Verbrauch dich selbst!
Die Deutschen interessieren sich mehr und mehr für die Hintergründe dessen, was sie essen, trinken und anziehen. Viele wollen aber nicht nur bewusst konsumieren, sondern von Socken bis Honig gleich selbst etwas herstellen.
„Selbstgeerntete Tomaten kann man einfach nicht mit gekauften vergleichen“, sagt Ildikó Reményi. Sie betreut gemeinsam mit dem Pädagogen Benjamin Vogt die Cityfarm Augsburg. In dem Projekt kann jeder, der will, in einem kleinen Garten mithelfen. Zweimal pro Woche. Arbeit gibt es genug: Der Kaninchenstall muss repariert, dessen kleine Bewohner gefüttert, die Gemüsebeete versorgt werden.
Der älteste Hobby-Gärtner sei Ende 90 gewesen, erklärt die studierte Geografin Reményi. Aber auch kleine Kinder tollen neben den Kaninchen durch den Garten, Harzt IV-Empfänger ernten gemeinsam mit Professoren die Früchte ihrer Arbeit. Warum die Cityfam seit ihrer Gründung 2011 so gut läuft, erklärt sich die Geografin mit einer gesamtgesellschaftlichen Bewegung, für die „das Selbermachen wieder einen Stellenwert einnimmt“.
Do it yourself: Nicht nur etwas für eigenbrötlerische Handwerker
Das Motto „Do it yourself“, zu Deutsch „Mach es selbst!“, ist schon längst keine Eigenheit ökovernarrter Selbstversorger oder eigenbrötlerischer Handwerker mehr. „Es gibt eindeutig einen Trend hin zum Selbermachen“, meint Gabriele Lindstedt. An der Volkshochschule Augsburg betreut sie den Bereich „Lebensart“. Man kann hier lernen, wie man vegetarische Gerichte zubereitet, die Schnittkonstruktion für eine Hose bastelt oder die grundlegenden Nähtechniken anwendet.
Gerade in Punkto Nähen und Stricken sei die Nachfrage in den letzten Jahren gestiegen. Vor drei Jahren hätte sich noch kaum jemand fürs Sockenstricken interessiert, sagt Lindstedt. Heute muss die Volkshochschule zusätzliche Kurse anbieten. „Der Stolz auf das Selbstgemachte und der Ausdruck von Individualität“ sind laut Lindstedt der Grund für die steigenden Zahlen der Teilnehmer, die häufig jugendlich, manchmal männlich sind.
"Die Verbraucher denken mehr mit"
Speziell für Männer bietet sogar der Augsburger Ortsverband des Deutschen Hausfrauenbundes Kochkurse an. Mittlerweile gebe es viele interessierte Männer, erklärt die Ortsverbandsvorsitzende Rosemarie Weber. Einige Witwer oder Geschiedene nehmen das Angebot war, „aber auch Männer, die sagen: ‚Ich will mir das selber machen.’“, sagt Weber.
Die Teilnahme an so einem Kochkurs dient allerdings nicht einzig dazu, den Selbstverwirklichungsdrang zu stillen, sondern auch den Fluss aus dem Geldbeutel einzudämmen. Auf Dauer gehen Restaurant- und Kantinenbesuche ins Geld. „Viele glauben aber noch immer, dass sie selbst nicht billiger kochen“, meint Weber. Es geht aber auch ums bewusste und gesündere Essen.
Immer mehr Menschen legen Wert auf die regionale Herkunft. „Die Verbraucher denken mehr mit“, glaubt Gabriele Gers, Leiterin der Augsburger Beratungsstelle vom Verbraucherservice Bayern. Die Menschen würden sich mehr für die Zutatenliste von Lebensmitteln, aber auch für ihre eigenen Rechte interessieren. „Bei Verbraucherrechtsberatung ist die Nachfrage sehr groß“, so die Rechtsanwältin Gers. Manche wollen aber auch gleich im primären Sektor tätig werden.
Zahl der Probe-Imker verdreifacht sich
So haben über 2.000 Interessierte im vergangenen Jahr bei örtlichen Imkervereinen als Imker auf Probe das Handwerk rund um Bienen und Honig gelernt. Damit hat sich die Zahl in den letzten fünf Jahren verdreifacht. Aber auch spezielle Schulen wie die Imkerschule Schwaben in Kaufbeuren-Kleinkemnat haben starken Zulauf.
Im letzten Jahr haben über 1.500 Menschen an eintägigen Kursen die Grundlagen des Honigmachens erlernt. „Früher war das eine Altherrenlobby, heute sind viele um die 30 oder 40 Jahre dabei“, sagt Schulleiter Gerd Ullinger. Er glaubt, dass die Berichterstattung über das Bienensterben in Europa mehr Menschen auf die kleinen schwarz-gelben Tierchen und ihren Honig aufmerksam gemacht hat. Einige Schüler haben sogar ein Zertifikat erworben, das sie dazu berechtigt, den eigenen Honig mit dem Etikett des Deutschen Imkerbundes zu verkaufen.
Die Wurzeln in sich selber finden
Um Geld geht es auf der Cityfarm nicht. Bisher haben die beiden Leiter Reményi und Vogt nur knapp 500 Euro investiert. Der Rest läuft über Tauschhandel und Spenden – mal sind es Pflanzensamen, mal ein alter Dachstuhl, der als Feuerholz dient, wenn der Sommer auf sich warten lässt.
Für Reményi ist die Cityfarm Augsburg aber mehr als nur „was ökologische Sinnvolles“. Wer sich mit dem, was er konsumiert beschäftigt, „der findet die Wurzeln in sich selber.“ Menschen, die ihre Socken selber stricken, ihre Tomaten selber ziehen und ein Bienenvolk pflegen – dies ist nicht nur ein kurzlebiger Do it yourself-Trend. „Das gehört alles zu einer großen Welle, die um die Welt schwappt.“
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