Was Tiere den Menschen über Medizin verraten können
Kaninchen und Affen fressen ausgewählte Kräuter. Davon kann man einiges lernen, sagt die Bielefelder Philosophin und Evolutionsforscherin Manuela Lenzen.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich mit dem medizinischen Wissen von Tieren zu beschäftigen?
Darauf gekommen bin ich durch unsere Kaninchen. Wir wohnen auf dem Land, und die Tiere laufen frei herum. Der Nachbar hatte Raps gesät, und da haben sie sich den ganzen Tag lang den Bauch mit Raps vollgeschlagen. Das habe ich gar nicht so gerne gesehen, weil Kaninchen eigentlich keine Kohlpflanzen fressen sollen. Davon bekommen sie Durchfall – und wenn Kaninchen einmal Durchfall haben, dann geht´s mit ihnen auch schnell zu Ende.
Aber am Tag danach sah ich das eine Tier auf dem Komposthaufen, auf dem auch die Holzkohlenreste aus dem Kaminofen landen, mit seinem schönen weißen Fell Holzkohle fressen. Da fiel mit ein, dass Holzkohle bei Menschen auch gegen Durchfall eingesetzt wird. Und ich habe mir überlegt, ob das eine Reaktion des Tieres auf die möglichen Verdauungsbeschwerden durch die Rapspflanzen sein könnte.
Wissen Tiere, wie sie sich selbst heilen können?
Die Frage ist, was man unter Wissen versteht, aber sie tun’s auf jeden Fall. Schimpansen etwa behandeln sich selbst mit bestimmten Pflanzen gegen Darmparasiten. Und sie achten auch darauf, dass diese Pflanzen dann nur von kranken Tieren zu sich genommen werden, und nicht auch von gesunden Tieren gefressen werden. Oder sie falten Blätter mit Borsten ganz klein und fressen sie, ohne sie zu zerkauen.
Mit den unverdauten Blättern werden dann auch Würmer ausgeschieden. Die Blätter helfen offenbar dabei, Darmparasiten loszuwerden. Aber man kann das nicht nur bei Primaten beobachten. Forscher von der Emory Universität in Atlanta haben herausgefunden, dass Insekten, wenn sie mit Parasiten befallen sind, ihre Eier zum Beispiel in vergärende Früchte legen. Der Alkohol in diesen Früchten tötet dann die Parasiten ab.
Erfahrungen und der Urinstinkt
Woher nehmen Tiere dieses Wissen?
Man geht davon aus, dass das bei niederen Tieren, also etwa Insekten, angeboren ist. Primaten unterrichten ihre Nachkommen richtiggehend.
Kann es sein, dass Menschen auch solch einen „Urinstinkt“ haben, wenn es darum geht, was ihrem Körper guttut?
Das weiß ich nicht. Zumindest hat der Mensch ja Erfahrung damit, was ihm guttut und was nicht. Man kennt das ja, dass einem nach bestimmten Dingen ist und nach anderen überhaupt nicht, wenn es einem schlecht geht.
Tiere können beim Verstehen helfen
Können Menschen medizinisches Wissen von Tieren lernen?
Ja, auf jeden Fall. Es gibt viele Geschichten über traditionelle Heiler, die kranken oder verletzten Tieren in den Urwald folgen und beobachten, welche Pflanzen sie fressen und welche Wirkung das dann hat. Ein großer Teil der Medikamente heute geht ja immer noch auf Heilpflanzen zurück. Und da ist es natürlich sehr interessant, neuen Pflanzen und neuen Wirkstoffen auf die Spur zu kommen. Auch für die Nutztierhaltung könnte das interessant sein.
Vielleicht kann man den Antibiotikaeinsatz einschränken, wenn man den Tieren die Möglichkeit gibt, selbst auszuwählen, was sie fressen wollen. Außerdem könnte Wissen über die medizinischen Fähigkeiten der Tiere helfen, die Entstehung von Immunsystemen besser zu verstehen. Bei den Insekten gehen die Forscher davon aus, dass das parallele Strategien sind. So verwenden etwa Bienen, die anscheinend ein weniger stabiles Immunsystem als andere Insekten haben, antiseptische Stoffe bei ihrem Nestbau. Vielleicht gleicht das das schwächere Immunsystem aus.
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