Wie verhalte ich mich bei einem Überfall?
Was tun, wenn plötzlich ein Maskierter vor einem steht? Ein Bäcker aus Augsburg handelte geistesgegenwärtig. Die Polizei und ein Psychologe geben Tipps für Betroffene.
Eigentlich ist Bäckermeister Christoph Mayer keiner, der einfach so schreit. Doch an jenem Donnerstag im Februar um kurz nach fünf Uhr morgens hat der 52-Jährige genau das getan. Mayer wollte gerade frische Semmeln in seinen Laden im Augsburger Stadtteil Haunstetten bringen, da richtete ein junger vermummter Mann eine Pistole auf ihn. Doch Mayer ließ sich nicht einschüchtern. Er brüllte: „Hau ab! Schleich dich!“ Der Räuber stutzte. Dann flüchtete er.
Überfälle kannte Mayer bis dahin nur aus dem Fernsehen. Jetzt weiß er, wie sich einer in Wirklichkeit anfühlt. Der 52-Jährige hatte Mut. Der Räuber stand einen Meter entfernt von ihm. Seine Pistole richtete er auf Mayers Hüfte, nicht auf seine Brust oder seinen Kopf. Nur deshalb wagte es der Bäcker, ihn anzuschreien. Mit Erfolg. Doch Mayer ist eine Ausnahme.
Man sollte sich nicht selbst in Gefahr bringen
„Opfer von Raubüberfällen sollten sich selbst nicht in Gefahr bringen“, sagt Manfred Gottschalk vom Polizeipräsidium Schwaben Nord anlässlich des heutigen Tages der Kriminalitätsopfer. Das sei am wichtigsten. Ist der Räuber weg, sollten die Betroffenen umgehend die Polizei rufen. Dann seien die Chancen auf eine erfolgreiche Fahndung am größten. 2457 Raubdelikte zählte die Polizei 2016 in Bayern. Banküberfälle kommen auch dank besserer Überwachung inzwischen seltener vor. Am häufigsten überfallen Räuber Spielhallen und Tankstellen. Nur wenige von ihnen ziehen, wie in Mayers Fall, ohne Beute wieder ab.
Die meisten Opfer haben nicht so viel Glück wie der Bäcker. Einige von ihnen suchen dann Hilfe bei Joachim Schottmann. Der Psychologe betreut seit Jahren Opfer von Raubüberfällen. „Bis zu 80 Prozent verarbeiten das traumatische Erlebnis eines Überfalls ganz von allein“, sagt der 46-Jährige. Der Rest brauche professionelle Hilfe. Typischerweise durchlaufen Überfallopfer drei Phasen, erklärt Schottmann.
Ein Überfall ist etwas völlig Unerwartetes
Am Anfang stehe der Schock. „Bei einem Überfall dringt etwas völlig Unerwartetes in das Leben des Opfers ein.“ Menschen reagierten darauf ganz verschieden. Die einen seien aufgewühlt, die anderen blieben zumindest äußerlich kühl.
Dem ersten Schock folge eine Zeit der Unsicherheit. Die Erinnerung an den Überfall komme zurück, Angst mache sich breit. Die Opfer sehnen sich nach Kontrolle. Manche verrammeln ihre Tür und schlafen mit brennendem Licht.
Schottmann empfiehlt Opfern, sich viel zu bewegen und auf ihr Bauchgefühl zu achten. Deren Mitmenschen sollten bedenken: „Nach Banküberfällen machen Kunden gern mal Witze oder beschwichtigen, dass ja im Grunde nicht viel passiert sei. Das ist aber für die Betroffenen immer eine Ohrfeige, sie fühlen sich nicht ernst genommen.“
Ein Zustand der Verunsicherung
Zwei bis vier Wochen würden die Opfer im Schnitt im Zustand der Verunsicherung verharren, sagt Schottmann. Dann komme die dritte Phase. In ihr entscheide sich, ob es Betroffenen gelingt, den Überfall als Narbe in ihr Leben einzubauen und ihren Alltag zu normalisieren. Manche litten auch danach noch unter Schreckhaftigkeit, Angstzuständen und Verspannungen. „Manche meinen auch sechs oder acht Wochen später noch, das Rasierwasser des Täters zu riechen, den Lauf der Pistole im Rücken zu spüren“, sagt Schottmann. Erholen sich die Opfer in dieser dritten Phase nicht, sollten sie Hilfe bei einem Psychologen suchen. Auch Opferorganisationen wie der Weiße Ring bieten Hilfe an.
Eine Therapie benötigte Bäcker Mayer nicht. Er sieht sich auch nicht als „klassisches“ Opfer. Schließlich war es der Räuber, der Angst bekommen habe. In einen Überfall will er auf keinen Fall nochmals geraten. Denn ob er dann wieder so mutig wäre, wisse er nicht. Der mutmaßliche Täter übrigens wurde gefasst.
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