Welle von Kindermissbrauch erschüttert England - Blieb die Polizei tatenlos?
Großbritannien erlebt zahlreiche Fälle von Kindesmissbrauch. Auch ein Beamter ist in den Skandal verwickelt. Einer Untersuchung zufolge wussten Behörden seit Jahren Bescheid.
Sie hatten es vor allem auf Kinder abgesehen, die verletzlich wirkten. Die Täter gaben ihnen Drogen und Alkohol, unterzogen die Opfer einer Gehirnwäsche, vergewaltigten Mädchen, kaum älter als elf Jahre, und zwangen andere Jungen und Mädchen, dabei zuzuschauen. Sie übergossen die Kinder mit Benzin und drohten ihnen, sie bei lebendigem Leib anzuzünden. Manchmal wurden sie entführt, in andere Städte gebracht und als Prostituierte eingesetzt. Sie wurden geschlagen, eingeschüchtert.
Entsetzlicher Missbrauch zahlreicher Kinder
Der Bericht, den die Autorin Alexis Jay diese Woche vorlegte, könnte erschütternder kaum sein. „Es ist schwer zu beschreiben, welch entsetzlichem Missbrauch diese Kinder ausgesetzt waren“, sagte Jay. Rund 1400 Kinder sind von 1997 bis 2013 in der nordenglischen Stadt Rotherham Opfer von Sexualverbrechern, überwiegend südasiatischen Migranten, geworden. Auch ein Polizeibeamter ist in den Sexskandal verwickelt, wie die Polizei von South Yorkshire jetzt mitteilte.
Polizei und Kinderschutzbehörden haben versagt
All das konnte nur passieren, weil Polizei und Kinderschutzbehörden „kollektiv und eklatant versagt haben“, wie der Untersuchungsbericht im Auftrag der Kommunalverwaltung kritisiert. Zwar war bereits im Jahr 2010 eine fünfköpfige Bande mit Wurzeln in Pakistan zu langen Haftstrafen wegen Kindesmissbrauchs verurteilt worden. Doch damals war von einer weit geringeren Opferzahl die Rede gewesen.
Tatenlosigkeit der Polizei erschüttert Großbritannien
Angesichts der seit 2005 vorliegenden Informationen könne niemand sagen, er habe nichts gewusst, behauptet Jay. Vizepremierminister Nick Clegg warf gestern Polizei, Stadtrat und Kinderschutzbehörden in Rotherham eine „eklatante Vernachlässigung“ hochgefährdeter Kinder vor. Großbritannien zeigt sich erschüttert, vor allem die Tatenlosigkeit der Polizei angesichts der Verbrechen schockiert die Briten. Immer mehr der Opfer melden sich zu Wort und berichten von ihren Erfahrungen. „Die Polizei sagte, ich lege es ja darauf an, und dass ich mir selbst keine Gefallen tun würde, wenn ich mit diesen Typen abhänge“, erzählte eine heute 22-jährige Frau britischen Medien.
Laut Untersuchungsbericht hatten Mitarbeiter der Kommunalverwaltung, Sozialarbeiter und Polizeibeamte jahrelang weggesehen, Anzeichen nicht ernst genommen, schwere Fehler gemacht. So haben Schulen beispielsweise gemeldet, dass Kinder von Taxis abgeholt wurden und sie Geschenke erhielten, wie der Guardian berichtet. Sie seien mitgenommen worden, um eine große Zahl von unbekannten Männern zu treffen. Dass die Täter nicht zur Verantwortung gezogen wurden, lag nicht nur daran, dass die Kinder zum Stillschweigen gebracht wurden.
Opfer stießen auf Unglauben
Selbst, wenn sich die Opfer – vorwiegend aus sozial schwachen Milieus – jemandem anvertrauten, stießen sie bei den Behörden auf Unglauben. Warum wurden die Problemkinder, die häufig in schwierigen Familienverhältnissen lebten und in Betreuung waren, also ignoriert?
Ursachen in den Traditionen des Klassensystems
In der aktuellen Debatte werden die Ursachen auch in der tief verwurzelten Tradition des britischen Klassensystems gesucht. Der Untersuchungsbericht geht zudem davon aus, dass die muslimische Religion der Männer eine Rolle spielte. Die Sorge, als rassistisch oder befangen gegenüber Asiaten zu gelten, wenn sie gegen die nach außen unbescholtene, größtenteils pakistanischstämmigen Familienväter vorgegangen wären, führte dazu, dass die Sozialarbeiter nicht genauer nachfragten.
Die Konsequenzen im aktuellen Fall: Am Dienstag war bereits der Vorsitzende des Stadtrats in Rotherham, Roger Stone, zurückgetreten. Von mehreren Seiten, unter anderem von Vizepremier Nick Clegg, gibt es Rücktrittsforderungen an Polizeichef Shaun Wright, der bis 2010 im Stadtrat für den Jugendschutz zuständig war.
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