Udo Jürgens: Die Wahrheit über den Entertainer
Was fehlt ohne Udo Jürgens? Eine Aufarbeitung des Autors Andreas Maier zum ersten Todestag des großen Entertainers.
All die Dokumentationen im Fernsehen, die Sondersendungen im Radio, all die Nachrufe in den Zeitungen – ist nicht längst alles über ihn gesagt und erinnert, alles wiederholt und nacherzählt, sein ungewöhnliches Leben, sein außergewöhnliches Schaffen? Ein Jahr, nachdem Udo Jürgens, kurz zuvor zum 80. Geburtstag geehrt, plötzlich beim Spazierengehen in der Schweiz umgefallen und gestorben ist – was sollte es noch nachzutragen geben?
Andreas Maier schreibt: „Es geht hierbei natürlich nicht um eine Biografie. Mit einer Biografie ist, so seltsam das erst mal klingt, über Udo Jürgens eigentlich gar nichts erzählt. Er wird durch sie als Erzählung, als Konzept von Welt, ebenso wenig verständlich wie jeder von uns. Biografien liefern gar nichts. In ihnen ist zwar auch, sehr versteckt, eine Erzählung enthalten, aber sie wird nicht frei erzählt.
Dazu ist sie zu faktengebunden. Mein faktisch-biografischer Wissensstand über Udo Jürgens tendiert sowieso gegen null. So wie der Wissensstand der meisten Udo-Jürgens-Hörer und Nicht-Hörer. Und dennoch liefern wir die Erzählung. Wir sind er, und er ist wir, und so erst entsteht er, und so erst entstehen wir.“ Es geht um das, wodurch Wahrheit die Wirklichkeit überragt, das fundamentale Ich des Menschseins und die Unmittelbarkeit des Lebens. Die Wahrheit über Udo Jürgens also.
Udo Jürgens: Andreas Maier präsentiert seine Erinnerungen
Andreas Maier hat da bereits über mehr als 100 Seiten hinweg seine Bruchstücke beigetragen, die er als Kolumne geführt hat und die jetzt auf gut doppelter Länge im Buch „Mein Jahr ohne Udo Jürgens“ veröffentlicht sind. Es sind Erinnerungen und Gedanken, Gespräche und Begegnungen auf der Spurs des Phänomens Udo Jürgens. Maier, Jahrgang ’67, erzählt, wie er erst vor wenigen Jahren verwandelt wurde. Von einem, der damals für „17 Jahr, blondes Haar“ noch zu jung war und danach eben hörte, was seinem Lebensgefühl entsprechen und ihn noch ein bisschen cooler, hipper erscheinen lassen sollte hin zu einem, der durch das Wesentliche an Udo Jürgens erweckt wurde.
Und das ist eben nicht der wirtshausselig missverstandene Mitgrölrefrain „Griechischer Wein“, nicht der antispießbürgerliche Chansonnier von „Ehrenwertes Haus“, es ist nicht der für Sinatra komponierende Künstler, nicht das Leben in wilder Ehe samt unehelicher Kinder, es ist nicht der spätere Mahner etwa vor einem „Gläsernen Menschen“, nicht der Alltagspoet von „Ich war noch niemals in New York“, es ist nicht der Held der kitschlosen Liebesballade von „Merci, Cherie“ bis „Es wird Nacht, Senorita“, nicht der große Entertainer im Bademantel, es ist nicht der ideologielose Freigeist, nicht die alterslos Eleganz…
Es ist: dass bei Udo Jürgens all das nebeneinanderstand, selbstverständlich wie die Vielfalt des Lebens selbst. So stand dieser Andreas Maier plötzlich „völlig nackt da“, als er zum ersten Mal wirklich zuhörte bei „Mein Bruder ist ein Maler“. Und so wurde er überwältigt beim ersten Konzert von „dieser radikalen Sentimentalität“. Und so wurde er im Innersten seines eigenen Lebens getroffen am 21. Dezember 2014, von der Nachricht, dass Udo Jürgens nun tot, also doch sterblich ist.
Es ist eine schöne Hommage. Denn Andreas Maier, der ja gerade in einem elfteiligen, autobiografischen Romangroßwerk seinem Aufwachsen in der hessischen Wetterau nachspürt, ist ein Meister der unmittelbaren Wahrheit des Ich-Erlebens. Und des Ich- Erzählens.
Andreas Maier: Mein Jahr ohne Udo Jürgens. Suhrkamp, 218 S., 17,95 Euro
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