Selbstversuch: Wie fühlt es sich an, wenn der Computer das Auto lenkt?
Im Auto der Zukunft sitzt niemand mehr am Steuer. Wie fühlt es sich an, wenn der Computer lenkt? Und was kann der Mensch doch viel besser? Ein Selbstversuch.
Das Auto der Zukunft, es sieht aus – wie das Auto von heute. Von außen zumindest. Ein anthrazitfarbener E-Klasse-Kombi von Mercedes mit zwei Werbeaufklebern auf der Seite. Am auffälligsten ist noch die knubbelige, runde Antenne auf dem Dach und, wenn man ganz genau hinsieht, drei rechteckige, mit dunklem Kunststoff verkleidete Aussparungen an der Stoßstange vorne: Laserscanner, wie Manuel Stübler erklärt. Er ist Doktorand am Institut für Mess- Regel- und Mikrotechnik und darf heute das selbstfahrende Auto seines Instituts fahren. Denn ganz allein darf der Wagen doch nicht auf die Straße.
Die üblichen Raser und Drängler; Autofahrer, die unbeirrbar mit Tempo 120 auf der Mittelspur rollen, ganz egal, was um sie herum passiert – die kurze Fahrt nach Ulm spiegelt den Alltag auf deutschen Autobahnen wahrscheinlich ganz gut wieder: Wo Menschen schalten, gibt es Konflikte, Fehler, Unfälle. Autofahren ist eine sehr komplexe Tätigkeit – und wann es zum nächsten Mal kracht, nur eine Frage der Wahrscheinlichkeit. Wäre es da nicht besser, man hielte den Menschen gleich ganz fern vom Steuer? Autonomes Fahren heißt diese Zukunftsvision, die bald schon Realität sein und unser Leben gründlich verändern dürfte. Alle Autohersteller weltweit investieren gerade enorme Summen in die Forschung daran. In Ulm fahren bereits zwei Testwagen – fast ohne menschliches Zutun.
Der Motor läuft, das Tor ist auf. Eigentlich könnte es losgehen. Aber die Rechner sind noch nicht hochgefahren. Stübler übernimmt den ersten kniffligen Part also erst einmal selbst: das Einbiegen auf die Durchgangsstraße. Nach kurzem Halt am Straßenrand ist es aber so weit: Rechner startklar, Satellitenempfang hergestellt – Stübler lenkt den Wagen zurück auf die Straße und drückt einen unauffälligen Knopf auf dem Lenkrad. Pieeep – die Maschine hat übernommen.
Testfahrt: Sensoren machen noch Probleme
In ein bis zwei Jahren werden wir die ersten Systeme in Serienfahrzeugen sehen“, sagt Professor Klaus Dietmayer, der Leiter des driveU, ein gemeinsames Forschungszentrum von Uni Ulm und Daimler, und damit auch verantwortlich für die beiden Testwagen. Er sagt: Allein von A nach B fahren werden die ersten, teilautomatisierten Serienautos noch nicht. Eher schon dürften sich Käufer neuer Oberklassen-Fahrzeuge über einen „Autobahn-Assistenten“ freuen, ein System, das die Spur hält und den Abstand zum Vordermann kontrolliert, ohne dass ein Mensch eingreifen muss. Keine Revolution, schließlich ist jedes moderne Auto bereits heute voll von Computern und Assistenzsystemen. Dietmayer und seinem Team geht es um mehr – und einiges von dem, was heute noch wie Science-Fiction klingt, können seine Autos schon.
Es piept schon wieder. Systemabsturz an der zweiten Ampel. Stübler muss wieder selber fahren. Also Hände ans Lenkrad, Füße auf Gas- und Bremspedal, weiter geht’s ohne stehen zu bleiben. Beifahrer Martin Bach forscht daran, wie das Auto Ampeln erkennen kann. Jetzt startet er aber erst mal den Computer neu. Zeit für ein paar grundsätzliche Erklärungen. „Für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs brauchen wir immer Redundanz“, sagt Stübler. Was heißt: Kamerasysteme, Radar und Laserscanner vergleichen ihre Wahrnehmung untereinander. Tritt dabei ein Widerspruch auf, piept es – der Mensch muss entscheiden. Noch passiert das häufiger, es genügt, dass bei Schnee oder Nebel die Kamerabilder verwischen oder tief stehende Sonne die Optik blendet. Nichts aber, was durch bessere Sensoren nicht behoben werden könnte.
Fahren der Zukunft bedeutet Umdenken für die Logistikbranche
Die Zukunft, sie könnte so aussehen: Wer mit seinem selbstfahrenden Auto in die Stadt kommt, steigt, wie bei einem Taxi, direkt dort aus, wo er hinwill. Die Suche nach einem freien Parkplatz übernimmt der Wagen ganz allein. Überhaupt könnten die Innenstädte dann von vielen parkenden Autos entlastet sein: Autos, die selbstständig in ein Parkhaus fahren, stehen viel enger nebeneinander.
Wahrscheinlich hat man in der Stadt gar kein eigenes Auto mehr. Eine Flotte selbstfahrender Autos kann ständig in Bewegung sein und alle Mobilitätswünsche erfüllen. Schlechte Nachrichten für Taxifahrer. Vor allem aber eine knifflige Fragestellung für Autohersteller: Verkaufen sie künftig mehr Mobilitätsdienstleistungen als Autos?
Nicht nur der Personenverkehr wird sich ändern, auch die Logistikbranche steht vor radikalen Umbrüchen, wenn die Maschine das Fahren übernimmt: Brummt der Lastwagen selbstständig auf der Autobahn von München nach Hamburg, bleibt für den Fahrer mehr Lenkzeit auf der Tachoscheibe – heißt auch: weniger Stillstand, niedrigere Kosten. Noch rentabler wird es, können Laster die komplette Strecke zwischen Be- und Entladung allein zurücklegen. Eine neue Studie der Unternehmensberatung McKinsey rechnet dafür mit Arbeitskosteneinsparungen von bis zu 90 Prozent und 60 Prozent weniger CO2-Ausstoß. Wie es eben ausgeht, wenn Mensch gegen Maschine antritt.
Jetzt fährt wieder die Maschine. Etwas ruckelig und sehr defensiv, aber völlig allein. Gleich geht’s nach rechts, eine 90-Grad-Kurve und Stübler hat seine Hände nicht am Steuer. „Halt!“, will man schreien – aber es geht alles gut. Das Lenkrad dreht sich wie von selbst, der Wagen bleibt auf der Spur, fährt aus der Kurve heraus und beschleunigt mit einem kurzen Rucken etwas heftig. Sonst geht alles gut. Und gepiept hat’s auch nicht.
Verantwortung im selbstfahrenden Auto: Wer haftet?
Der Führerschein, das eigene Auto, gibt das den künftigen Autofahrern kein Gefühl der Freiheit mehr? Will sich ein Porschefahrer künftig von der Maschine fahren lassen, ein Rolls Royce-Besitzer seine Karosse teilen? „In der Großstadt verliert das eigen Auto heute schon an Wert: im Stau stehen, Parkplatz suchen, all das macht das Fahren unangenehm“, sagt Dietmayer.
Und ob die Hersteller so viel weniger Autos verkaufen, gilt auch nicht als ausgemacht. Wenn das voll automatisierte Auto geteilt wird und viel mehr fährt, muss es auch schneller ersetzt werden. Zukunftsmusik. Davor sind ganz andere Probleme zu lösen: Wer haftet zum Beispiel bei Unfällen mit selbstfahrenden Autos? Der Fahrer, weil er das System immer überwachen muss? Der Autohersteller? Oder gar der Programmierer, der irgendwann einmal festgelegt hat, wie das Auto in welcher Situation reagiert?
In den USA haben vor kurzem zwei Hacker Schlagzeilen gemacht, denen es bei einem Experiment mit einem Journalisten von Wired gelungen ist, einen Geländewagen so zu manipulieren, dass sie alle elektronisch gesteuerten Funktionen, inklusive der Beschleunigung, über das Internet steuern konnten. Der Journalist saß machtlos auf dem Fahrersitz und war ziemlich froh, als der Spuk vorüber war.
Dass beim computergesteuerten Fahren nebenbei auch jede Menge personenbezogene Daten anfallen, scheint bei der derzeit vorherrschenden Sorglosigkeit der meisten Internetnutzer schon fast ein Randproblem zu sein. „Technisch ist vieles lösbar, auch beim Datenschutz. Man muss es nur wirklich wollen“, sagt Dietmayer. Möglich ist auch, dass der Blumenhändler am Straßenrand den Fahrer auf dem Nachhauseweg an den Geburtstag seiner Frau erinnert; oder der Möbelhändler auf der grünen Wiese anbietet, die Fahrt im vollautomatischen Auto zu bezahlen, wenn man bei ihm einkauft…
Computer kann den Menschen nicht einschätzen
Ampel klappt jetzt, auch der Kreisverkehr ist kein Problem. Stübler und Bach sind den selbst gewählten, sechs Kilometer langen Rundkurs neben ihrem Institut schon x-mal gefahren. Trotzdem ist jede Runde ein wenig anders. Damit muss das Auto klarkommen, es soll ja überall fahren können. „Wir glauben derzeit nicht, dass Städte, Gemeinden oder der Bund die Mittel dafür haben, auf absehbare Zeit alle Straßen digital nachzurüsten“, sagt Stübler. Also muss das Auto alle Verkehrszeichen erkennen und interpretieren, wissen, wo es ist und was in seiner Umgebung passiert. Das ist das eine.
Das andere sind die Menschen auf der Straße, die ihre eigenen Entscheidungen treffen. Und diese vorherzusagen, überfordert bislang jede Maschine. Ein Beispiel aus Stüblers Erfahrung: An einer Engstelle hält ein Auto, eine Frau steigt aus der Beifahrertür, holt einen Kinderwagen aus dem Kofferraum. Ein Mensch würde kurz warten – kann ja nicht lange dauern – oder, wenn nichts kommt, langsam vorbeifahren. Der Computer kann die Situation nicht interpretieren: Markiert das Auto vor ihm das Ende eines Staus? Wird es länger stehen bleiben? Was passiert also? Genau, es piept.
Elektroautos von Tesla, eigene Autoprojekte der Internetriesen Google und Apple – Deutschlands so sehr an Erfolg gewöhnte Autohersteller müssen sich plötzlich ganz neuer Konkurrenz stellen. Und die beherrscht Dinge sehr gut, die für das autonome Fahren unverzichtbar sind: Vernetzung und der Umgang mit großen Datenmengen. „Wenn Google und Apple ein automatisiertes Auto mit einigen Kinderkrankheiten auf den Markt bringen, wird ihnen als Newcomer dies von den Kunden wahrscheinlich verziehen. Einem deutschen Premiumhersteller darf das nicht passieren“, sagt Dietmayer. Der gute Ruf kann auch Belastung sein. Wer das Rennen macht, ist offen. Aber Dietmayer ist sich sicher: „Das autonome Fahren kommt in 20 Jahren plus x. Einige Funktionen wie das fahrerlose Parken werden schon viel schneller realisiert sein.“
Weiter geht es die hier schnurgerade Albert-Einstein-Allee entlang, bis ein unüberwindbares Hindernis das Auto blockiert – ein Radfahrer. Stübler übernimmt das Steuer, zieht vorbei und schaltet dann – pieeep – wieder auf Automatik. „Überholen ist schwierig. Kaum möglich mit heutiger Sensorik ist es bislang auf Landstraßen“, sagt er und muss – pieeep – kurz darauf schon wieder zum Lenkrad greifen. Das Auto steht. Schuld diesmal: ein blauer Linienbus auf der Gegenfahrbahn. In der engen S-Kurve ist er dem Versuchswagen zu nahe gekommen. Tuuut! Ein beherztes Hupen von hinten: Dort sitzt ein Mensch am Steuer – der kann das Verhalten des Computers nur schwer vorhersagen.
Die Diskussion ist geschlossen.