"Nebel im August": Grauenvolles auf der Leinwand
Kai Wessel greift mit der Euthanasie ein lange verdrängtes dunkles Kapitel deutscher Geschichte auf. Und er überzeugt – auch wegen seiner Hauptdarsteller. Die Kino-Kritik zum Film.
Eine Warnung gleich vorneweg: Wer sich nach gut zwei Stunden bester Unterhaltung fröhlich beschwingt aus dem Kinosessel erheben will, dem sei „Nebel im August“ nicht empfohlen. Der Film des Hamburger Regisseurs Kai Wessel („Klemperer“, „Die Flut“) beschäftigt sich mit dem Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten, dem vermutlich deutlich mehr als 200000 Menschen zum Opfer gefallen sind – körperlich behinderte, psychisch kranke oder auch nur verhaltensauffällige Erwachsene und Kinder. Eines dieser Kinder ist der kleine Ernst Lossa, der nach dem Aufenthalt in verschiedenen Kinderheimen und abgestempelt als „asozialer Psychopath“ mit 13 Jahren schließlich in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren und später in die Außenstelle Irsee kommt. Hier beginnt der Überlebenskampf des aufgeweckten und – heute würde man sagen – schwer erziehbaren Halbwaisen, den die Nazis als „unwertes Leben“ eingestuft hatten.
Das ist der tatsächliche historische Hintergrund, den der Allgäuer Journalist Robert Domes in seinem Buch, das denselben Titel wie der Film trägt, bereits vor acht Jahren nachgezeichnet hat. In der Verfilmung spielt die Geschichte in einer psychiatrischen Anstalt an einem anderen Ort in Deutschland. Auch die Namen tatsächlich existierender Personen wurden verändert, weil die systematische Ermordung nicht auf eine Region begrenzt war. Die Nervenheilanstalt steht symbolisch für die unfassbaren Grausamkeiten, die an psychisch kranken und geistig behinderten Menschen im Deutschen Reich verübt wurden – nach dem Krieg war das lange verdrängt.
Dem 55-jährigen Wessel gelingt es, dem Grauen ein Gesicht zu geben – etwa in der Person des Anstaltsleiters Dr. Walter Veithausen, der in Wirklichkeit Valentin Faltlhauser hieß. Sebastian Koch („Das Leben der Anderen“) ist die Idealbesetzung für diese Rolle. Er entfaltet die Janusköpfigkeit Veithausens, der sich scheinbar liebevoll um seine ihm anvertrauten Patienten kümmert und sich hinter verschlossenen Türen letztlich als unerbittlicher und gnadenloser Karrierist erweist. Veithausen gefällt sich als Herr über Leben und Tod. Ein durchgestrichener Name auf einer Liste besiegelt das Schicksal dieses Schützlings.
Ivo Pietzcker überzeugt als Ernst Lossa im Film "Nebel im August"
Einer davon war Ernst Lossa. Der 14-jährige Ivo Pietzcker, der bereits mit der Darstellung eines vernachlässigten Jungen in dem Film „Jack“ auffiel, spielt diesen Lossa leidenschaftlich. Der Berliner Bub erweist sich als Besetzungs-Glücksfall.
Wessel räumt auch heiteren Momenten in dieser Hölle Platz ein – und der Liebesgeschichte zwischen Lossa und (der fiktiven) Nandl, gespielt von Jule Hermann. Das alles ohne Pathos und Kitsch. So treten Freundschaft, Mut und Mitmenschlichkeit eines Ernst Lossa, der die perfide Tötungsmaschinerie durchschaute, noch deutlicher hervor. Geschwächte und körperlich kranke Patienten wurden einfach nicht behandelt, andere ließ man mit einer speziellen Entzugskost regelrecht verhungern. Schlaf- und Narkosemittel in tödlicher Dosis wurden in einem süßen Saft verabreicht. Lossa selbst spritzte man am 8. August 1944 Morphium-Scopolamin.
Sein qualvolles Sterben dauerte viele Stunden. Im Filmdrama sind es einige Sekunden und vier Schnitte. Die Tür zum Zimmer, wo Ernst Lossa schlafen soll, wird geschlossen. Zuvor waren ein Pfleger und eine Schwester mit der Todesspritze hineingegangen. Schnitt. Das Eingangsportal der Nervenheilanstalt wird gezeigt. Schnitt. Dann das ganze ehemalige Klosterensemble. Schnitt. Ein Seil, mit dem die Glocke der Klosterkirche geläutet wird, baumelt. Schnitt. Jetzt ist der Seziertisch zu sehen, auf dem Lossa liegt, zugedeckt von einem Leichentuch. Wessel lässt die Bilder wirken. Die Stille machen diese Momente des Films fast unerträglich.
„Nebel im August“ (ab 12 Jahre; Produzent: Ulrich Limmer) ist bereits vor dem heutigen Bundesstart mit zwei Regiepreisen (Bayerischer Filmpreis, Friedenspreis des Deutschen Films – Die Brücke) ausgezeichnet worden. Zu Recht. *****
Filmstart in Augsburg, Kaufbeuren, Kempten, Landsberg, Memmingen
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