Überfüllte Notaufnahmen werden zunehmend zum Problem
Die Notaufnahmen sind zu Stoßzeiten so überfüllt, dass schwer kranke Patienten oft zu spät behandelt werden. Nun suchen Kliniken und Ärzte nach Lösungen. Eine Idee gibt es schon.
Mit Fieber und Husten in die Notaufnahme? Immer mehr Patienten melden sich auch mit Bagatellerkrankungen als Notfall in den Kliniken, was diese oft ans Limit bringt. Dabei könnten viele Patienten auch in einer niedergelassenen Arztpraxis behandelt werden, wie der Verband der Ersatzkassen (vdek) am Dienstag in Berlin erklärte. Die Krankenkassen fordern eine bessere Steuerung der Patientenströme in der ambulanten Notfallversorgung.
Jährlich bis zu 25 Millionen Menschen in Notaufnahme
"Wir brauchen transparentere Strukturen in der Notfallversorgung", erklärte vdek-Vorstandschefin Ulrike Elsner. Unklare Sprechstundenzeiten und Anlaufstellen der niedergelassenen Ärzte, undurchsichtige Zuständigkeiten zwischen ambulantem und stationärem Notdienst sowie die Unsicherheit der Patienten seien die Hauptgründe dafür, dass immer mehr als Notfall die Klinik ansteuern. Viele erwarten in der Klinik aber auch eine schnelle und bessere Versorgung.
So werden jährlich bis zu 25 Millionen Menschen in den Notaufnahmen der Krankenhäuser behandelt, mit steigender Tendenz. Nach Aussagen von Fachgesellschaften könnten allerdings ein Drittel der Patienten bedenkenlos von niedergelassenen Ärzten behandelt werden, sie gehören also nicht ins Krankenhaus. Ziel müsse es sein, die Patienten "in den richtigen Behandlungspfad zu lotsen", erklärte Elsner.
Der Ersatzkassenverband, zu dem unter anderem die Techniker Krankenkasse (TK), Barmer GEK und DAK-Gesundheit gehören, fordern die flächendeckende Einrichtung sogenannter Portalpraxen an allen Krankenhäusern. Dort sollen Patienten in einer festen Anlaufstelle zunächst einmal begutachtet werden. Damit soll abgeklärt werden, ob es sich um eine Bagatellerkrankung oder einen lebensbedrohlichen Notfall handelt.
Personalsituation in Notaufnahmen verschärft
Je nach Dringlichkeit sollen die Patienten dann entweder an eine niedergelassene Arztpraxis oder in die ambulante Notdienstpraxis im Krankenhaus, die auch außerhalb der Sprechstundenzeiten behandelt, beziehungsweise in die Notaufnahme weitergeleitet werden. Die Portalpraxen seien "Dreh- und Angelpunkt" der Notfallversorgung, heißt es in einem Gutachten des Aqua-Instituts für den Ersatzkassenverband.
Zudem fordern die Kassen gemeinsame Rettungsleitstellen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) und der Rettungsdienste, um Anrufer unter der 112 und der Rufnummer der KVen (116117) an den geeigneten Notdienst zu vermitteln. Viele Patienten sei der ärztliche Notdienst unbekannt - oder sie könnten den Behandlungsbedarf nur schlecht einschätzen.
Die Kliniken klagen sei längerem über eine zunehmende Belastung der Notaufnahmen. Zudem werde die ambulante Notfallversorgung an den Krankenhäusern nicht kostendeckend vergütet, was die Personalsituation verschärfe.
"Wer die Notfallversorgung wirklich verbessern will, muss auch die Finanzierung sichern", forderte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Georg Baum. Einem durchschnittlichen Erlös von rund 40 Euro pro ambulantem Notfall stünden Fallkosten von mehr als 100 Euro gegenüber. Dies summiere sich insgesamt auf eine Milliarde Euro nicht gedeckter Kosten. Die Verhandlungen zwischen Krankenhäusern, niedergelassenen Ärzten und Kassen über ein neues Vergütungssystem kämen derzeit nicht voran.
In die Notaufnahme statt zum Arzt
Der Arzt Christoph Haedicke kennt das Problem. Wütend schrieb eine Patientin dem Arzt, sie habe die Notaufnahme des Klinikums Braunschweig "aus Zeitgründen irgendwann wieder verlassen". Zu lange musste die vermeintliche Notfall-Patientin warten. Die Frau ist kein skurriler Einzelfall. "Viele gehen direkt zu uns in die Notaufnahme statt zum niedergelassenen Arzt", sagt der Leiter der Notaufnahme. Nicht aus Unwissenheit, sondern weil sie es als praktisch empfänden.
Das kennt auch Pfleger Martin Arnold. "Der eine will seinen Impfschutz auffrischen lassen, der andere hat Notfall-Schnupfen", sagt er. Überall in Deutschland bevölkern Menschen mit leichten Beschwerden die Ambulanzen der Krankenhäuser. Sie verursachen nicht nur lange Wartezeiten, sondern gefährden auch die Versorgung von Schwerkranken.
Elf Millionen ambulanter Notfälle gibt es laut der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) im Jahr. Mindestens jeder dritte Patient könnte genauso gut in die Praxis eines niedergelassenen Arztes gehen, ergab ein bundesweites Gutachten. Und doch kommen Jahr für Jahr mehr Patienten direkt in die Notaufnahme. Über 31 000 Menschen waren es im vergangenen Jahr alleine am Braunschweiger Klinikum - rund tausend mehr als 2014.
Probleme in Notfall-Versorgung in allen Ländern gleich
Die Klinik steht mit dieser Situation nicht allein da. "Wenn ich mich international mit Ärzten unterhalte, dann sind die prinzipiellen Probleme in der Notfallversorgung überall gleich", sagt Martin Möckel, der an der Berliner Charité drei Notaufnahmen in verschiedenen Bezirken vorsteht. Pro Jahr kommen dort 120 000 Patienten. Zu Wartezeiten und der Zahl der Patienten pro Arzt gibt es zwar keine Daten. In mehreren Studien gehen Forscher des Uniklinikums aber der zunehmenden Überfüllung auf den Grund.
Auffallend ist, dass unter den Notfall-Patienten überproportional viele Menschen mittleren Alters sind. Und die kommen nicht etwa dann zum Krankenhaus, wenn die Arztpraxen geschlossen haben. Den höchsten Zulauf haben die Kliniken tagsüber. Die Erwartungshaltung habe sich verändert, meint Pfleger Arnold: "Warum sollte jemand lange auf einen Facharzttermin warten, wenn er im Krankenhaus das Komplettprogramm bekommt?" Die Rundum-Diagnose in der Klinik werde teils auch von Hausärzten empfohlen, sagt Möckel von der Charité.
Für die Krankenhäuser sind ambulante Fälle in der Notfallaufnahme finanziell ein Verlustgeschäft. Pro Patient entstehen im Durchschnitt etwa 100 Euro Kosten. Rund 40 Euro bekommen die Krankenhäuser anschließend erstattet. Doch was tun? "Wir können nicht immer neue und größere Notaufnahmen bauen. Wir müssen etwas an den Abläufen ändern", meint Notaufnahme-Leiter Haedicke. Zum Jahresanfang trat das Krankenhausstrukturgesetz in Kraft. Darin ist auch die Einführung sogenannter Portalpraxen geregelt. Dort soll der Notdienst der niedergelassenen Ärzte arbeiten - in direkter Nachbarschaft zur Notaufnahme.
Wartezeit in Notaufnahme ist lang
Ohne eine solche Praxis ist es schwierig, Patienten aus der Notaufnahme weiterzuschicken. "Wer möchte schon das Risiko eingehen, jemanden abzulehnen?", fragt Pfleger Arnold. In Schleswig-Holstein gibt es mittlerweile 30 solcher Praxen. Bayern plant die Aufstockung von derzeit 70 auf 110.
Das Problem sei dadurch aber nicht gelöst, sagt der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Niedersachsen, Detlef Haffke. "Selbst da, wo die Praxen etabliert sind, sind die Notaufnahmen überlastet." Schuld daran sei eine fehlende Patientensteuerung. Wer sich schnelle Hilfe und das komplette Behandlungsprogramm wünsche - sei es verhältnismäßig oder nicht - komme nach wie vor in die Notaufnahme.
Die Folgen bekommt Andrea Mackensen zu spüren. Seit vier Stunden wartet sie in der Braunschweiger Notaufnahme. Wegen eines Schwindelgefühls war sie bereits beim Hausarzt, der hat sie ins Krankenhaus überwiesen. "Ich verstehe das Problem. Aber gerade, wenn man sich nicht gut fühlt, ist die Warterei unangenehm", sagt sie.
Unmut bei Patienten: "Aggressive Worte und Beleidigung"
Marco Dethlefsen von der KV Schleswig-Holstein wünscht sich deshalb eine bessere Möglichkeit Patienten zu filtern. "Wir brauchen auch tagsüber Portalpraxen, nicht nur zu Bereitschaftsdienstzeiten", meint er. Einige Ärzte fordern eine Art Eintritt für die Notambulanz. 50 Euro hält etwa Thorsten Kleinschmidt von der KV Braunschweig für angemessen. "Wer dann wirklich ein Notfall ist, bekommt sein Geld zurück", sagt er. Möckel von der Charité hält das nicht für sinnvoll. "Dann kommen nämlich die 80-jährigen alten Damen nicht mehr, weil die Rente nicht reicht - die haben dann die gesundheitlichen Nachteile."
Den Unmut bei den wartenden Patienten würde so eine Regel vermutlich erstmal weiter vergrößern. Schon jetzt sei es nicht immer einfach, mit den Patienten umzugehen, erzählt Krankenpfleger Arnold. "Wir haben es nicht mit körperlichen Übergriffen zu tun, aber mit aggressiven Worten und Beleidigung", berichtet er. Nicht leicht sei das Ganze: "Wir wollen schließlich helfen, dafür sind wir ja da." Rebecca Krizak und Gisela Gross, dpa/afp
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Das ist doch alles über die Bezahlung zu regeln. Auch die Notaufnahmen sollten auf einen Einweisungsschein bestehen. Ansonsten Privatrechnung. Bei echten Notfällen wird dann auf die Privatrechnung verzichtet. Bei Abholung durch einen Krankenwagen ohne Transportschein wird die Pauschale von 600,- € dem Patienten in Rechnung gestellt. Und schon ist Ruhe und den ambulante Notdienst, der dann die entsprechenden Schein bei Notwendigkeit ausstelt, wird wieder öfter zum Einsatz kommen.