Leonard Cohen ist tot: Der Meister der lyrischen Melancholie
Leonard Cohen ist der Schöpfer von Hits wie „Suzanne“ und „Hallelujah“. Er war Meister der lyrischen Melancholie. Vor wenigen Tagen erst veröffentlichte Cohen sein letztes Album.
Wer sein letztes Album gehört hat, konnte gar nicht anders, als die Nähe des Todes zu spüren. „You Want It Darker“ – das war mehr als nur eine weitere Meisterschaft in lyrischer Melancholie und betörender Monotonie. Dieses Alterswerk ist ein dunkler Totengesang, ein Abschied, ein Vermächtnis, letzte Poesie, ein Testament.
„I’m ready, my Lord“, singt Leonard Cohen mit seiner Baritonstimme, ich bin bereit, mein Gott. Oder „I’m Leaving the Table, I’m out Of The Game“ – ich stehe vom Tisch auf, ich bin raus aus dem Spiel. Er singt es seelenruhig. Wenige Tage nach Erscheinen dieses großen morbiden Albums, das ihn auf dem Cover in der typischen Ikonografie seiner Karriere mit schwarzem Hut und Zigarette zeigt, ist er tatsächlich gegangen. Out of the game. Mit dem aber, was er hinterlassen hat, bleibt er für die Ewigkeit.
Leonard Cohen war bereit zu sterben, mit "Hallelujah" hat er sich unsterblich gemacht
Leonard Cohen starb am Freitag in Los Angeles in Kalifornien. Dort hatten sie diese Woche mehrheitlich Hillary Clinton gewählt und zugleich für die freie Verfügbarkeit von Mariuhana gestimmt. Dass er sich dem Sterben nahe fühlt, hatte der 82-jährige Leonard Cohen zuletzt angedeutet – und dieses Gespenst zugleich unter dem Gelächter der Journalisten verscheucht.
„Ich bin bereit zu sterben. Ich hoffe nur, es wird nicht zu ungemütlich. Das ist es dann auch schon für mich“, sagte der in Kanada geborene Künstler. Eigentlich beabsichtige er ja, ewig zu leben, 120 wolle er werden. Nun wehen in seiner Geburtsstadt Montreal heute schon die Fahnen auf Halbmast. Und wichtige Funktionäre des Vatikans posten „Hallelujah“ bei Twitter – Cohens unsterblicher Song aus dem Jahr 1984, eine Hymne, in der er singt: „Ich werde vor dem Gott der Lieder stehen, mit nichts auf meiner Zunge als Hallelujah.“
Immer rang Cohen mit der Melancholie und der Depression
Leonard Cohen war ein Sinnsucher und Gottsucher – ein Zweifler und Frager. Einige Jahre verbrachte er in einem Zen-Kloster, lebte nach seinem 60. Geburtstag in Abgeschiedenheit als Mönch. Er trug den Namen Jikan, was so viel wie „der Leise, der Ruhige“ bedeutet.
Seine Songs waren Suchbewegungen, keine Jubelrufe der Gewissheit. Fast sein ganzes Leben rang Cohen, der „Godfather der Melancholie“ (Neue Züricher Zeitung), mit Depressionen. Immer wieder verstummte er, verschwand für einige Jahre von der Bildfläche. Er lebte in Indien, trat 15 Jahre lang nicht live auf. 2008 wurde er in die „Rock and Roll Hall Of Fame“ aufgenommen, 2010 mit einem Grammy für sein Lebenswerk ausgezeichnet.
Seine kommerziell erfolgreichste Platte produzierte Leonard Cohen 2012, da war er auch schon über 75 – „Old Ideas“, das zwölfte Studioalbum des Songwriters. Die Konzerte des Kandiers, der in den vergangenen Jahren um die ganze Welt tourte, erinnerten Kritiker nun eher an „Messen“ denn an Unterhaltungsfeste. „Sein Charisma ist das eines Schamanen“, schrieb die Welt.
Er war der große Anti-Exzentriker in diesem aufgeregten Buisiness. Der Ruhige, der Leise, der Gänsehaut machte und Lieder schrieb, die man nur an seltenen Tagen ohne Tränen in den Augen anhören kann. „Bird On The Wire“, „My Secret Life“, „So Long, Marianne“, „Famous Blue Raincoat“. Cohens Lieder, sein Flüstern möchte man ein Leben lang in Hörweite haben - am besten auf dem Nachttisch.
2016 – was ist das für ein Jahr: Prince und David Bowie sterben, Bob Dylan bekommt den Literaturnobelpreis. Ein Preis, den Cohen ebenso verdient hätte. Vor fünf Jahren bekam er den renommierten spanischen Prinz-von-Asturien-Preis für Literatur. Er war ein Literat, ein Dichter, der eigentlich immer nur schreiben wollte, sich als Schriftsteller sah. Und das war er.
Schreiben, trinken, lieben, rauchen, leben - Cohen war eine Kultfigur der Boheme
Der junge Leonard Cohen erregte als avantgardistischer Lyriker und Romancier in den 1960er Jahren Aufmerksamkeit und fand mit einigen Buchveröffentlichungen Anerkennung bei der Kritik und dem Publikum. Einer seiner ersten Gedichtbände, erschienen 1961, hieß „Flowers for Hitler“ – Blumen für Hitler.
Cohen lebte einige Jahre auf der griechischen Insel Hydra das Leben eines Künstlers und Müßiggängers am Meer. Schreiben, trinken, lieben, rauchen, leben: Leonard Cohen war eine Kultfigur der Boheme, die Kreativität und Freiheit verkörperte.
Ein Attribut, das ihn ebenso über die 45 Jahre seiner Musikerlaubahn begleitete: Frauenheld. In einem Interview sagte er dazu einmal sehr Cohen-like: „Mein Ruf als Frauenheld ist ein Witz. Er hat mich dazu gebracht, mich bitter durch die zehntausend Nächte zu lachen, in denen ich allein war.“
Zwar hatte der am 21. September 1934 als Sohn eines jüdischen Textilunternehmers geborene Leonard Norman Cohen schon als Kind Gitarre spielen gelernt und war früh in Klubs aufgetreten. Doch erst 1967 wandte sich der Dichter der Musik wieder zu und schrieb, ermuntert durch die Folksängerin Judy Collins, Songs.
Und es ist ja auch so: Zu Gedichten musst du Bücher aufschlagen und dich hinunterbeugen. Lieder hörst du überall unvermittelt. Im Autoradio. Aus irgendeinem offenen Fenster draußen auf der Straße. Abends in der Kneipe. Ein ganz andere Wirkmächtigkeit. Das muss den Schreiber überzeugt haben. Vor allem, wenn gleich die erste Platte, erschienen 1967 mit dem ebenso schlichten wie selbstbewussten Titel „Songs of Leonard Cohen“, ein Erfolg wird. Auf diesem Album findet sich einer der Welthits Cohens: „Suzanne“.
Cohen lebte damals, Ende der 1960er Jahre, im legendären Chelsea Hotel in New York, wo er die Sängerinnen Joni Mitchell und Janis Joplin kennenlernte – und Bob Dylan. Cohen und Dylan: Es gab zwei Götter da oben auf dem Olymp der Songwriter.
Zwei im Übrigen, die sich in ihrer Unnahbarkeit in nichts nachstanden. Das Musikmagazin Rolling Stone schrieb über Cohen: „Nur Bob Dylan hat einen tiefgreifenderen Einfluss auf seine Generation gehabt und vielleicht nur Paul Simon und Joni Mitchell waren auf einer Stufe mit ihm als Song-Poet.“
Sein rauchiges, dunkles Timbre, mit dem er seine Songs mehr sprach als sang, die Zurückhaltung und Gefasstheit, die er auf der Bühne verkörperte, ließen Leonard Cohen vor allem in den Jahren seines erfolgreichen Spätwerks mehr und mehr zu einer bewunderten Respektsperson werden.
Sein reifer Minimalismus, zu dem auch die schwarze Kleidung gehörte, machte ihn schließlich mit seinem Comeback um die Jahrtausendwende herum zu einer Art Mönchsfigur der schrillen Popszene, zum würdevollen Elder-Statesman unter den Songwritern, ein Hohepriester der existenziellen Wahrhaftigkeit.
„So Long Marianne“, der seiner langjährigen Geliebten Marianne Ihlen gewidmete Song, klingt an Cohens Lebensende auf besondere Weise. Vor Monaten hatte das einstige Paar noch einmal Kontakt.
Sie litt an Krebs, da schrieb Cohen ihr im Juli: „Also, Marianne, es ist jetzt so, dass wir beide wirklich so alt geworden sind, dass unsere Körper auseinanderfallen. Und ich denke, ich werde Dir bald nachfolgen. Du sollst wissen, dass ich so nah hinter Dir bin, dass Du, wenn Du deine Hand ausstreckst, die meine erreichen kannst.“ Tage später starb Marianne. Den Brief hat sie noch gelesen – was Cohen tröstete.
„I’m Ready, My Lord“.
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Danke und höchste Anerkeenung für diese tolle Reflektion und Würdigung von L. Cohen. Ich war und bin ein großer Bewunderer von ihm , und in den vielen tollen Worten habe ich diese, und auch meine Zeit bestens reflektieren können und war echt berührt.
Das ist höchste Journalistenkunst. Hat mich echt gefreut.