Mythos weiße Weihnachten: War früher mehr Schnee?
Schlittenfahren und Schneemann bauen: früher kein Problem. Da lag immer Schnee, denken viele. Aber stimmt das wirklich? Unser Gedächtnis täuscht uns, sagt ein Psychologe.
Herr Rummel, viele denken, früher gab es immer weiße Weihnachten. Schaut man die Statistik des Deutschen Wetterdienstes an, stimmt das überhaupt nicht. Wie können wir uns so irren?
Jan Rummel: Unsere Erinnerungen sind nicht exakt, sondern werden rekonstruiert und zusammengesetzt. Daher kann die Erinnerung an weiße Weihnachten von einzelnen Erinnerungen an frühere Schneetage stammen, aber auch aus Erzählungen oder Ähnlichem. Diese Erinnerungen werden dann fälschlicherweise in unsere eigenen Weihnachtserinnerungen eingebaut.
Viele haben den Eindruck, früher war die Weihnachtszeit weniger stressig und an Heiligabend hat sich die Familie nicht gestritten. Sind auch hier unsere Erinnerungen verfälscht?
Rummel: Hierbei handelt es sich sicher wieder um Verzerrungen. Wir erinnern uns generell besser an positive Dinge aus der Vergangenheit – und natürlich auch an einzelne sehr negative Ereignisse. Diese positiven Gedächtnisverzerrungen nehmen mit dem Alter zu.
Warum täuscht uns unser Gedächtnis?
Rummel: Das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Einige Forscher gehen davon aus, dass das Gedächtnis vereinfachende Mechanismen besitzt, um die große Menge an Informationen verarbeiten zu können, der wir täglich ausgesetzt sind. Diese Mechanismen funktionieren normalerweise gut, führen aber auch zwangsläufig zu Verzerrungen.
Können wir uns überhaupt noch auf unsere Erinnerungen verlassen?
Rummel: Das Gedächtnis ist keine Kamera. Wir speichern nur einzelne Eindrücke. Erinnern wir uns später, ergänzen wir diese Eindrücke mithilfe unseres Wissens über uns selbst und die Welt zu einer vollständigen Episode. Somit sind autobiografische Erinnerungen immer subjektiv, aber trotzdem Teil unserer Identität und somit für uns real.
Was verstehen Sie unter „autobiografischen Erinnerungen“?
Rummel: Als „autobiografische Erinnerungen“ oder „autobiografisches Gedächtnis“ bezeichnet man Erinnerungen an Ereignisse, die man persönlich erlebt hat und nicht nur von anderen erzählt bekommen hat – also all jene Erinnerungen, die Teil der eigenen Biografie sind.
Filme und Postkarten zeigen oft verschneite idyllische Winterlandschaften. In Wirklichkeit ist es an Weihnachten oft grau und regnerisch. Welche Rolle spielen Medien, wenn es um den Mythos weiße Weihnachten geht?
Rummel: Ich vermute, dass die Filmindustrie hier einfach nur die Wünsche der Menschen bedient. Den Wunsch nach einem idealtypischen Weihnachten vielleicht. Auch solche Erinnerungen kann das Gedächtnis in unsere autobiografischen Erinnerungen einbauen. Alles, was „typisch weihnachtlich“ ist, hat eine höhere Wahrscheinlichkeit, in eine Weihnachtserinnerung integriert zu werden. Wir wissen, dass unser Gedächtnis viel mit solchen Schemata arbeitet.
Warum sehnen wir uns so sehr nach weißen Weihnachten?
Rummel: Wenn es stimmt, dass wir vergangene Weihnachtsfeste in unseren Erinnerungen als eine „weiße und harmonische Weihnacht“ rekonstruieren, scheint es nicht verwunderlich, dass wir uns ein solches schönes Fest auch für die Zukunft wünschen.
Wie kann man Erinnerungen, zum Beispiel an ein schönes Weihnachtsfest, behalten, ohne von unserem Gedächtnis getäuscht zu werden?
Rummel: Das ist wohl nur mit technischen Hilfsmitteln, etwa durch Kameraaufnahmen, möglich. Allerdings fehlen uns auch da wieder wichtige Erinnerungen. Was haben wir in diesem Moment gefühlt? Was fand außerhalb der aufgenommenen Szene parallel statt? Eine exakte autobiografische Erinnerung ist vermutlich kaum zu erreichen.
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Brauchen wir überhaupt Schnee(massen) in unser nächsten Heimat?
Uch kann ohne Schnee auskommen so lange ich nicht in den Bergen bin.