Auf Kosten der Patienten
Nach Ansicht einiger Chirurgen gibt es zu viele Operationen. Das wollen sie ändern
Heidelberg Eine Gruppe renommierter Chirurgen hat ein sogenanntes Zweitmeinungsportal im Internet gestartet. „Deutschland ist nicht nur in der Autoindustrie führend, sondern auch im Operieren“, sagt der Gründer von „Vorsicht Operation“, der Heidelberger Knie-Spezialist Hans Pässler (71). „Es werden zig Operationen gemacht, die nicht dem Patienten nutzen, sondern nur dem Arzt.“ Krankenkassen reagieren aufgeschlossen auf die Idee. Berufsverbände üben scharfe Kritik: Das Web könne nicht den persönlichen Arztkontakt ersetzen.
In Deutschland wird Pässler zufolge bezogen auf die Einwohnerzahl doppelt so viel operiert wie etwa in Schweden. Dort beziehen Ärzte ein festes Gehalt. Weshalb vor allem im ambulanten Bereich die Operationszahlen nach oben schnellen, erklärt er so: Der niedergelassene Operateur verbinde sich mit einem Operationszentrum, wo er den OP-Saal miete. „Er muss schon deshalb so viel operieren, um die Kosten für die Miete reinzubekommen.“ Bei Patienten, die bei ihm bisher eine Zweitmeinung einholten, seien gut die Hälfte der Eingriffe unnötig gewesen. Interessierte sollen an das Portal Röntgenbilder und Laborbefunde schicken – außerdem einen ausgefüllten Fragebogen. Nach Angaben Pässlers wollen 16 Spezialisten auf Gebieten wie Hüfte, Wirbelsäule oder Schulter an der Aktion teilnehmen. Darunter seien vor allem in den Ruhestand getretene Chefärzte. Kosten pro Gutachten: 200 bis 600 Euro.
„Hochgradig unseriös“ findet der Berufsverband Niedergelassener Chirurgen ein Zweitgutachten ohne persönliche Untersuchung. Der Berufsverband der Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) sieht das ähnlich. „Manchmal gibt es fürchterliche Bilder – und der Patient spielt noch Golf“, sagt BVOU-Vizepräsident Andreas Gassen. Gassen unterstellt auch, dass es hier um Profit geht: Er könne als Orthopäde bei Privatpatienten nur 21 Euro für eine Untersuchung mit Beratung abrechnen – bei gesetzlich Versicherten weniger.
Die Deutsche Betriebskrankenkasse prüft derzeit intern eine Zusammenarbeit mit dem Zweitmeinungsportal. Die private Debeka wolle „voraussichtlich in einer Testphase“ die Kosten übernehmen, sagt ein Sprecher. Die Techniker Krankenkasse verweist dagegen auf eigene Angebote zum Thema Zweitmeinung. So biete sie Mitgliedern an, in einem Rückenzentrum ein zweites Gutachten einzuholen. „Erste Schätzungen zeigen, dass 85 Prozent der Operationen überflüssig sind“, sagt eine Sprecherin. Die Ausgaben für „Operationen und Prozeduren“ lagen laut Statistischem Bundesamt 2009 bei 45 Milliarden Euro.
Über mangelnde Resonanz kann sich Pässler trotz der Kritik jedenfalls nicht beklagen: Binnen einer Woche meldeten sich bei dem Portal 150 Patienten. Inga Radel, dpa
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