte auf ihren schmalen Schultern und degradiert jeden Erwachsenen zum Laienspieler.
Amelie rennt (1 Std. 37 Min.), Drama, Deutschland/Italien 2017
Wertung: 4 von 5 Sternen
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