Aktivistin: "Linkshänder bekommen immer noch zu wenig Unterstützung!"
Parkscheinautomaten, Mikrowellen und Wasserhähne: Viele Dinge des Alltags sind für Linkshänder kaum zu bedienen. Eine Linkshänder-Aktivistin sieht Defizite.
Am Montag ist Weltlinkshändertag. Wie gleichberechtigt können Linkshänder mittlerweile den Alltag bestreiten? Umerzogen wird heute kaum mehr einer. Trotzdem liegt noch einiges im Argen - sagt zumindest Aktivistin Johanna Barbara Sattler.
Frau Sattler, Sie haben 1985 Deutschlands erste Beratungsstelle für Linkshänder gegründet. Was hat sich seitdem getan?
Johanna Barbara Sattler: Das Bewusstsein der Gesellschaft für Linkshänder hat deutlich zugenommen. Es gibt heute mehr Rücksicht und auch viele Produkte, die Linkshänder als Hilfsmittel im Alltag nutzen können. Doch wir sind noch nicht so weit, wie manche glauben. Das ist ja das Dilemma: Je mehr sich die Situation der Linkshänder verbessert, desto eher glaubt so mancher, man brauche gar nichts mehr zu unternehmen.
Was fehlt Linkshändern denn noch?
Sattler: Ich finde, Linkshänder bekommen immer noch zu wenig Unterstützung im Alltag! Das geht schon in Kindergärten und Grundschulen los – da wird kaum auf die Linkshändigkeit eingegangen. Die Kinder werden nicht so berücksichtigt, wie es notwendig wäre. Dabei sollten Erzieher und Lehrer darauf achten, dass gerade Linkshänder die richtige Schreibhaltung möglichst früh vorbereiten und einüben. Sonst verwischen sie alles mit der Hand wieder oder eignen sich eine Hakenhaltung an, wie man sie etwa bei dem ehemaligen US-Präsident Barack Obama sieht. Außerdem sollte sich links von einem Linkshänder auch kein Rechtshänder hinsetzen. Das ist schlecht für beide, sie behindern sich nämlich beim Schreiben lernen.
Weltlinkshändertag: Diese Probleme haben Linkshänder in ihrem Alltag
Welche Probleme haben Linkshänder als Erwachsene in ihrem Alltag?
Sattler: Ob am Arbeitsplatz, im Haushalt oder im Öffentlichen Nahverkehr: Es ist alles auf Rechtshänder ausgerichtet! Beim Parkscheinautomaten und am Fahrkartenverkauf etwa ist der Geldeinwurf rechts, auch Elektrogeräte wie Mikrowellen und Spülmaschinen lassen sich mit rechts besser bedienen. Linkshänder müssen mit ihrer dominanten Hand oft einmal über Kreuz greifen. Und fassen sie bei einem Wasserhahn mit zwei Griffen intuitiv zum linken, verbrennen sie sich beim Händewaschen, weil den Rechtshändern zuliebe das kalte Wasser mit rechts bedient wird.
Sind das die Ärgernisse, die Linkshänder in Ihrer Telefonberatung ansprechen?
Sattler: Viele Linkshänder haben sich mit den Herausforderungen längst arrangiert, sie passen sich an und nehmen es häufig selbst gar nicht mehr wahr, wie kompliziert ihr Alltag manchmal ist. Kein Linkshänder wird sagen: Ich schaffe das nicht. Alle kommen auf ihre Weise mit der Situation klar.
Gewöhnen sich Linkshänder nicht an die Umstände, wenn sie es ein Leben lang nicht anders kennen?
Sattler: Genau das ist wieder das Dilemma: Die wenigsten Hindernisse für Linkshänder gehen über die Schmerzgrenze hinaus, vieles ist einfach nur nervig. Aber wenn in einer öffentlichen Bibliothek Computermäuse so kurz verkabelt sind, dass Linkshänder sie nicht mit links nutzen können, ist das eine Zumutung!
Beratungsstellen setzen sich für Chancengleichheit für Linkshänder ein
Hilft der Linkshändertag, auf solche Missstände aufmerksam zu machen?
Sattler: Mit einem Tag der Offenen Tür nutzen wir als Beratungsstelle diesen Tag, um auf die Schwierigkeiten hinzuweisen. Die Aufmerksamkeit für Linkshänder ist am Internationalen Linkshändertag natürlich größer. Da muss es doch möglich sein, die Dinge des Alltags mittig zu positionieren, sodass ergonomische Chancengleichheit besteht. Kein Mensch darf wegen einer körperlichen Eigenschaft wie der Linkshändigkeit derart körperlich beeinträchtigt sein.
Welche Ziele haben Sie konkret, damit sich die Situation der Linkshänder bessert?
Sattler: In bayerischen Bildungs- und Erziehungsplänen muss die Händigkeitserziehung endlich verankert werden. Für eine richtige Schreibhaltung sollten Lehrer und Erzieher viel mehr Zeit investieren. Außerdem wäre es wünschenswert, einen Fonds einzurichten, aus dem Unternehmen gefördert werden, die Arbeitsmaterialien speziell für ihre Mitarbeiter kaufen, die Linkshänder sind. Denn auch am Arbeitsplatz sollen sie endlich zugeben dürfen, dass sie Linkshänder sind. Viele befürchten heute noch, dass sie deshalb diskriminiert und nicht eingestellt werden.
Johanna Barbara Sattler ist die Gründerin von Deutschlands erster Beratungsstelle für Linkshänder. In ihrem Büro analysiert sie in unklaren Fällen, welche Hand bei Kindern die dominante ist und organisiert Rückschulungen für umerzogene Linkshänder. Außerdem setzt sich die Linkshänder-Aktivistin für mehr Gleichberechtigung ein und hat über ganz Deutschland verteilt ein Netzwerk für die Linkshänder-Beratung aufgebaut.
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