Pastinake und Co.: Es lohnt sich, altes Gemüse neu zu entdecken
Europa kennt 10.000 Gemüsesorten. Die Meisten sind vergessen. Doch es lohnt sich, sie neu zu entdecken.
Roter Meier, grüne Melde, Guter Heinrich, Topinambur, Amaranth, Erdbeerspinat, Kerbelrübe, Knollenziest, Pastinake, Portulak - wundervolle Namen für fast vergessene alte Gemüsesorten, die in der jüngsten Zeit wieder mehr in den Blickwinkel ernährungsbewußter Verbraucher rücken. Und das mit Recht. Denn sie strotzen nur so vor Vitalstoffen, schmecken gut und haben einen überaus positiven Effekt auf das Wohlbefinden, wie Ernährungswissenschaftler sagen.
Pastinake und Topinambur als Delikatesse wiederentdeckt
Unsere Vorfahren wussten, was gut ist. Dabei waren viele der wohlschmeckenden Gewächse früher oft nur den Fürstenhäusern vorbehalten - so wie die Topinambur, in vornehmen Kreisen auch Erdartischocke genannt, die Schinkenwurz oder das Teltower Rübchen. Wer sich für die basische Küche interessiert, sollte diesen leckeren Vertretern einen zweiten Blick gönnen, die wie die Pastinake und Topinambur gerade erst als Delikatesse wiederentdeckt und angeboten werden.
Rund 10.000 Gemüsesorten sind im EU-Sortenkatalog verzeichnet. Doch wo bleibt diese Vielfalt auf dem Weg in die Supermarktregale? Schuld daran sind die Mechanismen des Marktes, sagen Experten: Händler konzentrieren sich auf einige wenige Sorten, die sie in großer Menge und gleichbleibender Qualität zu günstigen Preisen kaufen können. Manche Landwirte bevorzugen neue Züchtungen, die mit wenig Aufwand viel Ertrag abwerfen.
„Bei der Züchtung moderner Gemüsesorten geht es nur noch um die Optik, den Geruch, die Farbe, das einheitliche Aussehen, Nährstoffe und Geschmack werden da nicht mehr erfasst“, sagt Veit Plietz, der 1983 in Schwarzach am Main (Lkr. Kitzingen) eine Ökogärtnerei gründete. Da ist es wichtiger, dass eine Tomate den Sturz aus einem Meter Höhe locker überlebt, als dass sie auf dem Gaumen ein Feuerwerk an Geschmack auslöst. Und weil manches alte Gemüse dem jungen beim Äußeren nicht mehr das Wasser reichen kann, bleibt es auf der Strecke, gerät in Vergessenheit und landet bestenfalls als Probe in einer Genbank.
Spinat verdrängte das alte Blattgemüse
So wurden alte Blattgemüse wie Melde und Guter Heinrich im Laufe des letzten Jahrhunderts fast völlig vom Spinat verdrängt. Kaum einer kennt mehr den Erdbeerspinat, dessen Blätter wie Spinat zubereitet werden können. Die kleinen roten Früchte, die ihm den Namen gaben, schmecken zwar nicht nach Erdbeeren, sehen aber hübsch aus und sind durchaus genießbar. Manche der alten Sorten zählen zu den regionalen Spezialitäten, so beispielsweise das Stielmus, auch Rübstiel oder Stängelmus genannt, im Rheinland. Nichts anderes als die leicht säuerlich schmeckenden Blätter der Speiserübe verbergen sich dahinter, die entweder gekocht oder gedünstet auf den Tisch kommen.
Die Teltower Rübchen baute man einst nur in der Gegend um Berlin und in Brandenburg an. Goethe war ein großer Freund der bauchigen Minirüben, die im Herbst erntereif sind. Auch Mai-, Herbst- und Steckrübe stehen in der modernen Küche eher selten auf dem Speiseplan. Vielleicht, weil viele ältere Menschen die Steckrübe, eine Kreuzung zwischen Herbstrübe und Kohlrabi, mit der Kriegszeit in Verbindung bringen?
Auch bei den Wurzelgemüsen wurde vieles vergessen, was unsere Ahnen zu schätzen wussten. Schon die alten Griechen stärkten mit Petersilienwurzel ihre Rösser für die Schlacht. Und auch Kaiser Karl war von ihrem feinen Geschmack begeistert und ließ sie extra anbauen. Die Weißwurzel oder auch Haferwurz fristet heute ein Schattendasein. Dabei waren ihre zarten weißen Wurzeln bereits in der Antike beliebt. Topinambur ist nicht nur eine schmackhafte Knolle, sondern macht mit ihren gelben Blüten der Sonnenblume Konkurrenz. Und ihrem Inhaltsstoff Inulin sagt man nach, dass er appetithemmend wirkt. Der Pastinake, die ein wenig aussieht wie ein Rettich, gab man sogar den abfälligen Namen Hammelmöhre. Inzwischen ist die süße, cremefarbene Wurzel in den USA zur Delikatesse avanciert und auch in Deutschland auf dem Vormarsch.
Für Veit Plietz ist es keine Frage, sich mit alten Kulturpflanzen auseinanderzusetzen, denn die Vorteile liegen auf der Hand. „Diese Gemüsesorten sind überwiegend über die Selektion von Landwirten und Gärtnern entstanden. So haben sie sich optimal an das jeweilige Klima und den Boden einer Region angepasst, sind gesünder und sicherer im Ertrag und können frei von aller Gentechnik angebaut werden“, sagt der überzeugte Ökopionier. Außerdem bestechen diese Pflanzen durch ihren unvergleichlichen, ursprünglichen Geschmack. Ein weiterer Vorteil: Im Garten sind sie leicht zu kultivieren und kommen auch mit modernen Wetterkapriolen bestens klar.
Noch dazu braucht man für Anbau und Pflege keine speziellen Kenntnisse und die Kultur leistet einen Beitrag zum Erhalt der Nutzpflanzenvielfalt, so Plietz. Seine Leidenschaft sind Tomatenraritäten, von denen er über 200 Sorten in seiner Gärtnerei kultiviert. „Keine Tomatensorte gleicht der anderen, keine komponiert dieselbe Aroma-Symphonie“, sagt er stolz. In eine basische Ernährung passen alte Gemüse aufgrund ihrer Inhaltsstoffe besonders gut, davon ist er überzeugt. Die positiven Effekte von Gemüse, Kartoffeln und Obst hat er im Rahmen einer Frühjahrskur am eigenen Leib gespürt: „Es funktioniert.“
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